LWF aktuell 147
Kiefernschadinsekten – Profiteure im Klimawandel?
von Cornelia Triebenbacher und Hannes Lemme
In den bayerischen Kieferngebieten kam es schon seit mehreren Jahrzehnten zu keiner (größeren) Massenvermehrung nadelfressender Insekten mehr. Allerdings haben sich insbesondere in den letzten Jahren gravierende klimatische Veränderungen eingestellt, die sich auch auf die Kiefernschadinsekten auswirken. Die Überwachung der Schadinsekten muss sich an diese Gegebenheiten anpassen.
Ein Blick zurück …
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Abb. 2: Gesellig fressende Diprion-Larven an einer jungen Kiefer. (© C. Triebenbacher, LWF)
Vor 100 Jahren lösten Forstinsekten wie Forleule, Kiefernspanner oder Nonnen bei Forstleuten in den bayerischen Kieferngebieten noch große Sorgen aus. Beispielsweise fielen 1894–96 mehr als ein Drittel der Kiefern im Nürnberger Reichswald dem Kiefernspanner zum Opfer, mehr als 12.000 Hektar waren entnadelt. Die letzte große Massenvermehrung an der Kiefer war 1987/1988 in Mittelfranken durch die Forleule und Nonne zu verzeichnen, also vor mehr als 30 Jahren. Die letzte größere Massenvermehrung der Nonne fand 1995 im Frankenwald und der Oberpfalz statt. Sie betraf jedoch vornehmlich Fichtenbestände und weniger Kiefernbestände.
Nur noch wenige Waldbesitzende und noch viel weniger aktive Försterinnen und Förster haben also eine Massenvermehrung von Kieferninsekten hautnah erlebt. Trotzdem werden die zur Massenvermehrung neigenden Schmetterlinge und Blattwespen immer noch regelmäßig überwacht. Dies betrifft die an Kiefer und Fichte fressende Nonne (Lymantria monacha) ebenso wie die ausschließlich an Kiefer lebenden Forleulen (Panolis flammea), Kiefernspanner (Bupalus piniaria), Kiefernspinner (Dendrolimus pini) und die Gemeine Kiefernbuschhornblattwespe (Diprion pini).
Warum ein solches Monitoring – trotz lange zurückliegender Kalamitäten – weiterhin notwendig ist und vielleicht sogar künftig noch wichtiger wird, wollen wir später beantworten. Zuvor gehen wir kurz auf die einzelnen Arten und ihre Biologie ein.
Kleines Einmaleins der nadelfressenden Kiefernschadinsekten
Nonne, Forleule, Kiefernspanner und Kieferneule benötigen für eine Generation jeweils ein Jahr; sie überwintern einmal. Die Nonne überwintert fertig entwickelt als Eiraupe im Ei unter Rindenschuppen am Stamm. Kiefernspanner und Forleule überdauern den Winter als Puppe, die Kiefernbuschhornblattwespe als Kokon im Boden.
Nur bei der Kiefernbuschhornblattwespe kann es in sehr heißen Frühsommern zur Ausbildung einer zweiten Generation im gleichen Jahr kommen, die dann im Juli bis September frisst. Kokons dieser Art können aber auch jahrelang im Boden liegen, ehe die Blattwespen schlüpfen.
Kiefernspinner brauchen für ihre Entwicklung ein bis zwei Jahre. Die Raupen fressen im Herbst. Sie gehen dann im Spätherbst zum Überwintern in den Boden am Stammfuß. Reicht die Wärme im nachfolgenden Frühjahr und Sommer nicht für den Abschluss der Larvenentwicklung, frisst sie weiter bis in den Herbst, überwintert als Larve den zweiten Winter und schließt dann im Sommer ihre Entwicklung zum Falter ab (Abbildung 1).
Abb. 1: Lebenszyklen wichtiger nadelfressenden Kiefernschadinsekten; von Jahr zu Jahr kann es witterungs-abhängig zu Verschiebungen kommen. (© LWF)
Die Nonne, der Kiefernspanner und die Forleule bevorzugen mittelalte Kiefernbestände auf ärmeren Standorten. Während Massenvermehrungen der Nonne eher in überbestockten, zu dichten Kiefernwäldern ausbrechen, wird die Vermehrung des Kiefernspinners und der Kiefernbuschhornblattwespe in lichten Beständen gefördert.
Auch der Heidelbeerspanner sollte nicht vergessen werden. Er lebt zwar hauptsächlich an Heidelbeere, kann aber als ältere Larve bei Nahrungsmangel aufbaumen und Altnadeln der Kiefer befressen. Der Fraß in der Kiefer erfolgt ab der Sommersonnwende bis in den September (Lobinger 2007). Die Schadwirkung ist daher vergleichbar mit dem Fraß des Kiefernspanners.
Extensivierung der Überwachungsverfahren
Das klassische Verfahren zur Überwachung der Kiefernschadinsekten (mit Ausnahme der Nonnen) ist die Winterbodensuche. Dabei wird in ausgewählten Beständen in einem vorgegebenen Raster auf 10 kleinen Flächen (à 0,5 m²) der Boden nach den Überwinterungsstadien abgesucht. Dieses Verfahren bietet mehrere Vorteile:
• Es werden mehrere Arten gleichzeitig überwacht.
• Die Überwachung erfolgt im Spätherbst, so dass ausreichend Zeit für eine Entscheidungsfindung bleibt.
• Es kann direkt das Geschlechterverhältnis, die Schlupfbereitschaft und die Parasitierung der Überwinterungsstadien beurteilt und somit eine genauere Aussage
über die tatsächliche Gefährdung getroffen werden.
Dieses Verfahren wurde bis 2019 in den Forstrevieren der ÄELF und der BaySF jährlich durchgeführt. Allerdings war diese Arbeit sowohl für die Suchenden vor Ort als auch für die Mitarbeiter der LWF sehr zeitintensiv und kostenaufwändig.
Seit 2019 wurde daher die Winterbodensuche in der Latenzzeit ausgesetzt. Die Forleule wird seitdem zwischen Ende Februar bis Ende April mit Pheromonfallen überwacht. Für die anderen zu überwachenden Arten (Kiefernspanner, Kiefernbuschhornblattwespe) werden Lockstoffe nicht kommerziell angeboten. Daher wurden für den Kiefernspanner, die Kiefernbuschhornblattwespe und den Heidelbeerspanner bestimmte Zeitpunkte definiert, an denen die Försterinnen und Förster vor Ort die Bestände der ehemaligen Winterbodensuche gezielt nach Befallsmerkmalen beobachten. Im Juni und September wird auf auffälligen Falterflug, Fraßspuren und Kotfall geachtet. Aktuell wird der Kiefernspinner (noch) nicht berücksichtigt.
Was ist wann zu beobachten?
Die Flugaktivität der Kiefernspannerfalter findet von Mai bis Juli statt, vereinzelt sogar bis in den August hinein. Dabei konzentriert sich der Haupt-Schwärmflug auf den Juni. Am besten ist der Schwärmflug tagsüber bei warmer, sonniger und windstiller Witterung und im Bestandesinneren zu beobachten. Die Falter bewegen sich in hohen Dichten mit auffällig taumelndem Flug im Bereich der Kiefernkronen. Daran nehmen fast nur die Männchen teil; die Weibchen sitzen träge am Unterwuchs oder in den Kronen. Erste Kiefernspannerraupen sind ab Juli zu finden. Der Fraß erfolgt zunächst an den Altnadeln (Abbildung 3). Aufgrund der langen Schwärm- und Eiablagezeiten und des langsamen Fraßes (bis November) sind Schäden erst im Herbst erkennbar. Die Beobachtung des Fraßes erfolgt daher im September. Ist solcher erkennbar, sollten Kotfalltücher ausgelegt werden, um das Ausmaß besser einschätzen zu können. Fraß an der Kiefer kann auch der Heidelbeerspanner verursachen. Diesem geht jedoch immer ein starker Fraß der Heidelbeere am Boden voraus, während Preiselbeere, Heidekraut und Gräser nicht angenommen werden.
Abb. 3: Befressene Altnadeln in Kiefernkronen (links und in der Mitte) und an Verjüngung (rechts) durch spätfressende Kiefernschadinsekten im September. Übrig bleiben nur die Mainadeln. Je nach Zeitpunkt des Auftretens können Larven verschiedener Schadorganismen verantwortlich sein. Die Bilder zeigen Kiefernbuschhornblattwespenfraß im Oktober 2023, Altdorf bei Nürnberg. (© H. Lemme, LWF)
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Abb. 4a: Trapezförmiger, sehr typischer Kot der Kiefernbusch-hornblattwespe auf einem Waldweg (rechts), links ist der Kot stark vergrößert dargestellt. (© C. Triebenbacher, LWF)
Schwärmflug und Eiablage der Kiefernbuschhornblattwespen erfolgen im April/Mai. Der Fraß der Larven der ersten Generation im Juni/Juli in den Kronen der Altbäume wird meist nicht auffällig. Deshalb ist es ratsam, mit einem Fernglas in die Kronen zu schauen, ob die älteren Nadeljahrgänge Fraßspuren aufweisen (Abbildung 3). Ggf. ist auch das Rieseln des Kotes zu hören und Kotkrümel können auf den Waldwegen gefunden werden (Abbildung 4). Bei sehr warmer und trockener Witterung im Frühjahr sollte im Juni jedoch neben dem Fraß in der Kiefernkrone auch auf Anzeichen für die Bildung einer zusätzlichen Sommergeneration geachtet werden. Diese ist erkennbar an auffälligem Vorkommen von oberirdischen Kokons am Unterwuchs oder in der Kiefernborke bzw. bei jungen Bäumen zwischen den Nadeln (Abbildung 5). Der Fraß der zweiten Generation von August bis Oktober verstärkt den Nadelverlust noch erheblich. Besonders tritt dieser dann auch an der Verjüngung auf, wo man die Larven bei der Beobachtung im September noch gesellig fressend finden kann.
Bei Nahrungsknappheit sieht man am Stamm der Kiefern bzw. am Boden auch massenhaft wandernde Larven auf Nahrungssuche. In den Kronen der Altkiefern ist der Fraß dann meist deutlich erkennbar. Auch die Sommerkokons sind auffällig.
Der Falterflug der Nonne wurde viele Jahre seit 1980 in Bayern durch Lockstofffallen mit einer genormten Leimfläche überwacht. Dieses Verfahren wurde 2010 auf die bekannten Variotrap-Fallen umgestellt (Lobinger et al 2012).
… und der Blick voraus
Wesentliche Kriterien für die Gefährdung von Kiefernbeständen durch die oben genannten Arten sind der Zeitpunkt des Fraßes und die Dauer der Massenvermehrung.
In der Regel ist die Entnadelung der Kiefer im ersten Fraßjahr bei Arten mit spätem Fraß wie etwa dem Kiefernspanner, der 2. Generation der Kiefernbuschhornblattwespen und dem Herbstfraß beim Kiefernspinner tolerierbar. Je früher im Jahr die Raupen zu fressen beginnen, desto gefährlicher wird es für die Kiefer. Das gilt v. a. für den Frühjahrsfraß des Kiefernspinners nach der Überwinterung und den Fraß der Mainadeln durch die Forleule. Sie zerstören die Knospenanlage des nachfolgenden Jahres und wirken tödlich.
In den letzten Jahren sind die Kiefern jedoch weiteren Einflüssen wie zum Beispiel intensiver Trockenheit, Mistelbefall oder auch Befall durch Phytopathogene wie dem Kieferntriebsterben ausgesetzt gewesen. So führte schon starker Nadelfraß, nicht Kahlfraß, durch die Kiefernbuschhornblattwespe im Spätsommer 2009 in der Letzlinger Heide (Sachsen-Anhalt) zum Absterben der Bestände. Detaillierte Untersuchungen zeigten bei absterbenden Kiefern den Befall durch Diplodia-Triebsterben. Nach Lehrbuchmeinung hätte dieser späte Fraß nicht zum Absterben führen dürfen (Langer, Bressem, Habermann 2011). Somit wird es schwierig, die Folgen von Fraß unter den genannten neuen Rahmenbedingen zu prognostizieren.
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Abb. 5a: Die Sommerkokons der Kiefernbuschhornblattwespe sind ab Juni an verschiedenen Stellen des Baumes zu finden. (© C. Triebenbacher, LWF)
Mit der Einstellung der Winterbodensuche wurde auf Veränderungen in der Populationsdynamik der Forstinsekten reagiert. Wir gehen davon aus, dass Massenvermehrungen der Forleule und des Kiefernspanners seltener und durch den seit Jahrzehnten laufenden Waldumbau nur noch auf kleinerer Fläche stattfinden werden. Mit den Lockstofffallen für die Forleule gibt es für diese gefährliche frühfressende Art zudem ein effizientes Werkzeug zur Überwachung.
Gleichzeitig erwarten wir, dass andere Arten von den heißeren Sommern der vergangenen Jahre profitieren – namentlich die Kiefernbuschhornblattwespe und möglicherweise auch der Kiefernspinner. Bei Kiefernbuschhornblattwespe und Kiefernspinner laufen bereits erste Versuche zur Überwachung mit Lockstofffallen. Sollte ein Monitoring zur Kiefernbuschhornblattwespe und zum Kiefernspinner mit Lockstofffallen eingeführt werden, werden wir diese Verfahren auf die wärmsten und offenen Kiefernbestände beschränken. Ob bei der Kiefernbuschhornblattwespe ein Pheromon jährlich beschafft werden kann ist noch offen. Bei der Nonne planen wir mittelfristig eine weitere Reduktion der Anzahl der überwachten Bestände. Bereits in den vergangenen Jahren sank die Anzahl der überwachten Bestände von etwa 900 im Jahr 2010 auf nunmehr aktuell 600 Überwachungsbestände.
Mit den unterschiedlichen Überwachungsmethoden erhalten wir Informationen, ob mit einer Massenvermehrung gerechnet werden muss. Völlig unabhängig davon ist jedoch die Entscheidung, wie mit einer Massenvermehrung umgegangen wird. Neben den biologischen Rahmenbedingungen (wer frisst, wann, wie lange, wo, bei welcher Vorschädigung, bei welchen Auswirkungen auf Nichtzielorganismen, …) und der Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln (bei manchen Arten stehen keine zur Verfügung oder müssten per Notfallzulassung beantragt werden) wird die Entscheidung der Eigentümer maßgeblich sein, ob sie eine Pflanzenschutzmittelbehandlung in Erwägung ziehen, sofern keine sonstigen Alternativen bestehen.
Es muss aber auch abgeschätzt werden, wie sich Kahlfraß oder auch starker Fraß auf die Kiefernbestände auswirkt. Insbesondere wenn diese durch die Witterungsextreme der vergangenen Jahre, starkem Mistelbefall und/oder Infektion durch Diplodia bereits massiv vitalitätsgeschwächt sind. Es ist zu befürchten, dass in großen Teilen Bayerns Schäden an der Kiefer im Klimawandel mittelfristig zunehmen werden (Walentowski et al 2007; LWF 2019; Mette & Kölling 2020). Drohen vermehrt Kiefernbestände durch Insektenfraß flächig abzusterben, bekommt die Frage nach dem „Für oder Wider" einer Pflanzenschutzmittelbehandlung auch forstpolitische Relevanz.
Zusammenfassung
Nadelfressende Insekten an der Kiefer werden seit Jahrzehnten mit verschiedenen Verfahren überwacht, um rechtzeitig Massenvermehrungen zu erkennen und um gegebenenfalls mit Pflanzenschutzmitteln eingreifen zu können. Dabei wurden die Verfahren immer wieder angepasst. Zum einen wurden neue arbeitserleichternde Verfahren wie der „Einsatz von Lockstofffallen" oder „Beobachtungen" an ehemaligen Grabungspunkten der Winterbodensuche im Juni und September eingeführt. Zum anderen wurde auch auf veränderte Risiken von Massenvermehrungen einzelner Arten reagiert: Bei Arten, bei denen wir erwarten, dass Massenvermehrungen seltener auftreten, wurde der Arbeitsaufwand reduziert, bei Arten, die auf wärmere Frühjahre und Sommer positiv reagieren, wurden neue Verfahren aufgebaut.
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