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Saatversuch im Hochgebirge nach dem Orkan Kyrill: 14 Jahre später
von Marc Kühnbach, Michael Kohlpaintner und Axel Göttlein

Das Bild zeigt eine hügelige Landschaft, auf dem Hügel in der Mitte sieht man viele Baumstümpfe und tote Äste liegen. im Vordergrund stehen einige wenige grüne Nadelbäume.Zoombild vorhanden

Abb. 1: Blick auf die geräumte Windwurffläche im Lattengebirge im Jahr 2008. (© M. Kohlpaintner)

Im Januar 2007 hat der Orkan Kyrill große Schäden in den Wäldern Mitteleuropas angerichtet. So wurden auch auf einem Plateau im Lattengebirge bei Bad Reichenhall ca. 150 ha Bergwald geworfen. Zusammen mit dem Forstbetrieb Berchtesgaden und der Fachstelle für Schutzwaldmanagement in Marquartstein wurden vom Fachgebiet für Waldernährung und Wasserhaushalt der Technischen Universität München verschiedenste Va­rianten zur Wiederaufforstung in einer lang angelegten Versuchsreihe getestet, darunter auch mehrere Saatvarianten.

Versuchsgebiet und Versuchsaufbau

Die Karte zeigt das Berchtesgadener Land.Zoombild vorhanden

Abb. 3: Lage des Versuchsgebietes (© GeoBasis-DE/BKG 2018)

Die Schadfläche befindet sich auf einem Plateau im Lattengebirge auf ca. 1.400 m ü. NN. Das Ausgangsgestein besteht aus Dachsteinkalk, der von flachgründigem Mineralboden oder Tangelhumus überdeckt wird. Hier wurden auf 5 ha mit leichter Südwestexposition Versuchsparzellen mit einer Größe von 20 x 20 m angelegt. Auf insgesamt 16 dieser Parzellen wurden im Frühjahr 2008 die Baumarten Fichte, Lärche und Grauerle mittels Saat ausgebracht. Davon wurde auf jeweils vier Parzellen reine Fichte, Lärche und Grauerle und auf weiteren vier Parzellen eine Mischung aus diesen drei Baumarten gesät. Verwendet wurde zertifiziertes Hochlagensaatgut vom Pflanzgartenstützpunkt Laufen. Für die Ausbringung wurde an 70–90 Saatplätzen pro Parzelle die Bodenvegetation auf einem 40 x 40 cm Quadrat mit einer Wiedehopfhaue komplett entfernt (Abbildung 2). Neben den Saat-Varianten befinden sich auf weiteren Parzellen verschiedenste Varianten zur Wiederbewaldung, darunter die Pflanzung von Laub- und Nadelhölzern, ein Hydrosaatversuch und Flächen zur Beobachtung der Naturverjüngung.
Variantekg/hag/Saatplatzlebende Samen/SaatplatzÜbererdung [cm]leichtes Antreten
Fichte52,53281-2ja
Lärche52,5741-2ja
Grauerle215841nein
Mischung (Fi, Lä, GEr)52,54501-2ja

Abb. 2: Aussaatmengen und Informationen zu den verschiedenen Saatvarianten (© LWF)

Überlebensraten und Wachstum

Um den Erfolg der Saat zu beurteilen, wurden die Saatplätze im Spätsommer 2008 und in mehreren Folgejahren aufgesucht und die Anzahl der lebenden Individuen pro Saatplatz festgestellt. Dabei können auf einem günstigen Saatplatz mehrere Individuen der gesäten Pflanzen angewachsen sein. Wurden an einem Saatplatz keine Bäume gefunden, so wurde dieser als ausgefallen verzeichnet.
Vor allem die Südexposition und die damit einhergehende starke Erwärmung und Austrocknung des dunklen Humus hat viele Samen am Keimen gehindert. Auch in späteren Jahren kam es durch verschiedene Umwelteinflüsse noch zu Ausfällen. Die Ursachen für die Ausfälle waren meistens schwer nachzuvollziehen, da nur tote Pflanzen oder keine Bäume mehr gefunden wurden. Die Hauptgründe für das Absterben dürften jedoch auf eine Beeinflussung durch Wild, Schnee, Mäuse und Konkurrenzvegetation zurück­zuführen sein.
Das Diagramm zeigt den Prozentanteil der belegten Saatplätze der verschiedenen Saatvarianten; die Aufnahmen erfolgten jeweils im August oder SeptemberZoombild vorhanden

Abb. 4: Prozentanteil der belegten Saatplätze der verschiedenen Saatvarianten; die Aufnahmen erfolgten jeweils im August oder September (© LWF)

Abbildung 4 zeigt die Saatplatzbelegung von 2008 bis 2021. Hier fällt auf, dass besonders in den ersten beiden Jahren hohe Ausfälle zu verzeichnen waren. So waren 2010 von allen gesäten Baumarten gerade noch die Hälfte der Saatplätze belegt – in zwei Fällen sogar deutlich weniger (Fichte 43 %; Grauerle 29 %). Auch im Jahr 2011 war nochmals eine deutliche Reduktion der belegten Saatplätze zu verzeichnen. In den Folgejahren fanden bis 2021 keine Aufnahmen mehr statt. 2021 wurden auf ca. 1/3 der Saatplätze von Lärche, Fichte und Saatmischung mindestens ein lebendes Individuum gefunden. Von der Grauerle waren über 80 % der Saatplätze nicht mehr belegt.

Die Ergebnisse stellen eine Zusammenfassung der 16 Saat-Parzellen dar, wobei die Ausfallraten bei der Fichte und der Saatmischung über alle Parzellen ähnlich hoch waren. Auf den Parzellen, die mit Grauerle und Lärche belegt sind, schwanken die Überlebensraten deutlich (überlebende Bäume pro Parzelle: Grauerle 3–35, Lärche 17–43). Nach Ablauf der ersten drei Jahre ist bis zur letzten Aufnahme nur ein geringer Teil der Saat­plätze verschwunden. Hier zeigt sich, dass für den Saaterfolg die ersten Jahre entscheidend waren und nach Etablierung die Überlebenschancen der jungen Bäume deutlich höher waren.
Der Oberhöhen- und Vitalitätsvergleich der gesäten und gepflanzten Bäume zeigt, dass bei Fichte und Lärche die gesäten Bäume deutlich niedriger sind (Abbildung 5). Über alle Varianten hinweg sind die gesäten Fichten ca. 66 cm und die gesäten Lärchen ca. 106 cm niedriger. Zu beachten ist, dass je nach Sortiment die gepflanzten Individuen bereits eine Höhe zwischen 20 und 40 cm aufwiesen und somit einen Wuchsvorsprung hatten. Hinsichtlich der Vitalität sehen die gesäten Individuen etwas besser aus. Insgesamt betrachtet ist die Vitalität aller Baumarten und Varianten in einem guten Bereich. So fehlt nur in einem Fall, bei der Variante „Fichte–Topf–Herbst", ca. 1/5 der Nadelmasse. Der kritische Bereich für den Nadel-/ bzw. Blattverlust liegt bei 50 %, darunter können Bäume noch ausreichen Photosynthese betreiben (Ammer et al., 1985).
Saatmittlere Höhe [cm]durchschittl. Nadel-/Blattverlust [%]
Fichte7511,5
Lärche2428
Grauerle19514
Fichte-Mischung7112
Lärche-Mischung23911
Grauerle-Mischung16914
Pflanzung
Fichte wurzelnackt16616
Fichte Topf Frühjahr12217
Fichte Topf Herbst12919
Lärche wurzelnackt30712
Lärche Topf Frühjahr37013
Lärche Topf Herbst36710

Abb. 5: Höhe und Vitalität 2008 gesäter und gepflanzter Baumarten im Vergleich (© LWF)

Wertung

Ein Nadelbaum mit blauem Himmel und im Hintergrund Bergen.Zoombild vorhanden

Abb. 6: Vermessung einer vitalen Lärche im Jahr 2021 (© M. Gröning)

Insgesamt hat die Saat hinsichtlich der Wiederbestockung der Freifläche kein befriedigendes Ergebnis hervorgebracht. Besonders die Laubbaumart Grauerle, die eigentlich natürlicherweise im Hochgebirge zu finden ist, hatte nur einen sehr geringen Anwuchserfolg. Bei der gemischten Saat haben sich auf den Saatplätzen überwiegend die Fichte und die Lärche durchgesetzt. Auf den 2021 noch vorhandenen Saatplätzen der gemischten Variante wurden 41 % der Plätze von Fichte und 36 % von der Lärche dominiert. Dagegen kam die Grauerle nur noch auf 23 % der Plätze vor.

Gründe für den schlechten Anwuchserfolg der Samen liegen vor allem an der südexponierten Freifläche mit einem dunklen Humusboden, der sich durch die starke Sonneneinstrahlung erhitzt (es wurden Oberflächentemperaturen über 70 °C gemessen) und austrocknet. Die Aufnahmen haben gezeigt, dass bei einem etwas günstigeren Substrat (heller Mineralboden) deutlich mehr Keimlinge auf den Saatplätzen gefunden wurden als auf Plätzen mit hohem Humusanteil (Göttlein et al. 2014). Auch eine leichte Überschirmung durch Begleitvegetation hat sich an manchen Saatplätzen als vorteilhaft erwiesen und die Keimlingszahl erhöht.
Viele kleine Nadelbaum-Keimlinge mit einem Meterstab in die Erde gesteckt.Zoombild vorhanden

Abb. 7: Auf diesem Saatplatz sind von der Saatmischung nur Lärchen aufgelaufen. (© M. Kohlpaintner)

In einem unabhängigen Versuch hat Kutscher (2011) die Saat auf benachbarten Parzellen getestet und für die Freifläche eine Auflaufrate von 3–6 % der ausgebrachten Samen in den ersten Jahren feststellen können. Die Aussaat im Frühjahr hat dabei ein besseres Ergebnis hervorgebracht als die Herbstsaat. Auch hat sich in dieser Studie eine leichte Überdeckung mit Reisig als positiv für den Saaterfolg herausgestellt. Bei einer Pflanzung, die ebenfalls im gleichen Zeitraum auf der Freifläche getestet wurde, waren die Überlebensraten bis 2021 für Fichte und Lärche bei ca. 80 % und damit deutlich höher. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Wiederbewaldung ist das Potential der Naturverjüngung. Eine Untersuchung der Verjüngung von einzelnen Bergahornen auf der Fläche hat gezeigt, dass diese Pionierbaumart, sofern Samenbäume vorhanden sind, nach einem Sturm in kürzester Zeit große Flächen verjüngen kann (Katzensteiner et al. 2016). Die natür­liche Verjüngung weiterer Baumarten wie Fichte, Vogelbeere und Lärche nahm über die Jahre auf der Fläche zu, wodurch die Unterscheidung von Naturverjüngung und Saat immer schwieriger wurde. Jedoch war aufgrund des großen Abstandes zum Altbestand die Naturverjüngung auf den Versuchsparzellen insgesamt sehr gering.

Abb. 8: Die aufgelaufenen Baumarten Grauerle (links) und Fichte (rechts) waren vital, sofern sie sich etablieren konnten. (©M. Kohlpaintner)

Zusammenfassung

Die Wiederaufforstung einer großen Sturmwurffläche ist eine enorme Herausforderung für alle Beteiligten. Besonders die erschwerten Bedingungen im Hochgebirge machen es nicht einfach, einen stabilen und gemischten Wald auf einer Freifläche neu zu etablieren. Die Anlage von Saatplätzen ist ein aufwändiges Verfahren, um die Wiederbewaldung zu beginnen. Dazu kommt die erschwerte Be­schaffung von geeignetem Saatgut. Im Gegensatz zur Saat hatte die Pflanzung auf der untersuchten südexponierten Freifläche mit hohen Anteilen an dunklen Humusauflagen deutlich bessere Erfol­ge, weshalb bei solchen Standorten teures Hochlagensaatgut bevorzugt zur Anzucht von Pflanzen verwendet werden sollte. Auch kann das Potential der Naturverjüngung, wenn noch einzelne Samenbäume vorhanden sind, zur Wiederbewaldung beitragen. Besonders Lichtbaumarten wie der Bergahorn verjüngen sich üppig.

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