Hochwasserschutz beginnt in den Entstehungsgebieten – LWF Wissen 82
Staatsministerin Ulrike Scharf anlässlich des Symposiums »Schutz vor Hochwasser durch alpine Berg- und Schutzwälder« am 23. Oktober 2017 in Bad Reichenhall
»Ohne Wasser kein Holz, ohne Holz kein Salz«. Viele Jahrhunderte war dieser Grundsatz die Lebensgrundlage von Bad Reichenhall. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war das Holz der Region das einzige Brennmaterial zur Salzgewinnung. Die Auswirkungen der Holzentnahme auf die Wälder der Region waren gewaltig. Gerade hier im Saalachtal sind die Zusammenhänge zwischen Wald, Waldbewirtschaftung und der Sanierung von Wäldern zum Schutz vor Lawinen, Erosion und Hochwasser so mehr als offensichtlich. Deshalb ist die Salzstadt Bad Reichenhall genau der richtige Ort für unsere Tagung. Ein herzliches Grüß Gott zum Symposium
»Schutz vor Hochwasser durch alpine Berg- und Schutzwälder«.
Meine Damen und Herren, unsere Bergwälder zählen seit jeher zu den sensibelsten Naturräumen. In Zeiten des Klimawandels gilt das erst recht. Alle Alpen-Anrainerstaaten und -regionen arbeiten deshalb daran, die Funktion der Wälder als Lebensraum und als Schutzraum zu erhalten und zu verbessern. Erst vor kurzem haben wir in Innsbruck gemeinsam mit dem österreichischen Bundesminister Rupprechter und politischen Vertretern aus Lichtenstein, Tirol und Südtirol beim Waldgipfel diskutiert. Allen Beteiligten ist klar: Hochwasserschutz beginnt nicht erst unmittelbar vor der ersten Ortschaft, er beginnt in den Entstehungsgebieten. Und klar ist auch, für den Schutz vor Hochwasser ist der Bergwald in den Alpen essentiell.
Der Klimawandel wird sich besonders im Alpenraum auswirken
Meine Damen und Herren: Gerade die Alpen sind vom Klimawandel besonders betroffen:
- Die Temperaturen in den Alpen sind in den vergangenen 100 Jahren mit 1,5 Grad Celsius doppelt so stark gestiegen wie im globalen Durchschnitt.
- In nur 20 Jahren könnten in Bayern fast alle Gletscher verschwunden sein.
Mit drastischen Folgen für Mensch und Natur:
- Die Schneesicherheit für Wintersportorte nimmt ab,
- Lebensräume von Tier und Pflanzen verschieben sich in andere Höhenlagen,
- alpine Naturgefahren nehmen zu.
Das bringt große Herausforderungen mit sich: gerade in Regionen, die einem kontinuierlichen Bevölkerungszuwachs und zunehmendem Nutzungsdruck ausgesetzt sind. Die Felsstürze im Engadin lassen grüßen.
Die Anpassung an den Klimawandel muss schnell erfolgen!
In dieser Situation bedeutet verantwortliche Klimapolitik, Anpassungen rechtzeitig vorzunehmen. Wir können nicht mehr zuwarten, wir müssen jetzt handeln. Dies betrifft nicht nur den Waldumbau und die Sanierung von Schutzwäldern, auch die Wasserwirtschaft ist gefordert. Wir haben im Alpenraum ca. 50.000 Schutzbauwerke der Wildbachverbauung, angefangen von Uferschutzbauten, Konsolidierungssperren, Rückhalteeinrichtungen für Geschiebe und Wildholz bis hin zu Lawinennetzen.
Der Unterhalt, die Nachrüstung und der Neubau dieser Bauwerke kostet viel Geld: Allein im Jahr 2017 investieren wir in Bayern voraussichtlich fast 40 Millionen Euro. Wir sehen das Zusammenwirken: Ohne den Basisschutz durch die Berg- und Schutzwälder würden die Ausgaben für technische Schutzverbauungen explodieren. Der Wert des alpinen Schutzwaldes für den Lawinenschutz beläuft sich grob geschätzt auf 5 Euro pro Quadratmeter und Jahr, was in Bayern in Summe rund 4 Milliarden Euro pro Jahr ausmacht. Wenn wir das bezahlen müssten – wir könnten es auf Dauer nicht. Unsere technischen Schutzbauwerke ergänzen also den Basisschutz des Waldes. Sie heben mit technischen Maßnahmen das Schutzniveau für Siedlungen und wichtige Infrastrukturen auf das bei uns übliche Maß eines hundertjährlichen Bemessungsereignisses plus 15 % Klimazuschlag.
Das heißt: Ein gesunder, artenreicher und vielschichtig aufgebauter Bergwald ist unverzichtbar. Er erfüllt Schutzfunktionen, die der Mensch nicht kompensieren könnte:
- Er schützt vor Erosion und Massenbewegungen,
- er reduziert und verzögert den Oberflächenabfluss und sorgt für einen Ausgleich im Wasserhaushalt und
- er schützt vor Schneeschurf sowie vor Lawinenabgängen und verringert die Steinschlaggefahr.
Trotzdem ist die Bewirtschaftung der Wälder grundsätzlich möglich. Sie muss wasserwirtschaftliche Aspekte berücksichtigen, das ist klar. Aber klar ist auch, dass Schutzfunktion und Nutzung zusammenpassen müssen. Die Kolleginnen und Kollegen im Landwirtschaftsministerium und in der Forstverwaltung haben sich dazu intensiv Gedanken gemacht und unter anderem ein Merkblatt zur »Hochwasserangepassten Waldbewirtschaftung « herausgebracht. Herzlichen Dank, lieber Helmut, für diese Mühe.
Waldbewirtschaftung und Naturschutz sind kein Gegensatz!
Meine Damen und Herren, einer meiner Grundsätze als Bayerische Umweltministerin lautet: Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnen. Das gilt auch und gerade an der Schnittstelle von Umwelt- und Menschenschutz. Deshalb ist es mein Ziel, dass der Bergwald die Schutzfunktion und die Lebensraumfunktion mit der besonderen alpinen Arten- und Strukturvielfalt erfüllt. Wenn es zu Zielkonflikten kommt, gibt es fast nichts, was unlösbar wäre. Viele Behörden beweisen hier seit langem eine hohe Verständigungsbereitschaft, insbesondere allen voran das Landwirtschaftsund das Umweltministerium.
Zwei Beispiele:
- Wir haben Vereinbarungen zum Umgang mit gesetzlich geschützten Biotopen und Natura 2000 bei der Schutzwaldsanierung geschlossen
- und in einem bayerisch-österreichischen INTERREG- Projekt wird aktuell länderübergreifend der Biotop- und Artenschutz im Schutz- und Bergwald untersucht. Ziel: Konflikte und Synergien zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz erkennen und passende Strategien erarbeiten.
Ganz im Sinne der Arbeitsgruppe 8 »Risikomanagement und Bewältigung des Klimawandels« der EU-Alpenstrategie (EUSALP), in der Bayern und Österreich die gemeinsame Federführung innehaben. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen aus Österreich für die gute Zusammenarbeit bei der Leitung dieser Arbeitsgruppe.
Die Zukunft meistern – sich Herausforderungen gemeinsam stellen
Meine Damen und Herren, mein Kollege Brunner und ich haben zu diesem Symposium im Rahmen der Alpenraumstrategie geladen, um die Herausforderungen im Bergwald in Zeiten des Klimawandels mit Ihnen gemeinsam anzugehen. Denn nur gemeinsam sind wir stark. Gemeinsam mit Waldbesitzern, Jägern, Almbauern, Naturschützern, Tourismusverbänden und Kommunen arbeiten wir vor Ort an angepassten Lösungen: Angefangen bei der Wald- und Biotoppflege über Jagdmanagement bis hin zum Hochwasserschutz.
Wir bedanken uns daher bereits jetzt für Ihre Teilnahme. Besonderer Dank gilt allen Referenten. Wir haben heute eine hochkarätige Auswahl aus Wissenschaft und Forschung, aus verschiedenen Verwaltungen und vor allem auch Verwaltungsebenen, kommunale Vertreter ebenso wie Vertreter der Alpenkonvention.
Ich wünsche der Veranstaltung ein gutes Gelingen und vor allem einen regen Fachaustausch – sowohl auf der heutigen Tagung als auch bei den morgigen Exkursionen. Nehmen wir die Herausforderungen an – eine 2. Chance haben wir nicht. Auf eine gute Zukunft der Alpenregion und der Menschen, die hier leben. Vielen Dank!
Bad Reichenhall, im Oktober 2017
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