Christoph Schulz und Markus Meyer
Was suchen Waldbesucher? – LWF aktuell 128

Die Besonderheiten der Ökosystemdienstleistung »Naherholung« – Ergebnisse eines LWF-Projekts

Die Erholung im Wald ist komplex und schwer zu fassen. Immerhin geht es um viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichsten Ansprüchen. Wissenschaftliche Untersuchungen zu den gewünschten, idealen Vorstellungen des Waldes müssen dabei nicht unbedingt mit dem alltäglichen Verhalten übereinstimmen.

Mit dem Konzept der Ökosystemdienstleistungen kann der Frage nachgegangen werden, wie Ökosysteme zum menschlichen Wohlbefinden beitragen [1]. Dazu kann auch das räumliche Verhältnis vom Ort der Bereitstellung einer Leistung zum Ort des Nutzens analysiert werden [2].

Die Erholungsleistung zeigt dabei eine grundlegende Besonderheit: Sie wird vom Wald ermöglicht (bereitstellt) und sie wird auch direkt vor Ort »abgeholt« (genutzt). Bei fast allen sonstigen Ökosystemdienstleistungen ist das anders: Sie werden zwar vom Wald geliefert, aber außerhalb des Waldes genutzt. Das gilt für alle versorgenden Leistungen (z. B. Holz, Trinkwasser, Wildbret, Pilze oder Honig) und die meisten regulierenden Leistungen (z. B. Lärm-, Lawinen- oder Hochwasserschutz). Das menschliche Wohlbefinden stellt sich bei der Erholung sehr unmittelbar und intuitiv ein [3] und erklärt die besondere Wertschätzung [4, 5], aber auch das Konfliktpotenzial [6, 7] der Erholung im Wald.

Was suchen Waldbesucher?

Nun ist es naheliegend zu untersuchen, was die Waldbesucher wünschen und brauchen. Seit den 1970er Jahren gibt es Studien zu den verschiedenen Faktoren, die die Attraktivität von Wäldern ausmachen, und es wird deutlich, dass diese Faktoren mannigfaltig und alles andere als eindeutig sind [8]. Das fängt damit an, dass es keinen durchschnittlichen Waldbesucher gibt und folglich keinen idealen Muster-Wald, der alle Besucher gleichermaßen zufriedenstellt [9].

Es zeigt sich vielmehr, dass sich die Art der Tätigkeit (Spazieren, Radfahren, Joggen usw.) sowie demografische Faktoren (Alter, Geschlecht, Herkunft, Tradition, Wohlstand oder Bildung) auf die Wünsche auswirken [8, 10–13]. Beispielsweise wird Totholz von Jüngeren und Gebildeteren häufiger positiv bewertet, während Ältere eher zu »ordentlichen« Waldbildern neigen [10, 14]. Trotz der Vielfalt der Wünsche zeigen die Untersuchungen jedoch, dass es spezifische Waldstrukturen gibt, die tendenziell von vielen Besuchern bevorzugt werden: ältere, strukturreiche, nicht zu dichte Bestände, Mischungen von Laub- und Nadelbäumen sowie bemessene Totholzmengen – lieber stehend als liegend (z. B. [8, 10, 11, 15–18]).

Es wird aber nicht nur Vielfalt innerhalb eines Bestandes geschätzt, sondern auch Abwechslung zwischen den Beständen [19]. Die genannten Strukturen entsprechen weitgehend einem modernen Waldbau und sind generell auch positiv für Biodiversität oder die Bereitstellung anderer Ökosystemdienstleistungen [3, 17, 20, 21].

Es gibt jedoch weitere Faktoren der Erholungsnutzung, die nicht unmittelbar mit dem Ökosystem Wald verbunden sind. Waldbesucher brauchen eine Infrastruktur, insbesondere Waldwege, aber auch Parkplätze, Bänke, Schutzhütten, Spielplätze usw. [8]. Zudem sind Störungen ein wichtiger Faktor. Das kann sich auf forstlichen Maßnahmen beziehen, wie gefällte Bäume, verschmutzte Wege und Lärm von Forstmaschinen, oder auf Konflikte unter den Waldbesuchern, zum Beispiel zwischen Radfahrern und Spaziergängern [7, 12, 22–25].

Eher unauffällig läuft die Verkehrssicherungspflicht, durch die Waldbesucher von Waldbesitzern und Forstleuten zumindest vor atypischen Gefahren des Waldes geschützt werden. Im Sinne der Ökosystemdienstleistungen handelt es sich dabei um die Minimierung von Fehlleistungen (»Disservices« [26]) der Natur, d. h. von Eigenschaften oder Prozessen der Ökosysteme, die sich negativ auf das menschliche Wohlbefinden auswirken können.

»Abschalten« bei der Naherholung

Karte des Stadwalds Augsburg mit dunkelrot, rot und rosa sowie schwarz markierten Wegen; Farbe bedeutet NutzungsintensitätZoombild vorhanden

Abb. 1: Erholungsnutzung im Stadtwald Augsburg: Die fünf Farbabstufungen reichen von intensiver (dunkelrot) bis seltener (rosa) Nutzung der Wegeabschnitte. Schwarz gezeichnete Wege wurden von den Befragten nicht genutzt. (Grafik: LWF)

Eine eigene Untersuchung in einem Wald der Stadt Augsburg zeigt einen weiteren, ganz anders gelagerten Aspekt der Naherholung: Waldbesucher gehen in den Wald, um »abzuschalten«!

Im Rahmen eines Forschungsprojekts zu verschiedenen Ökosystemdienstleistungen eines 1.700 ha großen, stadtnahen Waldgebiets wurden unter anderem aufwändige Erhebungen zur Erholungsnutzung gemacht [27]. An zwei Sommertagen (Freitag und Sonntag) im Juli 2016 und vier Wintertagen (Dezember 2016 und Januar 2017) wurden an allen maßgeblichen Waldeingängen für acht Stunden insgesamt 478 Waldbesucher zu ihren Gewohnheiten, erwünschten Nutzen des Waldbesuchs (z. B. Ruhe, Naturerfahrung, Gesundheit) und wahrgenommenen Waldeigenschaften befragt.

Die Befragten wurden auch aufgefordert, die genutzten Wege in Karten einzutragen und den Grund für die Wegeauswahl anzugeben. Neben den befragten Waldbesuchern wurde auch die Gesamtzahl der Waldbesucher an den Waldeingängen gezählt, so dass Karten der Nutzungsintensität für einzelne Wegeabschnitte erstellt werden konnten. Die Antworten der Befragung wurden statistisch ausgewertet und über Clusteranalysen den genutzten Wegen zugeordnet, um die Muster der Erholungsnutzung zu analysieren (für Details siehe [27]).

Abbildung 1 zeigt die Intensität der Erholungsnutzung im untersuchten Waldgebiet. Als Waldfläche, die für die Erholung relevant ist, wurde der Bereich der Verkehrssicherungspflicht von 40 m beidseitig der Wege angenommen. Diese Fläche dürfte den von den Waldbesuchern wahrgenommenen (und damit genutzten) Bereichen des Waldes weitestgehend entsprechen bzw. tendenziell sogar überschätzen. Die Karte zeigt deutliche Schwerpunkte der Erholungsnutzung im nördlichen, zentrumsnahen Bereich, im Osten entlang des Lechs sowie im Südwesten, wo sich teils stark aufgelichtete Schneeheide-Kiefern-Wälder finden.

Nun könnte man erwarten, dass solche Schwerpunkte der Erholung mit einem besonderen Nutzen für die Besucher erklärt werden können. Die Auswertung der Daten erbrachte jedoch wenig eindeutige Zusammenhänge: Es zeigt sich keine starke Differenzierung der Wegenutzung nach Nutzergruppen, d. h. Spaziergänger, Radfahrer, Jogger usw. unterscheiden sich wenig in der Auswahl der Wege und scheinen sich auch nicht aus dem Weg zu gehen. Die bei der Befragung genannten bevorzugten Nutzen führten auch nicht zu einer unterscheidbaren Wegewahl der Waldbesucher; nur in der südöstlichen Kiefernheide hat die Naturerfahrung eine leicht höhere Bedeutung als in anderen Bereichen (für Details siehe [27]).

Nach welchen Kriterien werden Wege ausgewählt?

Buntes Balkendiagramm mit vielen Balken die die Motivation für den begangenen Weg angibt; wichtigster Grund: ZufallZoombild vorhanden

Abb. 2: Von den 478 Befragten gab der Großteil waldunspezifische Gründe für die Auswahl des genutzten Weges an. (Grafik: LWF)

Besonders aufschlussreich sind die genannten Gründe für die Wahl der Wege (Abbildung 2). Die Antworten auf diese offene Frage wurden danach klassifiziert, wie sie sich auf den Wald beziehen. Fast die Hälfte der Antworten (n = 218; 46 %) bezogen sich gar nicht auf den Wald, sondern erklärten die Wegewahl mit Spontaneität, Gewohnheit oder Praktikabilität, in geringem Ausmaß auch mit gemeinsamen Erleben (»soziale Beziehungen«).

In 105 Antworten (22 %) wurden allgemeine Waldeigenschaften wie Schönheit, Klimawirkung (Schatten, Kühle, gute Luft) oder die Abwesenheit von Lärm als Grund für die Wegewahl genannt. Für 16 % der Befragten (n = 75) waren bestimmte Orte wie Bäche, Seen oder Spielplätze ausschlaggebend, in 20 Fällen wurde dabei konkret die gute Beschaffenheit des Weges genannt. 58 Antworten (12 %) bezogen sich schlicht auf die ausgeübten Tätigkeiten wie Sport oder Hund ausführen. Nur in 23 Antworten (5 %) wurden spezifische Waldeigenschaften erwähnt. Dabei wurden häufig die Heideflächen, also stark aufgelichtete, teils baumfreie Bereiche genannt, sieben Mal wurde konkret die dort wachsende Sumpfgladiole (Galdiolus palustris) erwähnt. Ansonsten wurde Totholz, Mischwald, einmal auch Nadelwald als Grund für die Wegewahl genannt.

Bei den Befragten handelte es sich maßgeblich um Bewohner von Augsburg und Königsbrunn (83 %), weitere elf Prozent kamen aus dem Großraum Augsburg. Nur sechs Prozent der Befragten waren aus dem Großraum München sowie vereinzelt aus anderen Regionen Deutschlands. Die Ergebnisse beziehen sich folglich auf Naherholung, was auch dadurch deutlich wird, dass über die Hälfte der Befragten angab, täglich oder mehrmals pro Woche in den Wald zu gehen.

Die Antworten der Waldbesucher weisen darauf hin, dass die Entspannung (das »Abschalten«) bei dieser Form der Erholung eine zentrale Rolle spielt, was dazu führt, dass die Aufmerksamkeit reduziert ist und spezifische Waldstrukturen wenig Beachtung finden. Allgemeine Waldeigenschaften wie die bloße Bereitstellung von Raum, vorteilhafte Klimaeffekte oder die Abwesenheit von Lärm haben eine größere Bedeutung. Auch Sonderstrukturen, die nicht unmittelbar dem Wald zugeschrieben werden können, sind für einige Waldbesucher bedeutsamer als besondere Waldstrukturen. Das kann sich auf Infrastrukturelemente wie Spielplätze, auf Gewässer oder auch auf Abwechslungen zum gewohnten Waldbild wie die Heideflächen beziehen [27].

Management der Naherholung

Spaziergänger auf einem WaldwegZoombild vorhanden

Abb. 3: Die Augsburger Erholungsstudie machte deutlich, dass die meisten Waldbesucher bei ihrem Aufenthalt im Wald vor allem eins suchen: »Abschalten«. (Foto: P. Fliegl)

Die geringe Nennung spezifischer Waldstrukturen in der Augsburger Studie sollte nicht dazu verleiten, die eingangs erwähnten, erwünschten Waldeigenschaften im forstlichen Management völlig zu missachten. Eine umfassende Studie in Baden-Württemberg in drei stadtnahen Wäldern macht deutlich, dass dort waldbaulich steuerbare Strukturen ein Faktor für bevorzugt genutzte Wege und Orte im Wald sind [28, 29]. Spezifische Waldstrukturen sollten deshalb als ein Baustein angesehen werden, um den Wald als »überzeugende Kulisse für Naturerleben« [7] zu erhalten und zu fördern, zumal sie – wie oben bereits erwähnt – meist mit den heutigen waldbaulichen Verfahren einhergehen.

Spezifische Waldstrukturen und allgemeine Waldeigenschaften sind neben dem Erhalt und der Förderung von Sonderstrukturen wie Wasserflächen, Offenland, Sporteinrichtungen usw. die Positivfaktoren für die Erholung in Wald. Im täglichen Management stadtnaher Wälder weit wichtiger ist jedoch die Vermeidung oder Reduktion von Negativfaktoren: Abweichungen vom Gewohnten (z. B. gefällte Bäume, neu angelegte Rückegassen, gesperrte oder verdreckte Wege) oder Lärm (z. B. durch Forstmaschinen) sind Beispiele für Störungen, die weit mehr Emotionen hervorrufen [7] als eine erwünschte, aber nicht vorgefundene Waldstruktur.

In urbanen Verdichtungsräumen gehört das Management der Erholung im Wald zur täglichen Praxis. Neben der Verkehrssicherungspflicht und der Vermeidung von Störungen ist die Kommunikation dabei von zunehmender Bedeutung [7, 22]. Wenn forstliche Maßnahmen nötig sind, die absehbar von vielen Waldbesuchern als Störung empfunden werden könnten, ist eine frühzeitige Ankündigung, Erläuterung, fallweise auch eine Diskussion der Maßnahmen oder gar eine Beteiligung bei der Entscheidungsfindung hilfreich.

Grundsätzlich sollten Anlässe vermieden werden, die bei Waldbesuchern vom »Abschalten « zum »Aufdrehen« führen. Es sollte aber auch klar sein, dass das forstliche Management all den verschiedenen Ansprüchen und Wünschen der Waldbesucher nicht immer gerecht werden kann.

Projekt

Im Kuratoriums-Projekt G39 »Prüfung des Konzeptes der Ökosystemdienstleistungen als forstliches Planungs- und Kommunikationsinstrument an einem Fallbeispiel« untersuchte die Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft im kommunalen Forstbetrieb Augsburg die Anwendbarkeit des Ökosystemdienstleistungs- Ansatzes für forstliche Planungs- und Kommunikationsprozesse. Laufzeit: 15.03.2016 bis 31.03.2019; Finanzierung: Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

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