Michael Suda, Anika Gaggermeier, Kilian Ramisch und Nancy Koller
Was Waldbesucher im Wald finden – LWF aktuell 128

Befragung von über 1.000 Waldbesuchern während der Corona-Pandemie

Mit Hilfe einer Online-Befragung von Waldbesucherinnen und Waldbesuchern ist der TUM-Lehrstuhl »Wald- und Umweltpolitik« der Frage nachgegangen, welche Bedeutung der Wald als Erholungsraum für die Menschen während der Corona-Pandemie hat und inwiefern der Wald als frei betretbarer Raum eine natürliche Alternative zum häuslichen Lockdown bietet. Gehen die Menschen häufiger in den Wald und zu welchen Waldorten fühlen sie sich hingezogen?

»Ich ging im Wald so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn.« Was der große Dichter Johann Wolfgang von Goethe hier mit wenigen Worten in seinem Gedicht »Gefunden« zum Ausdruck bringt, steht im Widerspruch zu zahlreichen Forschungsanstrengungen der Wissenschaftsdisziplin der Walderholung der letzten Jahrzehnte.
Hier hat sich der Begriff des »Erholungssuchenden« zur Beschreibung derjenigen Personen etabliert, die zur Entspannung und Regeneration den Wald besuchen.

Waldbesucher vs. Erholungssuchende

Dieser Begriff »Erholungssuchende« verdeutlicht die gegensätzliche Sichtweise auf den Prozess der Erholung. Geht die Walderholungsforschung davon aus, dass Menschen aktiv auf der Suche nach Entspannung im Wald sind, steht bei Johann Wolfgang von Goethe gerade das Zurücklassen von allem willentlichen Streben im Wald im Vordergrund. Die aktuelle medizinische Forschung im Bereich »Wald und Gesundheit« bestätigt Johann Wolfgang von Goethes Walderleben.

Menschen wollen im Wald Erholung finden, die Natur entdecken und nicht bestimmte Waldbilder suchen. Bislang ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt, was genau den sogenannten »Erholungseffekt « im Wald auslöst. Als mögliche Wirkmechanismen werden das besondere Waldinnenklima, das Vorhandensein bestimmter Baumarten oder Waldstrukturen, aber auch die Abwesenheit von Störungen wie zum Beispiel Luftschadstoffe oder Lärm erforscht.

In diesem Kontext ist es wichtig, dass sich die Wissenschaft bei ihrer Entwicklung von Erklärungsmodellen nicht von dem Konstrukt eines Besuchers irreleiten lässt, der sich im Wald auf einer aktiven Suche nach dem schönsten und besten Erholungsort befindet. Wenn sich die Wissenschaft bei ihrer Modellentwicklung ausschließlich dem »Suchvorgang« widmet, so läuft sie Gefahr etwas zu konstruieren, was im Waldalltagserleben der Menschen keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt.

1.000 Waldbesucher befragt

Bild mit Aufruf zum Mitmachen bei der Umfrage hängt an einem BaumZoombild vorhanden

Abb. 1: »Ruft der Wald?« Mit Schildern wie diesem wurden Waldbesucher aufgerufen, sich zu äußern, wie sie den Wald wahrnehmen. (Foto: N. Koller)

Um »mehr Licht ins Dunkel« des Forschungsfeldes der Erholung und Gesundheit im Wald zu bringen, hat ein vierköpfiges Forscherteam am Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik der Technischen Universität München (TUM) eine Online-Befragung von Waldbesucherinnen und Waldbesuchern während der Pandemie durchgeführt.

Die Corona-Pandemie hat erhebliche Veränderungen für das öffentliche Leben und die Bewegungsmöglichkeiten der Menschen im Freien mit sich gebracht. Durch die Ausgangsbeschränkungen wurden städtische, aber auch ländliche Naturräume wie zum Beispiel der Wald, zu den wenigen verbleibenden Orten, die einen Aufenthalt außerhalb des eigenen Wohnumfelds ermöglichten.

Mit Hilfe der Befragung von Waldbesuchern wollten wir herausfinden, wie Menschen den Wald während der Pandemie wahrnehmen und ob sich etwas an ihren Nutzungsverhalten, zum Beispiel die Häufigkeit der Waldbesuche, verändert hat. Insbesondere hat uns interessiert, ob die Menschen gerade in Krisenzeiten auf der »Suche« nach bestimmten Waldorten sind, die Abwechslung und Zerstreuung bieten.

In Kooperation mit den lokalen Forstbehörden stellten wir ab Beginn der ersten Lockerungsmaßnahmen Ende April 2020 in zahlreichen Waldgebieten Schilder (Abbildung 1) mit der Internetadresse zu unserer Online-Umfrage auf. Insgesamt nahmen 1.083 Waldbesucherinnen und Waldbesucher aus 96 Landkreisen in ganz Deutschland an der Online-Befragung teil.

An einer Vielzahl an Orten (u.a. Freising, Augsburg, Vogelsberg, Bamberg) trafen Waldbesucher auf das Hinweisschild »Ruft der Wald?« und wurden mit Hilfe eines QR-Codes gebeten, an der Umfrage teilzunehmen. Neben Fragen nach Assoziationen zur Freude und Ärger (»Bei meinem letzten Waldbesuch habe ich mich gefreut/geärgert über ...«) sollten die Befragten auch die Bedeutung des Waldes für sich selbst seit der Corona- Epidemie einschätzen (»Seit Corona ist der Wald für mich …«).

Zusätzlich wurden folgende Fragen gestellt: »Gehen Sie häufiger oder seltener in den Wald?« »Was sind die Gründe für Ihre Waldbesuche (Wohnumfeld verlassen, in der Natur sein, Abschalten)?« Es folgten die üblichen sozio-demografischen Fragen nach den genutzten Verkehrsmitteln, der Entfernung des Waldes vom Wohnort, der Gruppengröße während des Waldbesuches, dem Alter und Geschlecht.

Der Wald ruft lauter seit Corona

Auf die Frage nach der Häufigkeit von Waldbesuchen während der ersten Welle der Corona-Pandemie zeigt sich ein deutlicher Besucheranstieg von fast 40 %. Unsere Befragten gaben an, dass sie jetzt einmal mehr pro Woche in den Wald gehen. Nur ein sehr geringer Anteil der Befragten (2%) geht seit Corona seltener in den Wald. Die Hälfte der Befragten ist als Paar unterwegs, ein Drittel allein und ein Sechstel bewegt sich in größeren Gruppen.

In einer weiteren Frage konnten die Befragten drei Motive für den Waldbesuch nach ihrer Relevanz bewerten. Geht es darum, a) das Wohnumfeld zu verlassen, b) in der Natur zu sein oder darum c) abzuschalten? Die Ergebnisse verdeutlichen, dass in erster Linie der Aufenthalt in der Natur und das Abschalten im Vordergrund stehen und weniger das Ziel, das häusliche Lockdown-Lager zu verlassen.

Der Waldbesuch ist also weniger eine Notlösung, als vielmehr ein bewusst gewählter Rückzugsort während der Corona- Zeit. Besonders ausgeprägt war der Wunsch »abzuschalten« bei den Besuchern, welche allein und zu zweit im Wald unterwegs sind. Bei Gruppen sind es offensichtlich andere Motive. Die quantitativen Analysen lassen also den Schluss zu, dass während der Corona-Pandemie die Bedeutung des Waldes als Erholungsraum für die Menschen wesentlich gestiegen ist. Können wir dieses Bild aus den offenen Antworten der Befragten rekonstruieren?

»Seit Corona ist der Wald für mich« ….?

Grüne Grafik, die die Bedeutung des Waldes seit Corona zeigtZoombild vorhanden

Abb. 2: Bedeutung des Waldes seit Corona – wertvoller und wichtiger denn je (Grafik: LWF)

Mit Hilfe der Satzergänzungsfrage »Seit Corona ist der Wald für mich …?« wollten wir herausfinden, welche persönliche Bedeutung dem Wald in Zeiten der Pandemie zugeschrieben wird. Dabei lassen sich die Antworten der Befragten in Gruppen einteilen. Die erste Gruppe geht auf wahrgenommene Veränderungen ein (»mehr Menschen«, »wichtig/er«, »wertvoller«, »unverändert«), die zweite beschreibt die Bedeutung des Waldes für sie persönlich und eine dritte Gruppe äußert sich zu beiden vorgenannten Aspekten.

Für jeden zweiten Waldbesucher hat sich nichts geändert (»unverändert«, »der gleiche Wald«, ...), jeder sechste berichtet darüber, dass seit Corona mehr Menschen im Wald sind, jeder dritte bringt zum Ausdruck, dass der Wald wichtig ist und für ihn/sie die Bedeutung zugenommen hat. Jeder zehnte verbringt mehr Zeit im Wald, nimmt ihn stärker wahr (Abbildung 2).
Blaue Grafik, die die Bedeutung des Waldes seit Cororna für Besucher zeigtZoombild vorhanden

Abb. 3: Bedeutung des Waldes seit Corona – Zitate aus der Umfrage im Frühjahr 2020 (Grafik: LWF)

Begeben wir uns auf die Suche nach der Antwort, welche Bedeutung der Wald für die Waldbesucher hat, ergibt sich folgendes Bild. Entfliehen die Menschen dem häuslichen Lockdown oder werden sie vom Wald förmlich angezogen? Die Antworten zeichnen hier ein mehrdeutiges Bild:

Das Rauskommen, die Flucht, die Abwechslung, also das Bedürfnis Abstand zu gewinnen, spielen eine deutlich geringere Rolle als der Rückzug und die Zuflucht im Wald. Dieser Rückzugsort liegt in der Natur, ist schön und wird als Oase beschrieben. Im Wald herrscht »noch« Freiheit, es gelten andere Regeln. Die wahrgenommene Anziehungskraft des Waldes ist offensichtlich stärker als die »Schubkraft der vier Wände«.

Das dominierende Element in den Gedankenwelten der Waldbesucher beschreibt den Wald als Raum der Regeneration. Wald ist ein Ort der Erholung, der Entspannung und Bewegung, man kann dort Kraft tanken. Eng verknüpft mit diesen Aspekten sind Vorstellungen über den Wald als Raum der inneren Ruhe. Ruhe und Stille machen den Wald zum Ort der Besinnung, wo man die Seele baumeln lassen kann, die Luft ist gut, ein Raum der Sinne und zum Durchatmen. Der Wald ist ein Wohlfühlraum, in dem die Menschen von Freude, Glück und Frieden berichten. Wald tut gut.

In Abbildung 3 lassen wir noch ein paar Stimmen zu Wort kommen, die verdeutlichen, was der Wald in diesen schwierigen Zeiten für eine Bedeutung erlangt hat.

Der Lieblingsort: mehr als ein Indikator

Grüne Grafik die Lieblingsorte im Wald zeigt: Wasser und Lichtung führendZoombild vorhanden

Abb. 4: Beschreibungen
des Lieblingsortes (Grafik: LWF)

Begeben wir uns auf einen Waldspaziergang und erinnern uns anschließend an die Lieblingsorte. Die Waldbesucherinnen und Waldbesucher wurden gefragt: »Bei meinem letzten Waldbesuch waren meine Lieblingsorte im Wald ...«. Bei einer Online-Umfrage können wir nicht erwarten, dass eine innige Beziehung zwischen dem Waldbesucher und dem Ort beschrieben wird.

Es sind vielmehr Ortsnamen oder einzelne Begriffe, die dann in der Summe doch Aufschluss geben, wie diese sicherlich individuellen Orte in der kollektiven Wahrnehmung und Erinnerung aussehen (Abbildung 4). Was zeichnet diese Lieblingsorte aus?
  • Wasser (36%) ist ein tragendes Element, öfter fließend und rauschend (Bach, Fluss) als stehend und ruhig (See, Tümpel, Weiher).
  • Durch den Wald führen Wege und Pfade (28%).
  • Die Waldbesucher beschreiben keinen konkreten Ort, sondern vielmehr den Wald (10%), der in der Bewegung an ihnen vorüberzieht, ein grünes Band der Sympathie, das nur von wenigen (4%) anhand prägnanter Einzelbäume näher beschrieben wird. Laub- und Mischwälder werden eher mit dem Lieblingsort in Verbindung gebracht als Nadelwälder. Der Urwald taucht bislang nicht auf.
  • Der Lieblingsort liegt abseits (14%).
  • Spannend ist, dass offensichtlich die Lichtung (27%), also ein Ort außerhalb des dichten Waldes oder am Waldrand den Lieblingsort charakterisiert.
  • Der Ausblick (10%) von einem Hügel ergänzt das Bild und die Bank (7%) zum Ausruhen rundet es ab.
  • Spezielle Einrichtungen (7%) spielen eine untergeordnete Rolle, es ist die natürliche Umgebung, die den Ort charakterisiert.
Gehen wir diesen Gedankenspuren nach und versuchen eine Interpretation. Der Lieblingsort liegt in der Regel nicht im Wald. Er ist charakterisiert durch einen Punkt im Licht und am Wasser, der eine Reflexion ermöglicht. Es gibt nicht den Ort im Wald, sondern die Bewegung durch den Wald auf Wegen und Pfaden.

Es geht somit weniger um die Strukturen im Einzelnen, sondern um den Gesamteindruck, der sich als Summe von sehr unterschiedlichen Eindrücken ergibt. Die Bewegung im Wald ermöglicht offensichtlich das Abschalten und da spielen die einzelnen Eindrücke eine untergeordnete Rolle, sofern nicht massive Störungen auftauchen. Die bewusste Wahrnehmung und Reflexion finden dann an einem Ort außerhalb des Waldes statt.

Nicht das »Suchen«, sondern das »Finden« gibt den Ausschlag

Wissenschaft ist immer eine Art »Suchvorgang « und wer selektiv bestimmte Aspekte sucht, kann manchmal das Wesentliche nicht finden. Der Wald ist im Erleben der Besucher ein »grünes Band der Sympathie«, dass an ihnen vorbeizieht. Eine Wissenschaft, die versucht, aus diesem Band einzelne Bilder herauszunehmen und bewerten zu lassen, reduziert das Walderleben auf einen kurzfristigen visuellen Reiz. Walderleben ist mehr – oder können Sie die Qualität einer Konzertaufführung anhand eines Fotos des Orchestergrabens bewerten? Unsere Empfehlung ist daher, nicht nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen, sondern sich einmal an einem schönen Sommertag ins Heu zu legen.

Betrachten wir die Antworten unserer Befragten, so können wir keine Anzeichen für einen »Suchvorgang« finden. Wir würden also der poetischen Hypothese des Dichterfürsten nicht widersprechen. Menschen finden im Wald Erholung. Nachdem die Motive und Erlebnisse der Menschen in den Wäldern so unterschiedlich sind, sollten wir künftig den Begriff des »Waldbesuchers« verwenden, da diese im Wald Erholung finden.

Zusammenfassung

Eine vom Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik durchgeführte Online-Befragung von über 1.000 Teilnehmern untersuchte die Bedeutung des Waldes als Erholungsraum für die Menschen während der Corona-Pandemie. Der Freiraum, den der Wald während der Pandemie bietet, wird intensiv genutzt. Die Besucherzahlen haben deutlich um mehr als ein Drittel zugenommen.

Hochrechnungen für die Bundesrepublik Deutschland zeigen, dass die jährlichen Besucherzahlen im Bereich von zwei Milliarden Aufenthalten liegen und gegenwärtig deutlich ansteigen. Der Wald bietet somit einmal mehr den erforderlichen Ausgleichsraum, in dem sich die Menschen von der geschäft’gen Welt erholen, abschalten und einen Raum zum Sinnieren finden und das ist gar nicht so ungewaltig.

Die Politik würde hierfür den Begriff »systemrelevant« wählen und die Bedeutung gerade in diesen schwierigen Zeiten unterstreichen.

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