Die Edelkastanie Castanea vulgaris Lam., aus E. A. Roßmäßler: Der Wald (1881) – LWF Wissen 81
Die Edelkastanie steht zwischen der Buche und den Eichen, jedoch letzterer näher, indem sie den Eichen nicht allein bezüglich der Keimung, sondern auch hinsichtlich der Zusammensetzung des Holzes und der Rinde ähnelt. Mit der Buche hat sie eigentlich nur die Entwicklung und Gestaltung der Frucht gemein. Die an Aesten und jungen Stämmen glatte, durch Krustenflechtenentwicklung bald weißfleckig werdende Rinde verwandelt sich allmälig in eine eichenähnliche rissige dunkelbraune Borke. Auch das Holz ähnelt dem Eichenholz sehr, entbehrt aber der sichtbaren Markstrahlen.
Der in der Jugend stets schlanke Stamm wird im Schlusse langschäftig, gerade und vollholzig, bei freiem Stande dagegen kurzschäftig und dick, erreicht übrigens auch in geschlossenen Beständen selten über 20 Met. Höhe. Die bei im Schlusse erwachsenen Bäumen kleine und hoch angesetzte Krone reicht bei freistehenden, deren Stamm sich meist in mehrere Starke Aeste zertheilt, tief hinab und erreicht dann zugleich oft einen bedeutenden Umfang. Nach dem Abhiebe entwickeln selbst noch alte Stämme sehr reichlichen und rasch wachsenden Stockausschlag, weshalb sich die Edelsastanie ebenso gut, ja fast noch besser zum Niederwaldbetrieb eignet, wie die Eichen.
An den Boden macht die Edelkastanie ähnliche Ansprüche, wie die Buche, in deren Gesellschaft sie häufig vorkommt. Sie liebt einen lockern, tiefgründigen frischen bis mäßig feuchten Verwitterungsboden, wobei die unterliegende Gesteinsart von geringem Einfluß zu sein scheint. Gleich der Rothbuche läßt sie unter ihren tiefschattenen Kronen nicht leicht eine andere Holzart aufkommen, weshalb sie vorherrschend in reinen, geschlossenen Beständen auftritt, deren Boden wie im Buchenhochwald fast nur mit Laubstreu bedeckt ist. Ihre natürliche geographische Verbreitung beweist, daß die Edelkastanie lang andauernde Winterkälte nicht zu ertragen vermag, obwohl sie, wenigstens als erwachsener Baum, vom Frost weniger leidet als der Wallnußbaum.
Wegen ihrer eßbaren und wohlschmeckenden Früchte spielt die Edelkastanie zugleich die Rolle eines Obstbaumes. In den Heimatländern dieses schönen Baumes dienen seine Früchte nicht allein dem Menschen als tägliche Speise, sondern auch zur Mästung der Schweine.
Die forstliche Bedeutung der Edelkastanie ist für die Gegenden, wo sie als bestandsbildender Waldbaum gedeiht, keine geringe. Ihr dem Eichenholz sehr ähnliches Holz eignet sich ganz vorzüglich zu Faßdauben, angeblich noch besser, als das Eichenholz. Thatsache ist, daß die portugiesischen, spanischen, sizilianischen, und süditalischen Weine fast ausnahmslos in Fässer aus Kastanienholz gefüllt werden und daß in neuester Zeit die preußische Regierung den Anbau der Kastanie im Großen in den Rheinprovinzen zu Gewinnung von Faßdauben und Weinpfählen empfohlen und angeordnet hat. Weinpfähle und Reisstäbe liefern namentlich die Kastanien-Niederwälder in großer Menge und von vorzüglicher Güte.
Hinsichtlich der Ausschlagsfähigkeit übertrifft die Edelkastanie fast alle übrigen Laubholzarten Europas. Noch hundertjährige Bäume auf den Stock gesetzt, entwickeln unzählbare Stocklohden, welche schon im ersten Jahre bis 1 Met. Länge erreichen. Wenn solche Stocklohden im zweiten oder einem späteren Jahre nach Art der Weinreben in den Boden niedergebeugt (»abgegrubt« sagt man in Krain) werden, so bewurzeln sie sich binnen einem oder zwei Jahren so vollständig, daß sie vom Mutterstock abgetrennt und als selbständige Pflanzen versetzt werden können.
Hinsichtlich der Dauerhaftigkeit steht das Kastanienholz dem Eichenholze wenig nach, ja als Zaun- und Bedachungsholz übertrifft es sogar dieses. Dagegen ist es als Brennholz kaum zu gebrauchen, da es nur zu glühen pflegt und dabei sehr spritzt und sprüht. Wohl aber liefert es eine vorzügliche, große Hitzkraft besitzende Kohle.
Obwohl die Edelkastanie eine raschwüchsige Holzart ist, wenigstens in ihrer Jugend, so vermag sie doch ein sehr hohes Alter und dann eine sehr bedeutende Stammstärke und Kronenumfang zu erreichen. Der älteste und stärkste Kastanienbaum in Europa ist der seit Jahrhunderten berühmte Castagno dei cento cavalli am Aetna, dessen seit Menschengedenken hohler, in 5 Stücke getheilter Stamm einen Umfang von 64 Met. besitzt.
[i]Erschienen in: E.A. Roßmäßler: Der Wald (1881)[/i]
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