Pressemitteilung
„Unsichtbare“ Bewohner: Forschungsprojekt liefert Erkenntnisse zu Wildtierpopulationen im Bergwald

Gams auf einer Bergwald-WieseZoombild vorhanden

Gams im Projektgebiet „Karwendel“ unterhalb der Soierngruppe (© J. Warger, LWF)

Freising, 09.09.2024: Wildtiere suchen gern geschützte Lebensräume auf und sind für uns Menschen daher nicht immer sichtbar. Das trifft auch für unsere heimischen Huftierarten Rotwild, Gamswild und Rehwild zu. Daher besteht teilweise die Befürchtung, dass es im bayerischen Gebirge immer weniger Gämsen, Rehe oder Rothirsche gibt. Andererseits sind die Verbissschäden an jungen Waldbäumen vielerorts offensichtlich. Deswegen gibt es oft Streitigkeiten, wie viele Wildtiere nun tatsächlich auf einer bestimmten Fläche vorhanden sind. Dieser Fragestellung hat sich nun ein wissenschaftliches Forschungsprojekt der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) im Auftrag des Bayerischen Landtags angenommen und in zwei typischen Gebirgslandschaften der Bayerischen Alpen die Populationsgrößen untersucht. Quintessenz: Es gibt dort mehr Tiere als erwartet.

In Kooperation mit den Bayerischen Staatsforsten AöR (BaySF) nahmen die Wildbiologen der LWF die Schalenwildbestände im Bergwald mit innovativen Methoden genauer unter die Lupe. Die wissenschaftlichen Untersuchungen erfolgten dabei in zwei Projektgebieten, im Karwendel mit rund 5.250 ha und im Chiemgau mit rund 7.000 ha. Die beiden ausgewählten Gebiete Karwendel und Chiemgau sind -jedes in seiner Art- sehr typisch für den bayerischen Alpenraum. Allerdings unterscheiden sich die Lebensraumsituation für Wildtiere, die Landnutzung durch Land- und Forstwirtschaft, der Jagdbetrieb oder auch Tourismus in den beiden Untersuchungsräumen wesentlich.

Überraschendes Ergebnis:

Im Herbst 2018 wurden im eher felsigen Projektgebiet Karwendel rund 330 Stück Rotwild und über 1.000 Gämsen festgestellt, Rehwild war dagegen nur sehr selten vertreten. Im stärker bewaldeten Projektgebiet Chiemgau war das Rehwild mit 450 Tieren die häufigste Schalenwildart, gefolgt vom Rotwild. Zusätzlich ermittelten dort die Wildbiologen einen Gamsbestand von etwa 300 Individuen. Die Individuenzahlen in den beiden Gebieten überraschten die Wissenschaftler gleichermaßen wie langjährige Praktiker vor Ort.

Wie erfasst man eigentlich die Anzahl von Wildtieren?

Direkte Sichtzählungen können stets nur einen Teil des tatsächlich anwesenden Schalenwilds, nämlich den „sichtbaren“ erfassen. Deswegen werden modernste Untersuchungsverfahren aus der Wildtiergenetik mit geographischen Informationssystemen und komplexer Statistik kombiniert. Dafür wurden die beiden Projektgebiete flächig nach frischen Kotproben abgesucht und diese anschließend im Labor genetisch analysiert und einzelnen Individuen zugeordnet. Allein aufgrund des steilen Geländes, aber auch des dichten Bodenbewuchses werden bei einer Suche nicht von jedem Tier Kotproben gefunden. Daher wird aus diesen genetisch identifizierten Individuen mit Hilfe der sogenannten „räumlichen Fang-Wiederfang-Methode“ die Gesamtpopulation berechnet.
Die Ergebnisse belegen zum Zeitpunkt der Beprobung sehr individuenreiche Wildbestände in beiden Gebieten. Neben den Populationszahlen überraschten aber auch die Aufenthaltsräume der Tierarten. Durch das verwendete wissenschaftliche Verfahren ist es nämlich möglich, nicht nur die Populationsgröße sondern auch die räumliche Verteilung der Tierarten und der Geschlechter aufzuzeigen. So zeigte sich beispielsweise, dass sich zum Aufnahmezeitpunkt im Chiemgau fast 60% der Gamsböcke im Wald aufhielten. Die Gamsgeißen waren dagegen vermehrt im Offenland bzw. oberhalb der Waldgrenze anzutreffen.
Um den körperlichen Zustand der Wildtiere einzuschätzen, verglichen die Wissenschaftler während vier Jahren das Gewicht oder das Wachstum aussagekräftiger Skelettparameter von über 1.800 im regulären jagdlichen Betrieb erlegten Gämsen, Rothirschen und Rehen. Für alle drei Schalenwildarten konnte dabei in beiden Projektgebieten ein normaler bis guter körperlicher Zustand festgestellt werden. Das lokale Wildtiermanagement baut also auf vitalen Wildbeständen auf. Allerdings gab es auch Unterschiede zwischen den Gebieten: Zum Beispiel waren Gamsgeißen, die im waldreicheren „Chiemgau“ erlegt wurden, tendenziell etwas schwerer als die im felsreicheren „Karwendel“. Zudem wuchsen die Geißen in jungen Jahren im „Chiemgau“ etwas schneller als im „Karwendel“ mit seinen höheren Gamsdichten.
Auf Basis der gewonnenen Forschungsergebnisse erarbeiteten die Projektpartner gemeinsam Empfehlungen für die Weiterentwicklung bestehender Managementkonzepte hin zu einem integralen Wildtiermanagement. Hierbei sollen alle drei Schalenwildarten sowie die Belange der Menschen zum Beispiel in Zonierungskonzepten Berücksichtigung finden. Dabei muss es Ziel sein, die Schutzfunktionen der Bergwälder zu erhalten und zu fördern, sowie geeignete Lebens- und Rückzugsräume für vitale und artenreiche Wildbestände zu schaffen. Auch für ein künftiges Monitoring der Wildtiere, insbesondere der Gams, konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden.
Gefördert wurden die Forschungen durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus.

Weitere Informationen zu Projekten im Bereich der Wildtierbiologie finden Sie hier:

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin
Dr. Wibke Peters
Tel.: +4981614591613
E-Mail: poststelle@lwf.bayern.de