Wald kompakt - LWF aktuell 142
Natura 2000-Projekt »Bayerwaldbäche«
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Bereits im Jahr nach der Maßnahme blüht die Aue am Haibachmühlbach auf. (© E. Lohberger)
Bachsysteme sind wichtige Verbindungsachsen und Wanderkorridore für Tier- und Pflanzenarten. Viele Bachauen im Bayerischen Wald sind jedoch durch Aufforstungen ehemaliger angrenzender Streuwiesen mit Fichte stark fragmentiert. Solche Bestände sind oftmals durch Sturm, Borkenkäfer oder Überflutungen geschädigt und müssen klimagerecht umgebaut werden. Die meisten größeren Fließgewässersysteme sind Teil von Natura-2000-Gebieten. Ihre Managementpläne weisen oft einen Handlungsbedarf bei Lebensraumtypen und Arten der Auen auf. Daher wurde ein gebietsübergreifendes Konzept erstellt, um Trittsteine zur Vernetzung zu schaffen und damit die Durchgängigkeit der Fließgewässersysteme zu verbessern. Zudem soll der gute Erhaltungszustand weiterer Schutzgüter – unter anderem Flussperlmuschel, Groppe, Grubenlaufkäfer – gesichert werden. Ziel ist es, auf dem Weg zum klimagerechten Wald möglichst viele Grundeigentümer mitzunehmen und für den Natur- und Klimaschutz zu sensibilisieren. Unter diesen Voraussetzungen startete 2021 ein interdisziplinäres und ressortübergreifendes Pilotprojekt im FFH-Gebiet Erlau und an der Mitternacher Ohe (FFH-Gebiet Ilz-Talsystem). Neben den Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Regen und Passau sind die Naturschutzbehörden, der Forstbetrieb (FB) Bodenmais, Artenspezialisten sowie das Wasserwirtschaftsamt (WWA) Deggendorf beteiligt. Der Markt Schönberg und die Stadt Waldkirchen konnten ebenfalls als Projektgemeinden gewonnen werden. Der Umfang des Projekts mit einer Laufzeit von sieben Jahren erfordert einen Projektmanager, den die Initiative Zukunftswald Bayern (IZW) finanziert. Obwohl die Stelle bislang nur zeitweise besetzt ist, sind bereits zahlreiche Maßnahmen erfolgt: Am Haibachmühlbach nahm der FB Bodenmais auf über 20 ha Fichten von Bächen und Quellen zurück und brachte Schwarzerle ein. Das WWA entfernte an Erlau und Kleiner Ohe Fichtenaufforstungen und begründete auf circa 10 ha Weich- und Hartholzaue. Kleinstrukturen wie Tümpel oder Steinhaufen schaffen hier Lebensräume für Gelbbauchunke und Reptilien. Aufgeklappte Wurzelteller und Totholz verbleiben, Biotopbäume werden gefördert und Biotope wie Seggenriede bleiben unberührt. So entstehen wertvolle und artenreiche Wald-Offenland-Mosaike. Die Gemeinde Schönberg ließ Felsen freistellen und Waldränder aufwerten. Darüber hinaus macht ein Pavillon in Form einer Flussperlmuschel aus den Bayerwald-Materialien Holz und Glas das Thema »Bachbewohner und Auen-Baumarten« erlebbar. Auch der Privatwald beteiligt sich zunehmend an Waldumbau-Maßnahmen – hier bewährten sich eine aktive Angebotsberatung und Schulungen sowie eine ausführliche Öffentlichkeitsarbeit.
Ernst Lohberger, AELF Landau a.d. Isar-Pfarrkirchen, Fachstelle Waldnaturschutz Niederbayern
Ein Schmetterling mit Geheimnis
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Die Unterseite des Landkärtchens (hier Sommergeneration) erinnert mit seinen feinen Linien an eine Landkarte. (© Volkmar Brockhaus, PantherMedia)
Das Landkärtchen (Araschnia levana) erinnert mit den feinen Linien auf seiner Flügelunterseite an eine Landkarte – dies verhalf dem Tagfalter zu seinem deutschen Namen. Erstaunlicherweise hat der Falter zwei Erscheinungsformen der Flügeloberseite: die orangebraune Frühjahrsform (f. levana) und die dunkle Sommerform (f. prorsa) mit weißen- sowie orangefarbenen Flecken. Welche Form der Falter annimmt, hängt mit der Tageslänge während der Raupen- und Puppenphase zusammen. Das Auftreten verschiedener Erscheinungsformen wird »Saisondimorphismus« genannt und ist ein Alleinstellungsmerkmal unter den europäischen Tagfaltern. Welchen Vorteil die unterschiedlichen optischen Erscheinungsformen für die Art haben, ist noch ein Geheimnis. Unter anderem dieser Besonderheit verdankt es das Landkärtchen, dass man es 2023 zum Insekt des Jahres wählte – und es ist ein Beispiel dafür, dass auch bei nicht gefährdeten Arten noch Forschungsbedarf besteht. Das Landkärtchen ist kein seltener Tagfalter und in Bayern fast flächendeckend anzutreffen. Der Schmetterling mag es weder zu warm noch zu kalt und bevorzugt eine Höhenlage zwischen 100 und 1.000 m ü. NN. Er lebt in feuchten Waldinnen- und -außenrändern sowie auf dicht mit Sträuchern bestockten Flächen. Waldränder mit Schlehe und Weißdorn sowie blütenreiche Wiesen sind für die Falter wichtige Nahrungsquellen. Zu beobachten sind die Schmetterlinge der Frühjahrsgeneration ab Mitte Mai bis Mitte Juni, die Sommerform erscheint ab Anfang Juni bis Ende August. Die Große Brennnessel (Urtica dioica) spielt für die Eiablage sowie als Raupennahrung eine entscheidende Rolle im Lebenszyklus dieser Art. Es eignet sich aber nicht jedes Brennnesselvorkommen gleich gut: Ausschlaggebend ist, dass die Brennnessel in einer luftfeuchten und schattigen Umgebung wächst. Das Weibchen sucht genau diese Brennnesselstandorte auf und klebt seine Eier auf der Blattunterseite zu charakteristischen grünen Türmchen aneinander. Die geschlüpften Raupen leben sehr gesellig, sind vorwiegend schwarz und tragen verzweigte Dornenpaare. Ab dem zweiten Larvenstadium (L2) bildet sich zusätzlich ein Dornenpaar auf dem Kopf, das sie von den Raupen des Tagpfauenauges (Aglais io) unterscheidet. Die Puppen sind einzeln an der Großen Brennnessel angeheftet, sie sind meist braun mit spitzen Erhebungen. Die Puppen der letzten Generation überwintern.
Anna Kanold, LWF
ARTEMIS – Adaptives Risikomanagement in der Eiche
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Eichenschäden nach Kahlfraß durch Schwammspinner und folgendem Prachtkäferbefall (© V. Aschmann, LWF)
Die Eichen- und Kiefernwälder in Südwest- bis Nordostdeutschland sind von Trockenheit und biotischen Schäden besonders betroffen. In Bayern hat vor allem die Eichenfraßgesellschaft, d. h. Schmetterlingsarten mit dem Potenzial zu großflächigen Massenvermehrungen, Relevanz. Zugleich nimmt die Bedeutung der Eichen- und Eichenmischwälder im Klimawandel zu: Sie tolerieren klimatische Stressoren, verfügen über ein hohes Regenerationsvermögen nach Schadeinwirkungen und sind darüber hinaus reich an Diversität. Dennoch sind Schädigungen möglich, die lokal sogar zur Auflösung ganzer Waldbestände führen können. Oft ist dafür nicht unmittelbar der Kahlfraß durch Raupen der Eichenfraßgesellschaft verantwortlich – Absterbeprozesse werden vielmehr häufig aufgrund von Folgebefall der geschwächten Bäume durch Sekundärschadorganismen in Gang gesetzt. Das Verbundprojekt ARTEMIS (»Adaptives Risikomanagement in trockenheitsgefährdeten Eichen- und Kiefernwäldern mit Hilfe integrativer Bewertung und angepasster Schadschwellen«), das von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) finanziell gefördert wurde, erarbeitete deshalb Entscheidungshilfen für das Waldschutzrisikomanagement der eingangs genannten Wälder. Die sieben beteiligten forstlichen Landesforschungsanstalten bewerteten für Insekten mit Massenvermehrungspotenzial Monitoringverfahren und Schadprognosen, die als Entscheidungsgrundlage für mögliche Pflanzenschutzmittelbehandlungen dienen. Darauf aufbauend beschrieben sie flexible Schadschwellen, welche die Vielfalt der Waldfunktionen, sich ändernde gesellschaftliche Anforderungen sowie überregionale Klimaziele berücksichtigen. Aus Datenanalysen, Fachliteratur und Erfahrungsberichten ging eine Internetplattform hervor, die über potenzielle Schäden und Reaktionsmöglichkeiten bei Insektenmassenvermehrungen in Eichen- und Kiefernwäldern sowie über die Konsequenzen für die unterschiedlichen Waldfunktionen informiert. Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft bearbeitete als ARTEMIS-Verbundpartner auf 26 Versuchsflächen in Unterfranken und Schwaben mehrere Fragestellungen zur Eiche. Dazu gehörten unter anderem die retrospektive Analyse früherer Massenvermehrungen der Eichenfraßgesellschaft und deren Folgen, die Bewertung und Optimierung von Überwachungsverfahren sowie die Identifizierung der Schlüsselfaktoren für die Ausprägung von Eichenschäden.
Dr. Gabriela Lobinger, Valentin Aschmann, LWF
Forstliche Kalamitäten besser bewältigen
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Im Projekt »Forstliches Kalamitätsmanagement Bayern« sollen die Vorgehensweisen bei Borkenkäfer-, Sturm- und Waldbrandereignissen optimiert werden. (© v. l.: M. Riebler, LWF; G. Brehm, AELF Fürstenfeldbruck; J. Jobst, StMELF)
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels stellen forstliche Kalamitäten wie Borkenkäferschäden, Sturmereignisse oder Waldbrände alle Akteure des Sektors Wald, Forst und Holz vor große Herausforderungen. Borkenkäferbefall verursachte in den vergangenen Jahren hohe zwangsbedingte Nutzungen in Bayern: Im Jahr 2018 lagen diese bei 4,5 Mio. fm, im Jahr 2021 bei 3,1 Mio. fm. Sturmereignisse führten in den 1990er Jahren zu 23 Mio. fm Schadholz in den heimischen Wäldern, und auch bei Stürmen in den Folgejahren fielen beträchtliche Mengen an Schadholz an. Im Jahr 2022 brannten in Bayern mehr als 200 ha Waldfläche ab (Ø 1991-2020: 57,2 ha/Jahr) – dieser Wert lag damit auf demselben Niveau wie im bisherigen Rekordjahr 2003. Um diese Kalamitäten künftig besser zu bewältigen, initiierte die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft das dreijährige abteilungsübergreifende Forschungs- und Innovationsprojekt »Forstliches Kalamitätsmanagement Bayern«. Ziel ist es, die Vernetzung forstlicher und nicht-forstlicher Akteure auf regionaler Ebene zu stärken und die Zusammenarbeit aller Stakeholder bei Borkenkäfer-, Sturm- und Waldbrandereignissen zu verbessern. Daraus ergeben sich kürzere Reaktionszeiten, die wiederum dazu beitragen, das Schadensausmaß im Wald zu verringern. Im Rahmen des Projekts erarbeiten verschiedene Interessensgruppen in partizipativen Verfahren wie Workshops und Runden Tischen mögliche Maßnahmen und Verbesserungen zur Bewältigung von Kalamitäten. Diese Treffen bringen außerforstliche Akteure (z. B. Kreisverwaltungsbehörden, Feuerwehren) mit den Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, lokalen Forstbetrieben und forstlichen Dienstleistungsunternehmen zusammen und bieten die Chance, gemeinsam Ansätze und Lösungen für den Kalamitätsfall zu entwickeln. Bei interdisziplinären Übungsszenarien soll das gemeinsame Vorgehen im Ernstfall – beispielsweise bei der Bekämpfung von Großbränden – geprobt werden, um die Stärken aller Beteiligten optimal einzusetzen. Die Erkenntnisse aus den Übungen fließen in ein Management- und Schulungssystem ein. Dieses sowie breitangelegter Wissenstransfer werden dazu beitragen, forstliche Kalamitäten in Bayern künftig besser zu meistern.
Julia Snajdr, Anne Stöger, Markus Riebler, LWF
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