LWF Wissen 89
Die Roteiche – Verwandtschaft, Morphologie, Verbreitung und Ökologie
von Gregor Aas

Abb. 1: Zur Gruppe der Roteichen gehören auch Arten mit für Eichen untypischen, ungelappten und ganzrandigen Blättern. Hier die Schindeleiche, Quercus imbricaria, die im Nordosten der USA beheimatet ist. (© G. Aas)
Zur Gattung Quercus L. (Eiche, Familie Fagaceae, Buchengewächse) gehören etwa 400 Arten (Denk et al. 2017); nach anderen Autoren bis zu 600 Arten, die vor allem in der meridionalen und nemoralen Zone der Nordhemisphäre verbreitet sind.
Aufgrund ihrer Phylogenie wird die große und sehr diverse Gattung Quercus systematisch weiter unterteilt in Untergattungen und Sektionen (Tabelle; Denk et al. 2017). Zur Untergattung Quercusgehören zwei große Verwandtschaftsgruppen, die gleichnamige Sektion Quercus, die in Amerika und in Eurasien verbreiteten Weißeichen, und die Sektion Lobatae, die Roteichen i. w. S. mit 195 vom südlichen Kanada über fast die gesamten USA und Mittelamerika bis ins nördliche Südamerika verbreiteten Arten. Die Früchte der meisten Lobatae-Eichen reifen erst im zweiten Herbst nach der Blüte, viele haben ungelappte, ganzrandige Blätter (Abbildung 1), andere eichenartig gelappte, dann aber stets am Rand grannenspitzig gezähnte Blätter.

Abb. 2: Sehr ähnlich Quercus rubra ist Quercus coccinea, die Scharlacheiche (engl. scarlet oak), ein bei uns beliebter Park- und Straßenbaum. (© G. Aas)
Unsere mitteleuropäischen Eichenarten, Stieleiche (Quercus robur), Traubeneiche (Q. petraea) und Flaumeiche (Q. pubescens) gehören zu den Weißeichen (Sektion Quercus) und sind nicht näher mit der Roteiche verwandt. Gleiches gilt für die ganz im Südosten Mitteleuropas verbreitete Zerreiche (Quercus cerris), ein Vertreter der nach ihr benannten, ausschließlich altweltlich verbreiteten Verwandtschaftsgruppe der Zerreichen (Untergattung Cerris).
Quercus rubra kann mit zahlreichen nordamerikanischen Eichenarten der Sektion Lobatae hybridisieren, nicht aber mit Weißeichen, zu denen Stiel- und Traubeneiche gehören. Kreuzungsbarriere ist vor allem die unterschiedliche Entwicklungsdauer der Früchte, die bei unseren Eichenarten etwa ein halbes Jahr beträgt (Reife im Jahr der Blüte), bei Roteichen dagegen ca. 18 Monate (Reife im Jahr nach der Blüte).
Gattung | Untergattung | Sektion | Arten |
---|---|---|---|
Quercus (Eiche) | Quercus | Quercus (Weißeichen) | Q. robur |
Q. petraea | |||
Q. pubescens u.a. | |||
Lobatae (Roteichen i.w.S.) | Q. rubra, Roteiche u. a. | ||
Cerris | Cerris (Zerreichen) | Q. zerris u. a. |
Morphologie und Bestimmungsmerkmale

Abb. 3: Quercus rubra als solitärer Straßenbaum im Herbst. (© G. Aas)
Das Sprosswachstum von Quercus rubra erfolgt wie bei unseren Eichen gebunden, d. h. der in einem raschen Wachstumsschub im Frühjahr austreibende Trieb ist in der Knospe komplett vorgebildet (präformiert). In der Jugend können bei der Roteiche unter günstigen Bedingungen Sprosse anhaltend bis in den Spätsommer hinein in die Länge wachsen (freies Wachstum). Der Aufbau der Baumkrone wird bestimmt durch die akrotone (spitzenwärtige) Förderung der Verzweigung. Der Terminaltrieb ist in der Regel der längste Trieb, kräftige Seitentriebe werden vor allem aus den an den Triebspitzen gehäuften Seitenknospen gebildet (Abbildung 5). Knospen an der Triebbasis treiben oft nicht aus, sie bleiben als Reserveknospen (Proventivknospen) schlafend. Jahre oder Jahrzehnte später können sie bei Bedarf nach Schäden in der Krone wie Astabbrüche, Kahlfraß oder nach dem »auf den Stock setzen« Ersatztriebe (Proventivtriebe) bilden und die Krone durch Wasserreiser, Klebäste oder Stockausschläge regenerieren. Junge Roteichen und Stockausschläge können Johannistriebe (proleptische Triebe) bilden und sich sylleptisch verzweigen (Syllepsis ist die Bildung von Verzweigungen am laufenden Jahrestrieb ohne vorheriges Knospenstadium). Wie Stiel- und Traubeneiche sind ältere Roteichen in der Lage, in der Vegetationszeit schwächere Seitentriebe, vornehmlich aus dem Kroneninneren, durch Bildung eines Trenngewebes an der Basis der Zweige abzugliedern (Kladoptosis). Diese Zweigabsprünge verringern insbesondere bei Trockenheit die Blattmasse, zur Verminderung des Wasserverbrauchs oder sie dienen dazu, dass sich der Baum kontrolliert von Zweigen entledigt, die unter Lichtmangel leiden.
Wichtigstes Bestimmungsmerkmal von Quercus rubra im vegetativen Zustand sind die lang gestielten, buchtig gelappten, großen Laubblätter, die am Rand und an der Spitze wenige, in eine feine Grannenspitze ausgezogene Zähne haben (Abbildung 6). In Abhängigkeit von der Lichtverfügbarkeit variieren Größe und Form der Blätter erheblich. Sonnenblätter sind kleiner und zwischen den gut ausgebildeten seitlichen Lappen tief gebuchtet, Schattenblätter im Unterschied dazu größer, wenig oder kaum gelappt, zuweilen nur grob gezähnt. Typischerweise verfärbt sich das Laub im Herbst leuchtend orange- bis scharlachrot (Abbildung 7). Gar nicht so selten zeigen aber einzelne Bäume nur eine schlichte braune Herbstfärbung ohne Anklang an den »Indian Summer«. An Jungpflanzen, Stockausschlägen und Klebästen bleibt bei der Roteiche das trockene Herbstlaub den Winter über und bis zum Frühjahr am Baum erhalten. Roteichenlaub wird wegen seines ungünstigen C/N-Verhältnisses nur langsam zersetzt. In Reinbeständen lagern sich die großen Blätter in dichten, flachen Schichten am Waldboden, was ihren Abbau zusätzlich verlangsamt und sich nachteilig auf die Deckung und Artenzusammensetzung der Bodenflora auswirken kann (Dreßel & Jäger 2002).
Mit unseren mitteleuropäischen Eichen ist die Roteiche durch die Unterschiede im Blatt nicht verwechselbar, wohl aber mit anderen, bei uns kultivierten Vertretern aus der Gruppe der Roteichen. Zu nennen ist hier insbesondere die Scharlacheiche (Quercus coccinea, engl. scarlet oak, Abbildung 2). Ihre Blätter sind seitlich zwischen den Lappen tiefer, oft bis nahe an die Mittelrippe gebuchtet und unterseits glänzend grün, die von Quercus rubra weniger tief gebuchtet und unterseits matt grün.
Roteichen entwickeln ein ähnliches Wurzelsystem wie die heimischen Eichen. Keimlinge können in den ersten Jahren mit ihrer Pfahlwurzel bis zu 80 cm tief in den Boden eindringen. Ab einem Alter von etwa zehn Jahren entwickelt sich das Pfahlwurzelsystem durch Bildung kräftiger Seitenwurzeln je nach Bodenverhältnissen mehr oder weniger rasch in ein tief reichendes Herzwurzelsystem.
Verbreitung

Abb. 8: Natürliche Verbreitung von Quercus rubra im östlichen Nordamerika. Quelle: https://commons.wikimedia.org
Die Spanne der Länge der Vegetationsperiode reicht von 100 Tagen im Norden bis zu 220 Tagen im Süden. Roteichen kommen in ihrer Heimat von küstennahen Tieflagen bis auf 1.680 m Höhe in den Appalachen vor.

Abb. 9: Durch Pflanzung begründeter Altbestand der Roteiche mit zwischenständigen Buchen und Hainbuchen sowie Naturverjüngung aller drei Baumarten. (© G. Aas)
Ökologie
Quercus rubra ist in ihrer Heimat eine typische, forstlich wichtige Baumart der artenreichen Laubmischwälder des östlichen Nordamerikas. Reinbestände bildet sie selten. Vergesellschaftet ist sie mit anderen Eichenarten (z. B. Weißeiche, Quercus alba und Färbereiche, Q. velutina), mit Rot- und Zuckerahorn (Acer rubrum, A. saccharum), mit dem Tulpenbaum (Liriodendron tulipifera), der Amerikanischen Buche (Fagus grandifolia), der Spätblühenden Traubenkirsche (Prunus serotina), der Zuckerbirke (Betula lenta), mit Eschen- (Fraxinus spp.), Linden- (Tilia spp.), Hickory- (Carya spp.), Walnuss- (Juglans spp.) und Magnolien-Arten (Magnolia spp.). Nur wenige Nadelbaumarten kommen in diesen meist von Eichen dominierten Wäldern vor, am häufigsten die Strobe (Pinus strobus), die Kanadische Hemlock (Tsuga canadensis) und im Norden der Verbreitung der Roteiche der Abendländische Lebensbaum (Thuja occidentalis).
Die Roteiche ist eine Pionierart früher bis mittlerer Sukzessionsstadien (in ihrer Heimat als »early successional to mid-successional species« eingestuft, Desmarais 1998). Als Halblicht- bis Halbschattbaumart toleriert sie vor allem in der Jugend etwas mehr Beschattung als Stiel- und Traubeneiche. Gutes Wachstum zeigt sie auf tiefgründigen, gut drainierten, sandigen, kalkfreien, mehr oder weniger sauren Lehmböden. Sie gedeiht aber auch auf armen, sandigen Böden, sofern sie nicht zu trocken sind, ebenso auf schweren, tonhaltigen Böden. Nicht vertragen werden Staunässe und längere Überflutungen, ebenso Böden mit hohen pH-Werten, insbesondere solche mit freiem Kalk, auf denen der Mangel an Nährstoffen bei Roteichen rasch zu chlorotischen Laubblättern führt.
Reproduktion und Besiedelung neuer Standorte
Quercus rubra fruktifiziert etwa ab einem Alter von 20 bis 25 Jahren, unter günstigen Standortsbedingungen sind aber auch schon zehnjährige Bäume blühfähig. Jahre, in denen viele Bäume üppig Eicheln tragen (Mastjahre), wechseln unregelmäßig mit Jahren ohne oder nur mit geringer Fruchtbildung.

Abb. 10: Blühende Roteiche mit den herabhängenden, lockerblütigen männlichen Kätzchen. (© G. Aas)
Die Ausbreitung der Eicheln, aus botanischer Sicht einsamige Nussfrüchte, erfolgt durch das Herabfallen der Früchte (Barochorie) oder zoochor durch Tiere, in Nordamerika vor allem durch den Blauhäher (engl. blue jay, Cyanocitta cristata) sowie durch Hörnchenarten (engl. squirrels) und Mäuse. In Mitteleuropa spielen für die Ausbreitung über kürzere Distanzen ebenfalls Mäuse und das Eichhörnchen eine Rolle. Durch Studien gut belegt ist, dass der Eichelhäher (Garrulus glandarius), der effektivste Vektor für die Fernausbreitung der Früchte heimischer Eichen, Roteicheln nicht oder nur in geringem Umfang transportiert und hortet (Bieberich et al. 2016, Dresel & Jager 2002, Dyderski et al. 2020). Bei uns ist deshalb die Ausbreitung der Roteiche über größere Distanzen durch Vögel zwar möglich, aber im Vergleich zu Stiel- und Traubeneiche erheblich limitiert.
Trotz limitierter Fernausbreitung breiten sich Roteichen in unseren Wäldern durch natürliche Ansamung aus (Abbildung 15). In lichten Beständen können sie sich gegenüber konkurrenzschwächeren Baumarten in der Verjüngung durchsetzen. Dabei kommt ihnen zugute, dass sie verglichen mit Stiel- und Traubeneichen in der Jugend relativ schattentolerant sind. Bei ausbleibender waldbaulicher Pflege kann das zu einer Verschiebung der Baumartenzusammensetzung führen (Bindewald et al. 2021). Die sich ergebenden ökosystemaren Auswirkungen werden kontrovers beurteilt. Konkret wird diskutiert, ob die Art invasiv in dem Sinne ist, dass sie an neu von ihr besiedelten Standorten die biologische Vielfalt gefährdet (siehe hierzu den Beitrag von Muller-Kroehling & Schmidt in diesem Heft). Das Bundesamt für Naturschutz stuft Quercus rubra zusammen mit weiteren acht gebietsfremden Baumarten (Götterbaum, Robinie, Douglasie u. a.) als invasiv ein. Dem stehen Bewertungen aus forstlich-waldökologischer Sicht gegenüber, wonach nur in sehr wenigen, insbesondere in lichten und warmen Sonderbiotopen Naturschutzziele durch die aufkommende Roteiche beeinträchtigt werden, was durch gezieltes Management verhindert werden kann (Dresel & Jager 2002, Übersicht bei Nagel 2015).
Steckbrief: Steckbrief Roteiche (Quercus rubra)
Gestalt
Bis 30 (40) m hoher, sommergrüner Laubbaum mit anfangs kegelförmiger, im Freistand später weit ausladender, tief angesetzter, breiter und starkastiger Krone, im geschlossenen Bestand mit +/- astfreiem Stamm und schmaler Krone, Brusthöhendurchmesser (BHD) bis 1 m, selten bis 2 m
Junge Triebe
Kahl, kantig, anfangs olivfarben bis dunkel- oder rotbraun, später graubraun, mit zahlreichen, punktartigen Lentizellen
Knospen
Spiralig angeordnet; länglich spitz eiförmig, 5 – 8 mm lang, mit vielen rotbraunen, am Rand und zur Spitze hin hell behaarten Schuppen; Knospen an den Triebspitzen gehäuft, Seitenknospen von der Sprossachse abstehend
Blätter
Spiralig angeordnet; Blattstiel 2-5 cm lang, Spreite im Umriss elliptisch, 10-25 cm lang, an Stockausschlagen auch bis 35 cm lang, jederseits mit 4-5 (- 6) Lappen, am Rand mit wenigen, in eine feine Granne endenden Zahnen, die Buchten zwischen den Lappen meist nicht tiefer als bis zur Mitte der Spreitenlängshälfte; oberseits matt oder glänzend dunkelgrün, unterseits heller und matt
Rinde
Grau, lange Zeit glatt, späte Bildung einer längsrissigen Borke
Blüten
Mitte April bis Mai; einhäusig verteilt, die männlichen in langen, lockerblütigen, zur Blütezeit schlaff herabhängenden, gelbgrünen Kätzchen, meist aus Seitenknospen vorjähriger Triebe, weibliche Bluten klein und unscheinbar, zu 1-3 (-6) in kurz gestielten Blütenständen in den Achseln von Laubblättern diesjähriger Triebe; Bestäubung durch den Wind
Früchte
Reife im zweiten Herbst nach der Blüte; Eichel rotbraun, gedrungen eiförmig, bis 2,5 cm lang, zu 1-2 (3) sitzend oder kurz gestielt an vorjährigen Trieben; Fruchtbecher schüsselförmig flach, die Frucht weniger als zu einem Drittel umschließend; Ausbreitung durch Schwerkraft (Barochorie, ≫Plumpsfruchte≪) sowie zoochor durch Kleinsäuger und Vögel
Bewurzelung
Anfangs Pfahlwurzel, später Herzwurzelsystem
Höchstalter
In Mitteleuropa 250 Jahre, in der Heimat 400 – 500 Jahre
Chromosomenzahl
2n = 24
Literatur
- Bieberich, J.; Lauerer, M.; Aas, G. (2016): Acorns of introduced Quercus rubra are neglected by European Jay but spread by mice. Annals of Forest Research 59: 249-258
- Denk, T.; Grimm, G.W.; Manos, P.S.; Deng, M.; Hipp, A.L. (2017): An updated infrageneric classification of the oaks: review of previous taxonomic schemes and synthesis of evolutionary patterns. Oaks physiological ecology. Exploring the functional diversity of genus Quercus L., 13-38
- Desmarais, K.M. (1998): Northern red oak regeneration: biology and silviculture. UNH Cooperative Extension
- Dresel, R.; Jager, E.J. (2002): Beiträge zur Biologie der Gefäßpflanzen des herzynischen Raumes. 5. Quercus rubra L. (Roteiche): Lebensgeschichte und agriophytische Ausbreitung im Nationalpark Sächsische Schweiz. Hercynia – Ökologie und Umwelt in Mitteleuropa 35: 37-64
- Dyderski, M.K. et al. (2020): Biological flora of the British Isles: Quercus rubra. Journal of Ecology 108: 1199-1225
- Nagel, R.-V. (2015): Roteiche (Quercus rubra L.). In: Vor, T. et al. (Hrsg.) Potenziale und Risiken eingeführter Baumarten. Göttinger Forstwissenschaften, Bd. 7: 219-267
- Sander, I.L. (1990): Quercus rubra L. Northern red oak. Silvics of North America 2: 727-733
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Autor
- Gregor Aas