LWF aktuell 151
Baum-Mikrohabitate in Naturwaldreservaten
von Markus Blaschke, Angela Siemonsmeier und Margret Frischhut

Kleine Strukturen, große Bedeutung! Mikrohabitate dienen unzähligen Arten als Lebensraum und ermöglichen Rückschlüsse auf die Biodiversität und Naturnähe von Wäldern. Insbesondere Eichenwälder und dicke Bäume bieten wertvolle Lebensräume wie Totholz und Baumhöhlen. Ob Waldschutz, Forschung oder Praxis – die Erfassung dieser Strukturen liefert spannende Einblicke und fördert die nachhaltige Waldbewirtschaftung.

In der Diskussion um die Messbarkeit von Biodiversität in Wäldern werden verschiedene Ansätze und Methoden diskutiert. Eigentlich bräuchte es eine umfangreiche Erfassung der gesamten Artengemeinschaften. Aber schon die Erfassung einzelner Artengruppen im Wald ist methodisch sehr aufwendig und kann häufig nur durch Spezialisten sicher durchgeführt werden. Seit rund 20 Jahren haben sich Ansätze etabliert, Indikatoren für Biodiversität und Naturnähe aus oft kleinen und häufig erst auf den zwei­ten Blick erkennbaren Baumstrukturen (Mi­kro­­habitate) abzuleiten (Winter 2005, 2008). Oftmals können einzelne dieser Mikrohabitate mit typischen Waldarten in Verbindung gebracht werden.

Was sind Mikrohabitate?

Grafische Darstellung eines Baumes mit verschiedenen Mikrohabitaten.Zoombild vorhanden

Abb. 1: Beispiele für Mikrohabitate an einem Baum. (© LWF)

Als Mikrohabitate fasst man verschiedene Strukturen am Einzelbaum zusammen. Vom Vogelnest in der Baumkrone über Astabbrüche, Totholz, Spechthöhlen bis hin zu den ökologisch sehr wertvollen Mulmhöhlen am Stammfuß dienen diese einer Vielzahl an Lebewesen als Lebensraum. Mit einem fundierten Katalog haben Kraus et al. (2016) einen inzwischen sehr weit verbreiteten und anerkannten Katalog der Mikrohabitate verfasst. Zur weiteren Charakterisierung dieser Strukturen haben Larrieu et al. (2017) ein mehrstufiges Bewertungssystem erstellt, das die 47 Typen von Mikrohabitaten wiederum in 15 Gruppen und sieben Formenklassen zusammenfasst. Zur Erfassung dieser Mikrohabitate haben Großmann und Carlson (2021) eine praxisnahe Anleitung verfasst. Kraus und Schuck (2016) sehen in dem Instrument der Mikrohabitate insbesondere die Möglichkeit, ökonomische Ziele und naturschutzfachlich relevante Elemente besser miteinander in Einklang zu bringen.
Wucherungen an einem Buchenstamm mit beträchtlicher Größe.Zoombild vorhanden

Abb. 2: Tumor an der Buche. (© M. Blaschke, LWF)

Daher wurde die Erhebung dieser Strukturen auch in viele Marteloskope (Trainingsflächen zur Schulung von waldbaulichen Verfahren) integriert. Dort können die wirtschaftlichen – und anhand der Veränderungen von Mikrohabitaten – die ökologischen Konsequenzen von waldbaulichen Eingriffen analysiert werden. Es sind auch Vergleichsstudien und Wiederholungsaufnahmen in diesen Wäldern möglich, um die Veränderung der Mikrohabitate nachzuvollziehen. So konnte in einer Marteloskopfläche im Sihlwald bei Zürich (Liniger 2023) gezeigt werden, dass sich die Zahl der Mikrohabitate innerhalb von acht Jahren um rund ein Viertel erhöhen kann.

Mikrohabitate – Untersuchung in 17 bayerischen Naturwaldreservaten

In dem vom Waldklimafonds geförderten Projekt „Lebendiges Totholz" wurden in 17 bayerischen Naturwaldreservaten (NWR) Mikrohabitate kartiert. Die untersuchten Wälder werden von Buchen, Fichten und Eichen geprägt. So kann ein breites Spektrum von Mikrohabitaten beschrieben werden, wie es sich nach nun fast 50 Jahren seit den letzten planmäßigen Eingriffen in den Wäldern darstellt.
In dem Projekt erfolgte eine Aufnahme der Mikrohabitate aller Bäume auf den Repräsentationsflächen, die jeweils rund einen Hektar Größe aufweisen. Um die Daten untereinander zu vergleichen, wurden die Werte im Anschluss auf einen Hektar normiert.
Die Gesamtzahl der Mikrohabitate pro Hektar schwankt zwischen 118 im durch Sturm und Borkenkäfer aufgelichteten NWR 88 „Grübel" unweit des Arber-Gipfels im Bayerischen Wald und 679 Mi­krohabitaten im NWR 6 „Schelm" mit sei­nem artenreichen Eichen-Hainbuchen-Wald im westlichen Mittelfranken. Im Durchschnitt wurden pro Hektar 413 Mikrohabitate gezählt.
Säulendiagram zeigt die Anzahl der zu Gruppen zusammengefassten Mikrohabitate pro Hektar und 100 Bäume.Zoombild vorhanden

Abb. 3: Anzahl der zu Gruppen zusammengefassten Mikro-habitate pro Hektar (oben) sowie pro 100 Bäume (unten); Unter der Kennzahl der NWR ist der Waldtyp angegeen. (© LWF)

Unter den Waldtypen setzen sich die Eichenwälder mit durchschnittlich 524 Mikrohabitaten deutlich von den Buchenwäldern mit 427 Mikrohabitaten ab. Zwei relativ stammzahlarme NWR 98 „Leitenwies" bei Passau und NWR 41 „Hofwiese" bei Bamberg weisen jedoch eine deutlich geringere Anzahl an Mikrohabitaten auf. Dies verdeutlicht die Grenzen einer rein flächenbezogenen Betrachtung.

Die größten Gruppen von Habitaten bildeten Kronentotholz (96), Höhlen (73) und freiliegendes Splintholz (68). Das Kronentotholz wie auch die Partien mit freiliegendem Splintholz stellen insbesondere bei den Eichenreservaten einen großen Anteil an den Mikrohabitaten. So erreicht Kronentotholz in den Eichenreservaten praktisch den doppelten Wert (159) gegenüber den Buchenreservaten mit 84 Elementen. Beim freiliegenden Splintholz erreichen Buchen- und Eichenwälder mit über 80 Elementen dasselbe Niveau. Das fichtendominierte NWR 73 »Wettersteinwald« bei Garmisch-Partenkirchen weist mit 191 Höhlen die höchste Höhlenzahl auf. Auch im Bergmischwald 68 „Tuschberg" bei Wildbad Kreuth findet sich mit 105 Höhlen ein hoher Wert. Bei den Buchen- und Eichenwäldern wurden im Schnitt je rund 68 Höhlen beobachtet.

Normierte Betrachtung der Mikrohabitate

Wie so oft gibt es verschiedene Möglichkeiten, einen Wert zu interpretieren. So erreichen bei der Betrachtung von jeweils 100 Bäumen einer Fläche stammzahlarme Bestände wie das NWR 133 „Hoher Knuck" im Spessart und 111 „Stückberg" im Oberpfälzer Wald, zwei typische Buchenaltbestände, die höchsten Werte an Mikrohabitaten. Sie liegen damit vor den beiden Eichenreservaten 32 „Seeben" in Mittelschwaben und 7 „Heilige Hallen" in Westmittelfranken. Dabei zeigen die in den beiden Eichenwäldern prägenden alten Bäume praktisch über alle Gruppen von Mikrohabitaten sehr hohe Werte.

Mikrohabitatzahlen im Vergleich

Durchschnittlich 250 Mikrohabitate pro Hektar konnte Winter (2008) mit einem ähnlichen Mikrohabitatschlüssel in seinen Untersuchungen in alten Naturwaldreservaten nachweisen. In der Schweiz wurden in einzelnen Marteloskopen dagegen 458 bis 735 Mikrohabitate gefunden (Krumm et al. 2019). Blaschke et al. (2024) konnten bei Probekreisaufnahmen in dem neu ausgewiesenen NWR „Weisssteinig" im Spessart an den Einhängen zum Main, das zuvor bereits viele Jahre nur extensiv bewirtschaftet wurde, 398 Mikrohabitate pro Hektar beobachten. Dominierend war hier allerdings freiliegendes Splintholz in Folge von Rotwildschälschäden. Insgesamt waren es aber auch dort 29 Typen von unterschiedlichen Mikrohabitaten, die nachgewiesen werden konnten.
Totäste und Starkastbruch, Moosbewuchs an den Stämmen sowie Stammfußhöhlen und Mulmhöhlen mit Bodenkontakt wurden in einem europäischen Projekt als die häufigsten Mikrohabitate in älteren Buchenbeständen ausgemacht (Mamadawhvili et al. 2023). Die Studie zeigte auch, wie die Zahl der Mikrohabitate vom Baumdurchmesser abhängt. So treten an dickeren Bäumen signifikant mehr Mikrohabitate je Baum auf. Der Einfluss des Baumdurchmessers von Buchen auf die Ausbildung von verschiedenen Mikrohabitaten wie Spechthöhlen und wassergefüllten Baumhöhlen, den sogenannten Dendrotelmen, ist deshalb bei Vergleichen zwischen Gebieten zu beachten (Courbaud et al. 2021 und Asbeck 2022). Im Vergleich zwischen Wirtschaftswäldern und Prozessschutzflächen konnten die Autoren bei einigen Typen von Mikrohabitaten wie Faulhöhlen, Pilzbäumen und Bäumen mit Tumoren bzw. Krebsen höhere Zahlen in den Prozessschutzflächen finden. Bei anderen Mikro­habitaten, wie den Spechthöhlen, gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Nutzungsformen bei gleichen Durchmesserverhältnissen.
Offener, aufgerissener und ausgeholter Stammfuß.

Abb. 4: Mulmhöhle ohne Bodenkontakt. (© A. Siemonsmeier)

Bemooster Baumstamm mit Fruchtkörpern von Baumpilzen.

Abb. 5: Mehrjährige Porlinge (hier: Zunderschwamm) (© A. Siemonsmeier)

Große, runde Auswucherung am Fuß eines Baumes.

Abb. 6: Maserknolle (© A. Siemonsmeier)

Verzweigter Baum mit viel Moos am Stamm.

Abb. 7a: Epiphytenbaum (© B. Mittermeier)

Baum mit einem Horst in der Krone.

Abb. 7b: Horstbaum (© J. Belz)

Mikrohabitate und Biodiversität

Winter (2008) zeigt den Zusammenhang von bestimmten Mikrohabitaten mit einzelnen Arten, die von diesen profitieren oder gar von spezifischen Mikrohabitaten sehr stark abhängig sind. Von Zunderschwammbäumen profitieren beispielsweise 464 Arten. 56 Arten sind sogar streng an diese Struktur gebunden. Auch aufgrund der besonderen Bedeutung von Mikrohabitaten für die Artenvielfalt der Insekten (Wermelinger und Gossner 2021) kann hergeleitet werden, dass Prozessschutzflächen und analog die Habitatbäume im Wirtschaftswald einen besonderen Stellenwert für die Biodiversität in Wäldern haben. Mikrohabitate sind zwar nicht „der Indikator", der den Artenreichtum in Wäldern in seiner Fülle erklären kann, aber sie haben das Potenzial, gewisse Beziehungen zu einer Reihe von Arten aus verschiedenen waldbewohnenden, taxonomischen Gruppen anzuzeigen (Asbeck et al. 2021).

Zahlen zu Mikrohabitaten aus Naturwaldreservaten als Referenzwerte

Mit der Erfassung von Mikrohabitaten steht somit ein weiteres Instrument zur Verfügung, das uns helfen kann, Auswirkungen von unterschiedlichen waldbaulichen Maßnahmen auf die Biodiversität zu quantifizieren und zu beurteilen. Auf der Grundlage der hier vorgelegten Werte können Daten aus anderen Beständen, seien es bewirtschaftete Wälder oder andere Prozessschutzflächen, besser eingestuft werden.
Praxistipp: Wer nun selbst als Praktikerin oder Praktiker im Wald nach den vielfältigen Lebensräumen suchen möchte, dem sei das Taschenbüchlein von Bütler et al. (2020) empfohlen. Für die Ansprache und Beurteilung dieser Strukturen stellt das kleine Taschenbuch eine sehr gute Grundlage zur Verfügung.
Weitere Informationen zum Buch finden sich in der Rubrik „Medien" in dieser Ausgabe von LWF aktuell.

Zusammenfassung

Mikrohabitate, oftmals gern übersehene Strukturen an Bäumen wie Spechthöhlen, Kronentotholz oder Mulmhöhlen, dienen als Lebensraum für zahlreiche Arten und gelten als Indikatoren für Biodiversität und Naturnähe in Wäldern. Ihre vereinfachte Erfassung kann ein Kri­terium sein, ökologische Werte zu beurteilen, da eine vollständige Erhebung aller Arten oft zu aufwendig ist. Verschiedene Studien zeigen, dass Mikrohabitate in alten und naturnahen Wäldern häufiger auftreten, wobei Faktoren wie Baumdurchmesser und Waldtyp entscheidend sind. Im Projekt „Lebendiges Totholz" konnte gezeigt werden, dass es sehr entscheidend ist, eine geeignete Bezugsgröße für die Erhebungen zu finden. So ergaben etwa Hektarwerte ein völlig anderes Bild als stammzahlbezogene Auswertungen für die Waldbestände. Eichen­bestände zeigten grundsätzlich eine vielfältige Ausstattung an Mikro­habitaten, aber gerade Buchenbestände mit größeren Dimensionen waren stammzahlbezogen teilweise überlegen.

Literatur

  • Asbeck, T., Großmann, J., Paillet, Y., Winiger, N., & Bauhus, J. (2021). The use of tree-related microhabitats as forest biodiversity indicators and to guide integrated forest management. Current Forestry Reports, 7(1), 59-68.
  • Asbeck, T., Kozák, D., Spînu, A. P., Mikoláš, M., Zemlerová, V., & Svoboda, M. (2022). Tree-related microhabitats follow similar patterns but are more diverse in primary compared to managed temperate mountain forests. Ecosystems, 25(3), 712-726.
  • Blaschke, M., Schuhmann, P. & Kudernatsch, T. (2024), Versteckte Lebensstätten; Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt, (22), 28-29
  • Brändli, U. B., Abegg, M., Düggelin, C., & Traub, B. (2021). Baummikrohabitate im Schweizer Wald und im Buchenurwald Uholka-Schyrokyj Luh. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 172(5), 286-299.
  • Bütler R., Lachat T., Krumm F., Kraus D., Larrieu L. (2020) Taschenführer der Baummikrohabitate. Beschreibung und Schwellenwerte für Feldaufnahmen. Birmensdorf: Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. 58 S.https://www.wsl.ch/de/publikationen/taschenfuehrer-der-baummikrohabitate/
  • Courbaud, B., Larrieu, L., Kozak, D., Kraus, D., Lachat, T., Ladet, S., ... & Zudin, S. (2021). Factors influencing the rate of formation of tree‐related microhabitats and implications for biodiversity conservation and forest management. Journal of Applied Ecology, 59(2), 492-503.
  • Großmann, J., & Pyttel, P. (2019). Mikrohabitate und Baumdimension als Grundlage der Habitatbaum-auswahl im Bergmischwald. Natur und Landschaft, 94(12), 531-541.
  • Großmann, J. & Carlson, L. (2021). Erfassung biodiversitäts-relevanter Waldstrukturen an Einzelbäumen und Baumgruppen: Methodenleitfaden zur systematischen Erhebung von Baum-Mikrohabitaten und Totholz, Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. DOI: 10.6094/UNIFR/193828
  • Kraus, D., Bütler, R., Krumm, F., Lachat, T., Larrieu, L., Mergner, U., Paillet, Y., Rydkvist, T., Schuck, A. & Winter, S. (2016): Katalog der Baummikrohabitate – Referenzliste für Feldaufnahmen. – Integrate+ Technical Paper Nr 13: 16 Seiten.
  • Kraus, D., & Schuck, A. (2016). Mikrohabitatstrukturen im Wald: Ein Schlüssel zur Erhaltung von gefährdeten Arten. ANLiegen Natur, 38(1), 99-101.
  • Krumm, F., Lachat, T., Schuck, A., Bütler, R., & Kraus, D. (2019). Marteloskope als Trainingstools zur Erhaltung und Förderung von Habitatbäumen im Wald. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 170(2), 86-93.
  • Larrieu, L., Paillet, Y., Winter, S., Bütler, R., Kraus, D., Krumm, F., ... & Vandekerkhove, K. (2018). Tree related microhabitats in temperate and Mediterranean European forests: A hierarchical typology for inventory standardization. Ecological Indicators, 84, 194-207.
  • Liniger, E.C. (2023). Entwicklung von Bäumen und Baummikrohabitaten im unbewirtschafteten Wald über 8 Jahre. Semesterarbeit der Berner Fachhochschule, https://www.parcs.ch/wpz/pdf_public/2023/53388_20231108_125301_Elias_Liniger_2023_Habitatbaeume.pdf (letzter Abruf: 19.09.2024)
  • Wermelinger, B., & Gossner, M. Förderung der Insektenbiodiversität im Schweizer Wald, Eine Synthese nationaler und internationaler Forschung. Eidg. Forschungsanstalt WSL, Birmensdorf, 45 S.
  • Winter, S. (2005). Ermittlung von Struktur-Indikatoren zur Abschätzung des Einflusses forstlicher Bewirtschaftung auf die Biozönosen von Tiefland-Buchenwäldern. Dissertation an der TU Dresden, 322 S.
  • Winter, S. (2008). Mikrohabitate und Phasenkartierung als Kern der Biodiversitätserfassung im Wald. LWF aktuell, 63, 40-42.

Beitrag zum Ausdrucken

Weiterführende Informationen

Autoren

  • Markus Blaschke
  • Margret Frischhut
  • Angela Siemonsmeier