Gregor Aas
Die Winterlinde (Tilia cordata): Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie - LWF-Wissen 78

Die Winterlinde (Tilia cordata, Malvaceae, Malvengewächse, Unterfamilie Tilioideae, Lindengewächse) ist neben der Sommerlinde (T. platyphyllos) die zweite in Mitteleuropa einheimische Lindenart. Dargestellt werden neben der Verbreitung, der Morphologie, der Ökologie und der Reproduktionsbiologie der Winterlinde, insbesondere die Unterscheidung von der Sommerlinde.

Die Gattung Tilia und die bei uns vorkommenden Arten

Große solitäre WinterlindeZoombild vorhanden

Abbildung 1: Winterlinde am so
genannten »Käppele« bei Dettighofen im südbadischen
Klettgau. Foto: G. Aas

Zu den Linden (Tilia, Familie Malvengewächse, Malvaceae, Unterfamilie Lindengewächse, Tilioideae) gehören etwa 25 sommergrüne Baum- und Straucharten, die in der gemäßigten Zone der Nordhemisphäre verbreitet sind. In Mitteleuropa sind zwei Arten einheimisch, die Winterlinde (Tilia cordata MILL.) und die Sommerlinde (T. platyphyllos SCOP.).

Beide Linden sind als Waldbäume bei uns weit verbreitet, kommen aber immer nur vereinzelt oder in kleinen Gruppen vor. Selten treten sie bestandsbildend auf größerer Fläche auf. Häufig sind sie außerhalb des Waldes gepflanzt, beispielsweise als Dorflinden, als Solitäre an Kirchen und Kapellen oder in Alleen (Abbildungen 1 und 2).

Viele Sagen, Mythen, Gebräuche und Ortsnamen, die auf die Linde zurückgehen, belegen ihre große kulturelle Bedeutung im Leben der Menschen früherer Jahrhunderte. Diese Wertschätzung beruhte auch auf den vielfältigen Nutzungen. Das Holz war begehrt in der Schnitzerei, der Bast als Bindematerial lange Zeit unersetzlich und die Blätter und Blüten wurden für Heilzwecke verwendet. Bis heute spielen Linden in der Gartenkultur und im Landschaftsbau eine wichtige Rolle und gehören in Urbangebieten zu den am meisten gepflanzten Baumarten.
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Morphologie der Winterlinde und Unterscheidung von der Sommerlinde

BastfasernZoombild vorhanden

Abbildung 5: Die langen, sehr stabilen Bastfasern der Linde lösen sich in dünnen, langen Bändern von der Innenseite der geschälten Rinde. Sie waren früher der begehrte Rohstoff für Binde- und Seilerwaren. Foto: G. Aas

Die beiden heimischen Linden sind stattliche Bäume mit im Freistand weit ausladenden, dicht belaubten und dicht verzweigten, kuppelförmigen Kronen (Abbildung 1). Die zweizeilig beblätterten Sprosse wachsen sympodial, meist etwas zickzackförmig und zunächst auch an den Sprossspitzen waagrecht (plagiotrop), richten sich im Wipfelbereich aber dann nachträglich auf (Bartels 1993).

Typisch für die Kronenarchitektur aller Linden ist die sehr regelmäßig zweizeilige Blattstellung und Verzweigung (Abbildung 4). Seitenzweige können so fächerartig geschlossene Flächen bilden (sogenannte »einschichtige« Baumarten im Sinne einer adaptiven Kronenarchitektur, ähnlich Fagus sylvatica).

Die konsequent realisierte Zweizeiligkeit optimiert bei Tilia-Arten die Lichtausbeute und ermöglicht Schattentoleranz, so dass sie gut im Unterstand von Lichtbaumarten wie der Stieleiche mit ihren eher lockeren, »vielschichtigen« Kronen wachsen können. Allerdings sind Linden selbst aufgrund ihrer dichten Kronen schattenspendend, eine Eigenschaft, die sie als Solitär, Park- und Alleebaum so beliebt macht.
Tabelle 1: Wichtige Merkmale zur Unterscheidung von Tilia cordata und T. platyphyllos
MerkmalWinterlinde (Tilia cordata)Sommerlinde (Tilia platyphyllos)
WinterzweigeSprossachse und Knospen kahlSprossachse v. a. an der Spitze und an den Knoten behaart, meist auch Knospen behaart
LaubblätterStiel und Spreite kahl, Spreite im Mittel kleiner als die der Sommerlinde, unterseits grau- bis blaugrün, Achselbärte bräunlich (anfangs mitunter weißlich), Nerven zwischen
den Blattadern wenig deutlich
Stiel und Spreite behaart, Spreite unterseits hellgrün, Achselbärte weißlich (im Herbst auch bräunlich), die Nerven zwischen den Blattadern als helle Linien deutlich sichtbar
Blüten3 – 11 (16) Blüten pro Blütenstand; Blüte 1 – 2 Wochen nach der Sommerlinde2 – 5 Blüten pro Blütenstand
Früchte5 – 8mm groß, dünnschalig (zerdrückbar),
undeutlich kantig
8 – 10mm groß, hart (nicht oder kaum zerdrückbar), deutlich kantig
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Verbreitung und Ökologie

Politische Karte Europas zeigt das Verbeitungsgebiet von Tilia cordata. Weitere Informationen siehe Text. Zoombild vorhanden

Abbildung 9: Areal von Tilia cordata (verändert nach EUFORGEN)

Tilia cordata kommt in weiten Teilen Europas vor (Abbildung 9). Das Areal erstreckt sich von Nordspanien entlang der Atlantikküste bis nach Großbritannien, von Südskandinavien bis zum Ural und in die südrussische Steppe an der Wolga im Osten und bis zum Kaukasus, der Krim, Nordgriechenland und Mittelitalien im Süden.

Die Winterlinde ist eine gemäßigt kontinentale Art, sie dringt weiter nach Norden und weiter nach Osten in Gebiete mit kontinental getöntem Klima vor als die eher subatlantisch-submediterrane Sommerlinde. Eine wichtige Baumart ist T. cordata in Osteuropa (an und östlich der Arealgrenze der Rotbuche!) in Eichen- Hainbuchen-Linden-Wäldern Polens sowie des westlichen und zentralen Russlands (Abbildung 10).

In Mitteleuropa kommen beide Linden weitgehend sympatrisch vor, sind aber ökologisch differenziert, wenngleich oft nur geringfügig (Gayer 1882; Mayer 1992; Oberdorfer 1994). Tilia cordata hat etwas geringere Wärmeansprüche als T. platyphyllos, ist weniger an ein ozeanisch getöntes Klima gebunden und kommt auch in relativ lufttrockenen Lagen vor.
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Reproduktion und Regeneration

Äste mit Blättern und Blüten der WinterlindeZoombild vorhanden

Abbildung 11: Winterlinde in voller Blüte Foto: G. Aas

Winter- und Sommerlinde blühen vormännlich (protandrisch), d. h. der Pollen wird meist vor der Reife der weiblichen Narbe aus den Staubbeuteln entlassen, um Selbstbestäubung einzuschränken. Bestäubt werden die stark duftenden Scheiben- oder Schalenblumen (Abbildung 11) mit ihrem zuckerreichen Nektar (Zuckerkonzentration je nach Tageszeit zwischen 25% und 70%) durch Insekten, in geringem Umfang auch durch Wind. Das Bestäubungssystem ist eher generalistisch mit einer Vielzahl an blütenbesuchenden Arten. Häufig sind Honigbienen, Hummeln und Schwebfliegen, aber auch nachtaktive Insekten wie Motten an der Bestäubung beteiligt.

Aus dem Fruchtknoten entwickelt sich eine meist einsamige Nuss. Reif bleiben die Früchte noch einige Wochen und oft bis weit in den Winter am Baum (sogenannte »Wintersteher«, Abbildung 12). Ausbreitungseinheit (Diaspore) sind überwiegend die Fruchtstände, die mit Hilfe des zungenförmigen Hochblatts über geringe Distanzen (bis zu 60m, Götz und Wolf 2004) vom Wind ausgebreitet werden können.

Vollreife Samen haben eine mehr oder weniger starke Keimhemmung, weshalb es häufig zum Überliegen kommt, d. h. sie keimen erst im zweiten Jahr nach der Reife oder noch später. Ursache der Dormanz (Keimruhe) ist vor allem die harte, zunächst wasserundurchlässige Frucht- und Samenschale.
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