Rekordbäume der Stechpalme in Gärten und historischen Parkanlagen Deutschlands - LWF Wissen 85
von Volker André Bouffier
Abb. 1a: Stammfuß von Ilex aquifolium aus Abb. 1 (© V.A. Bouffier)
Die Stechpalme hat als beliebtes – immergrünes Laubgehölz – vielfältigen Einzug in unsere Gärten gehalten, da sie besonders schnittverträglich ist und mit ihrem sattgrün-glänzenden, »stachelig-wehrhaften« Laub sowie dem äußerst dekorativen roten und gelben »Fruchtschmuck« im doppelten Sinne des Wortes heraussticht.
Im Gegensatz zu Beständen in unseren Wäldern, wo sie mitunter nur ein »Schattendasein« im Unterholz fristet, ist sie in den Gärten keinem so hohen Konkurrenzdruck ausgeliefert und entfaltet sich, meist von Gärtnerhand über Generationen geformt, zu kleinkronigen, oft mehrstämmigen Bäumen. Wir kennen sie im Park als Solitär, Baumgruppe und als undurchdringliche, »wilde« oder in Formschnitt gehaltene Hecke.
Abb. 1: Ilex aquifolium, bundesweiter Rekordbaum, 2009 (© V.A. Bouffier)
Die Stechpalme (Ilex aquifolium), in Deutschland auch Hülse oder Hulst genannt, wurde am 3. November 2020 in Berlin zum Baum des Jahres 2021 ausgerufen. Dadurch ergibt sich erstmals die Möglichkeit, eine Baumart sowohl als Baum des Jahres in den Fokus zu rücken, als auch das an Umfang stärkste bekannte Exemplar in Deutschland, das in Braunfels/Hessen steht, am 28. August 2021 zum bundesweiten Rekordbaum durch GDA, DDG und den Förderkreis Herrengarten Braunfels zu küren.
Im Folgenden werden einige bemerkenswerte historische und heutige Rekordbäume, nach Bundesländern gegliedert, vorgestellt.
Bundesweiter Rekordbaum – Ilex aquifolium in Braunfels/Hessen
Abb. 1b: ... und Ansicht um 1913 aus: Silva Tarouca (1913, S. 236)
Bekannt und im Bild festgehalten war die Braunfelser Hülse jedoch schon vor über 100 Jahren. Ein Foto von ihr findet sich in dem Buch »Freiland-Laubgehölze« von Ernst Graf Silva Tarouca et al. in der 1. Auflage 1913 (Abb. 279, S. 236). Das Bild der Stechpalme in Braunfels hatte 1913 »Rehnelt aus Gießen« (Abbildung 1b) zur Verfügung gestellt. Dieser war um 1918 Garteninspektor am Botanischen Garten Gießen. Das Foto muss also von 1913 oder früher stammen.
Es zeigt die Hülse in der Hubertusstraße 6, vor dem 1830 erbauten (ehemaligen) Gärtnerhaus (Abbildung 1b), noch mit einer bis über 2 m hohen, ein Tor einfassenden Mauer, die heute abgetragen ist, gegenüber dem Parkhotel in Braunfels an der Lahn. Sie war im Verhältnis zu den im Sonntagsornat vor der Mauer stehenden drei Personen schon »baumstark« mit voll belaubter Krone.
Abb. 2a: Ilex aquifolium im Kräutergarten, Park in Bad Gleisweiler (© V.A. Bouffier)
Durch Dr. Friederich Kanngiesser (17.8.1884 – 18.4.1965), der auf einer Tafel im Kurpark als »Giftforscher, Mediziner und Baumkundler« geehrt wird (Georg & Kraus 2011) und zudem langjähriges Mitglied der DDG war, wissen wir selbst von historischen Bäumen die genauen Standorte im Braunfelser »Herrn- bzw. Herrengarten«. So publizierte er im Jahre 1926 in den MDDG die wichtigste dendrologische Arbeit über den zu seiner Zeit noch sehr reichen Baumbestand (s. Bouffier 2016) im »Herrngarten«: »Die Gehölze im Fürstl. Solms’schen Park zu Braunfels, Liste seiner bemerkenswerten Bäume und Sträucher 1926.«
In dieser Veröffentlichung bezeichnet er »unsere« Stechpalme als »wohl die stärkste Hülse Deutschlands« und gibt ihren Umfang in 1,30 m Brusthöhe mit 1,73 m bei einer Höhe von 11 m an (Kanngiesser 1926 II, S. 143). Bei meiner letzten Messung (2019) hatte sie 2,93 m Stammumfang erreicht, das ist ein Zuwachs von 20 cm, d. h. 2 cm/Jahr. Dabei ist aber zu bedenken, dass der Umfang überwiegend den oben erwähnten Beulen und Überwallungen geschuldet ist. Die 2009 durchgeführte Altersdatierung von ca. 300 Jahren orientierte sich u. a. am Bau des »neu errichteten« Gärtnerhauses im Jahre 1830.
Weitere bemerkenswerte Stechpalmen in Deutschland
Abb. 2b: Untere Stammpartien im Bestand von Abb. 2, ca. 120 Jahre alt, (© V.A. Bouffier)
Er ist berühmt für seine teils sehr seltenen immergrünen Gehölze. Bereits vor über 100 Jahren berichtete Karl von Tubeuf (1862 –1941), deutscher Forstwissenschaftler und Pflanzenpathologe in München sowie Mitglied im Ausschuss (heute Rat) der DDG, über »eine speziell bayerische klimatische Insel« – Gleisweiler – und den Sorten der Stechpalme:
»Auffallend gut ist das Gedeihen der Stechpalme (Ilex aquifolium), die in Buschform und als Hochstammin einfachem Grün und in mannigfaltiger Panaschüre, mit glatten Blättern, mit Blattrandstacheln, und mit Stacheln auf den ganzen Blattflächen, mit glatten oder gerollten Blättern vertreten ist. Ich maß einen Hochstamm von 77 cm Brustumfang und ca. 12 ½ mHöhe, einen anderen von 64 cm Umfang; einen weiß-bunten von 6 – 7 m Höhe, was bei dem langsameren Wuchse panaschierter Exemplare bemerkenswert ist. Als eine besondere Seltenheit ist aber ein Baum von Ilex balearica zu betrachten, der, als Hochstamm erwachsen, mit einer kuppelförmigen Krone überdacht, eine Höhe von 5 m und einen Brusthöhenumfang von37 cm besitzt« (Tubeuf 1914, S. 174/75 und BA DDG II,C, 89 T).
Abb. 2: Park in Bad Gleisweiler mit Bestand aus Ilex aquifolium, die unteren Stammpartien s. Abb. 2b (© V.A. Bouffier)
An der Vorderseite von Schloss Trippstadt, Sitz der FAWF/Rheinland-Pfalz, entfaltet sich ein mehrstämmiges Exemplar der Stechpalme (Abbildung 3, 3a). Obergärtner Franke wies 1919 auf die »Reichblütigkeit der Tilia platyhyllos asplenifola und Ilex aquifolium« im Lütetsburger Park bei Norden/ Niedersachsen hin (Abbildung 4, 4a und 4b), wahrscheinlich Folge der beiden kalten Winter 1917 und 1918: »Ilex aquifolium zeigte in diesem Jahre einen ebenfalls so reichen Blütenansatz, dass ich hier viele Pflanzen beobachten konnte, in deren Blütenfülle die grünglänzenden Blätter fast verschwanden« (Franke 1920, S. 300).
Abb. 3: Solitäre Stechpalme am Schloss Trippstadt mit ... (© V.A. Bouffier)
In der Gehölzliste des Parks sind am Schloss unter Nr. 29 zwischen 40 und 80 Jahre alte, 7 bis 9 m hohe, in 1 m Höhe 0,15 – 0,35 m starke Ilex-Bäume verzeichnet, die unter Bemerkungen als »Bäume, mächtige Exemplare«, charakterisiert werden. Auffallend waren mächtige Weiß-Tannen, viele andere Koniferen, Azaleen und Rhododendren (Beissner 1906, S. 27– 29).
Auch heute noch gedeiht die Stechpalme unter dem Schirm von alten Eichen prächtig (Abbildung 4b).
Ein historisches Hülsen-Exemplar vom Birkhof in Giedenbach bei Oberkirch (Ortenau) Baden-Württemberg beschrieb Ludwig Klein (1908, S. 195) mit einer Höhe von 8,50 m und einem Umfang von 0,95 m. Das Foto vom 15. Juli 1906 zeigt einen einstämmigen Baum mit etwas Stockausschlag neben einer 7-köpfigen Familie (Abbildung 6a). Auf S. 194 ist die »Grosse Stechpalme im Lahrer Stadtwald« abgebildet (Abbildung 6).
Abb. 3a: ... dreistämmiger, unterer Stammpartie (© V.A. Bouffier)
Loesener war es auch, der ein von Hans Foerster (Abbildung 5) für die MDDG übermitteltes Manuskript zu Ehren des Autors post mortem einreichte (s. Foerster 1919, S. 66). In seinem 1918 erschienen Buch »Bäume in Berg und Mark«, dessen Einband ein mit Früchten besetzter Zweig der Stechpalme ziert, hat Dr. Foerster neben vielen anderen Baumarten auch Hülsen – seine Lieblingsbäume – lokalisiert und die an den ca. 150 ermittelten Standorten gefundenen Exemplare vermessen.
Die Anlage 2 des Buches enthält eine »Zusammenstellung der im deutschen Verbreitungsgebiet vorkommenden stärksten Hülsenbäume, ... soweit sie aus der Literatur, wie forstbotanischen Merkbüchern, Baumbüchern und anderen Veröffentlichungen ausfindig gemacht werden konnten« (Foerster 1918, S. 163).
Foersters Buch galt dem Schutz der »Bäume in Berg und Mark« und ist als Vorläufer heutiger Naturdenkmalbücher der Landkreise anzusprechen. Dass die Gesellschaft bis heute für den Schutz von Bäumen und »seinen« Hülsen bis heute sensibilisiert ist, ist somit auch sein Verdienst.
Abbildung 8 und 8a verdanke ich Christopher Moonen. Sie zeigen Stechpalmen auf dem Gemeindefriedhof an der Straelener Straße in Wankum, das stärkste Exemplar mit 1,71 m StU (am 22.9.2020).
Auch auf Rügen/Mecklenburg-Vorpommern gibt es mehrere starke Stechpalmen. Ein besonders schönes, unter ND-Schutz stehendes Exemplar befindet sich in Gross-Zicker (Abbildung 9). Es ist ein vom Wind geneigter, einstämmiger Hausbaum, der das Anwesen beschirmt.
Danksagung
Summary:
Literatur
- Beissner, L. (1906): Jahres-Versammlung zu Oldenburg vom 5. bis 10. August 1906. MDDG 15: 7–29.
- Bouffier, V. A. (2016): Nachlese zur Jahrestagung der GDA vom 9. bis 11. September 2011 in Molsberg/Ww. BzG 2015 (21): 226–229.
- Ehlert, D.; Bouffier, V. A. (2009): Zwei bemerkenswerte Stechpalmen (Ilex aquifolium) in Deutschland. BzG 18: 25–27.
- Fenner, R. et al. (2020): Die Europäische Stechpalme. Baum des Jahres 2021 [Kalender]. Hrsg. von der Baum des Jahres, Dr. Silvius Wodarz Stiftung.
- Foerster, H. † (1919): Einiges über Ilex Aquifolium L. im Bergischen Lande und seinen angrenzenden Gebieten. MDDG 28: 66–69.
- Franke (1920): Allerlei Dendrologisches aus dem Lütetsburger Park in Ostfriesland. MDDG 29: 297–300.
- Fröhlich, M. (2020): Der Wald ist klimakrank. Wie der Klimawandel unsere Wälder bedroht. Hrsg. vom Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten, Mainz.
- Georg, F. W.; KRAUS, P. (2011): Baumfreund und Drogenforscher. Dr. med Dr. phil Friederich Kanngiesser. Blickpunkt Braunfels-Weilburg, Ausgabe 3, S. 19–21.
- Gomolka, A. (2017): Das Projekt Rekordbäume / Champion-Trees in Deutschland. Mitt. Deutsch. Dendrol. Ges. 102: 261-269.
- Kannengiesser, F. (1926 II): Die Gehölze im Fürstl. Solms’schen Park zu Braunfels (Liste seiner bemerkenswerten Bäume und Sträucher 1926). MDDG 37: 140–145.
- Klein, L. (1908): Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Baden (Forstbotanisches Merkbuch). Hrsg. mit Unterstützung des Großherzoglichen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg, 372 S.
- Loesener, TH. (1919): Über die Aquifoliaceen, besonders über Ilex. MDDG 28: 1–66.
- Loesener, TH. (1930): Gefährdung wilder Ilex-Bestände. MDDG 42: 392–394.
- Silva Tarouca, E. GRAF et al. (1913): Unsere Freiland-Laubgehölze. Anzucht, Pflege und Verwendung aller bekannten in Mitteleuropa im Freien kulturfähigen Laubgehölze. F. Tempsky, Berlin und G. Freytag, Leipzig.
- Tubeuf, C. Freiherr von (1908): Der Park von Gleisweiler in der Pfalz. Skizze nach einem Besuch im April 1908. Naturwissenschaftliche Zeitschrift für Forst- und Landwirtschaft, 6. Jg., Heft 8: 385–395.
- Tubeuf, C. von (1914): Der Park von Gleisweiler in der Pfalz. MDDG 23: 172–179.
Beitrag zum Ausdrucken
Weiterführende Informationen
Autor
- Volker André Bouffier