Markus Blaschke, Finn Wahl und Bernhard Förster
Waldstrukturen im Vergleich – Naturwaldreservat und Buchenurwald - LWF aktuell 133
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Abb. 1: Im Naturwaldreservat Platte werden Teilflächen noch von der Eiche dominiert, doch die Buche konnte ihre Anteile in den letzten drei Jahrzehnten steigern (© M. Blaschke, LWF)
Im seit über 80 Jahren bestehenden Naturschutzgebiet Ludwigshain im Hienheimer Forst zwischen Altmühl und Donaudurchbruch sind in den letzten Jahren viele der mächtigen, bis zu 400 Jahre alten Eichen abgestorben und zusammengebrochen. Somit ist ihr Anteil am Bestandesaufbau auf eine überschaubare Anzahl von Einzelindividuen zurückgegangen. Unweit des Naturschutzgebiets wachsen im Naturwaldreservat Platte einige mittelalte Eichen seit nun über 40 Jahren ohne Eingriffe des Menschen in das Bestandesgefüge ein. Doch können sich die 156 Jahre alten Eichen dort gegen die Buche durchsetzen – und wie entwickeln sich die Bestände?
Bereits in den 1990er Jahren untersuchte die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) das Naturwaldreservat (NWR) Platte und das Naturschutzgebiet (NSG) Ludwigshain vergleichend mit nahegelegenen Wirtschaftswäldern in einem großen Forschungsprojekt. Im Rahmen eines Praktikumsprojekts hat die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) 2021 die seinerzeit angelegten Untersuchungsflächen im NWR Platte erneut aufgesucht und dort die Entwicklung der Bäume näher betrachtet.
Veränderungen kündigen sich an
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Abb. 2: Die Stammfußkarte eines Probekreises zeigt beispielhaft die Veränderungen im Naturwaldreservat zwischen 1992 und 2021 (© LWF)
Die Böden des Naturwaldreservats sind durch Malmgestein des Weißen Jura mit unterschiedlich mächtigen, lehmigen bis sandigen Albüberdeckungen geprägt. In den Taleinschnitten steht das Juragestein oberflächig an und es haben sich dort Rendzinen bzw. Terrae fuscae entwickelt. Auf den Verebnungen mit mächtigeren Deckschichten treten Braunerden und kleinflächig auch Pseudogleye auf. Auf diesen Standorten erwähnt die Forsteinrichtung von 1888 einen 20-jährigen Eichenbestand mit Beimischungen von Buche, Fichte und Lärche. Diese Baumartenzusammensetzung bestätigten die Untersuchungen aus dem Jahr 1992. Auch die aktuelle Aufnahme aus dem Jahr 2021 lässt diese Ausgangssituation noch klar erkennen (Abbildung 1).
In den letzten Jahren zeichnen sich jedoch deutliche Veränderungen ab (Abbildung 2). Die Stammzahl ist durch den Ausfall von Einzelbäumen zurückgegangen. Dies ist vor allem auf die Konkurrenzsituation der Bäume zurückzuführen und wird daran erkennbar, dass der Rückgang besonders bei den schwächeren, unterdrückten Individuen am höchsten ist. Vereinzelt zeigen sich an den Bäumen auch Hinweise auf Schwächeparasiten. Auf einer kleinen Zahl der Probekreise waren es aber abiotische Schadereignisse wie Windwürfe, die zur größeren Veränderungen geführt haben. Hier liegen auch zahlreiche sehr starke Stämme teilweise mikadoartig übereinander auf dem Boden.
Weniger Bäume, aber mehr Holz
Betrachtet man zunächst die Stammzahl der Derbholzbäume (Brusthöhendurchmesser [BHD] ≥ 7cm inklusive Rinde), so ist diese im Schnitt von 433 auf 297 Bäume je Hektar zurückgegangen. 1992 schwankte die Zahl über alle 19 Probekreise zwischen 120 und 890, 2021 lag die Größenordnung nur noch zwischen 110 und 550 Bäumen. Dagegen hat die Grundfläche leicht von 39,1 auf 40,5 m²/ha zugenommen und auch der Vorrat des lebenden Bestandes konnte von 658 auf 736 Vfm/ha anwachsen.
Allerdings zeigen sich auf Teilflächen die Auswirkungen von Windwürfen. So halbierte sich im Zeitraum von 1992 bis 2021 die Stammzahl auf einzelnen Probeflächen und der Vorrat ging teils deutlich zurück – zum Beispiel von 659 auf 393 Vfm/ha in einem besonders betroffenen Probekreis. Fünf der insgesamt 19 Teilflächen weisen eine Abnahme der Grundfläche auf, lediglich eine Teilfläche verzeichnet eine deutliche Zunahme der Stammzahlen, nachdem sich die Lichtverhältnisse durch Störungen kleinflächig massiv geändert hatten.
Bei den Eichen hat die Stammzahl von 98 auf 54 Bäume je Hektar abgenommen. Sie war 2021 nur noch in zwölf Probekreisen gegenüber 14 Probekreisen im Jahr 1992 vertreten. Der Vorrat der Eichen ist mit insgesamt 164 Vfm/ha nahezu konstant geblieben. Der durchschnittliche BHD der Eichen ist in den 29 Jahren durch Zuwachs und den Ausfall von schwächeren Individuen von 36 auf 45 cm angewachsen. Eine Verliererin ist auch die Fichte, bei der nicht nur zahleiche Individuen abgestorben sind, sondern auch der Vorrat um nahezu die Hälfte von ehemals 21 Vfm/ha auf aktuell nur noch 13 Vfm/ha abgesunken ist. Leichte Zugewinne von 21 auf 30 Vfm/ha zeigt die Lärche.
Deutlicher Gewinner: Totholz
Im Jahr 1992 wurden im NWR Platte im Schnitt 25 m³/ha (von 2,4 bis 78,5 m³/ha) Totholz mit einem Mittendurchmesser von mindestens 10 cm gemessen. Inzwischen hat sich diese Situation durch die Entwicklung der Prozessschutzfläche gravierend verändert. 2021 schwankte die Totholzmenge auf den einzelnen Probekreisen zwischen 47 und 265, im Mittel 111 m³/ha. Damit übertreffen die Totholzvorräte einzelner Probekreise die Mengen, die 1992 im Ludwigshain mit 215 m³/ha gemessen wurden (Detsch 1999). Auch im Vergleich zu Schweizer Naturwaldreservaten, die teilweise schon viel früher aus der Nutzung genommen worden waren, liegt der Wert im oberen Bereich (Hermann et al. 2012). Zudem entspricht der Wert von 111 m³/ha genau den Mengen, die im Urwald von Uholka-Schyrokkyj Luh in der Ukraine, einem der am besten untersuchten Buchenurwälder Europas, gemessen wurden (Commarmot 2009).
Eichenverjüngung kann sich kaum durchsetzen
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Abb. 3: Fisheye-Aufnahme der Krone an einem Probekreis im NWR Platte (© LWF)
In vielen Probekreisen zeichnet sich inzwischen ein gesicherte neue Waldgeneration ab. Allerdings wird diese komplett von der Buche dominiert. Zwar erreichte die Eiche bei der Verjüngungsaufnahme im Durchschnitt 1.403 Pflanzen/ha (10,5 %), jedoch hatte keine Eiche die Höhe von 50 cm überschritten. Dagegen liegt der Anteil der 11.999 Buchen/ha, die höher als 50 cm waren, in der Verjüngung bei 44,5 %. Das grundsätzlich hohe Verjüngungspotenzial der Alteichen verdeutlichten bereits die Aufnahmen aus den 1990er Jahren. So wurden nach den zwei Mastjahren 1994 und 1995 im Schnitt 15.104 Eichen pro Hektar in der Verjüngung gezählt (Detsch 1999). Damit decken sich die Ergebnisse mit denen anderer Naturwaldreservate in Bayern. Auch dort zeichnet sich jedoch ab, dass die Eiche ohne größere Störungen unter den jetzigen Klimabedingungen in der nächsten Waldgeneration kaum eine Rolle spielen wird (Stimm et al. 2021).
Trotz hoher Holzvorräte Licht am Boden
Die Lichtsituation in den Beständen korreliert derzeit eng mit dem Vorrat. Aufnahmen mit einem Fish-eye-Objektiv (Abbildung 3) und der anschließenden Auswertung der Kronenlücken zeigten, dass die für das Aufkommen von Eichenverjüngung besten Lichtverhältnisse in den Bestandesteilen mit den höchsten Vorräten herrschen. Probekreise mit Vorräten von 800 bis 900 Vfm/ha wiesen noch Kronenlücken von über 25 % auf (Abbildung 4). Auf den Teilflächen, auf denen die Altbäume vor einigen Jahren geworfen worden und große Kronenlücken entstanden waren, ist der Vorrat abgesunken und es hat sich eine Buchenverjüngung ausgebreitet, die während der Vegetationszeit kein Licht mehr auf den Boden lässt.
Eine Vorstellung vom Buchenurwald mitten in Bayern
Ein Vergleich der Waldstrukturdaten (Abbildung 5) im untersuchten Nordteil des NWR Platte mit den Daten, die Schweizer Waldforscher im berühmten Urwald von Uholka (Ukraine) gemessen haben (Commarmot 2009), zeigt, dass die Waldstrukturen des NWR Platte denen des 8.500 ha großen Buchenurwaldes an der Südabdachung der Karpaten sehr nahe kommen. Zwar liegen die Stammzahlen der Altbäume im NWR Platte noch auf einem etwas höheren Niveau und die Dimensionen der ukrainischen Urwaldbuchen sind noch nicht erreicht – die Entwicklung der letzten Jahre lässt aber vermuten, dass sich auch hier in der Zukunft eine Annäherung ergeben wird. Analog zum Vergleich des Schweizer Naturwaldreservats Sihlwald mit dem Urwald fehlen auch dem NWR Platte die ganz dicken Bäume. So erreicht eine Buche als dickster Baum in Uholka einen Brusthöhendurchmesser (BHD) von 132 cm, die dickste Fichte im Sihlwald bei Zürich einen BHD von 93,6 cm und eine Buche im NWR Platte einen BHD von 87,9 cm. Nur drei Eichen in den Probekreisen des NWR Platte erzielen einen BHD von über 60 cm. Immerhin konnte in einem der Probekreise ein liegendes Buchenstammstück von 10 m Länge und 76 cm Mittendurchmesser aufgenommen werden. Der Vorrat des lebenden Bestandes im NWR Platte entspricht bereits nahezu dem Niveau des Urwaldes und auch bei der gesicherten Verjüngung zeigen sich praktisch keine Unterschiede. Somit ist das NWR Platte kein »Urwald« geworden – seine Waldstrukturen können aber durchaus eine Vorstellung von einem Buchenurwald erahnen lassen. Einzelbäume mit mächtigen Dimensionen wie sie in Urwäldern wachsen, finden sich weiterhin im nahegelegenen NSG Ludwigshain.
Abb. 5: Waldstrukturdaten aus dem Nordteil des NWR Platte und dem Buchenurwald Uholka Quelle: Commarmot (2009), verändert | NWR Platte, Hienheimer Forst, Niederb.
Mittelwert | NWR Platte, Hienheimer Forst, Niederb.
Minimum | NWR Platte, Hienheimer Forst, Niederb.
Maximum | Urwald Uholka, Ukraine
Mittelwert | Urwald Uholka, Ukraine
Minimum | Urwald Uholka, Ukraine
Maximum |
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Verjüngung [Pflanzen/ha] | 297 | 110 | 550 | 220 | 144 | 336 |
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Grundfläche [m²/ha] | 40,5 | 20,7 | 54,8 | 38,8 | 22,0 | 51,8 |
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Vorrat [Vfm/ha] | 736 | 355 | 968 | 752 | 426 | 1005 |
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Totholzvolumen [m³/ha] | 110 | 46 | 264 | 110 | 27 | 250 |
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Totholzvolumen [%] | 14,2 | 5,4 | 40,2 | 13,1 | 2,8 | 31,6 |
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Verjüngung [Pflanzen/ha] | (>150 cm Höhe) 2240 | | | (>130 cm Höhe) 2325 | | |
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Zusammenfassung
Im NWR Platte wurden im Jahr 2021 Waldstrukturaufnahmen aus den 1990er Jahren wiederholt. Im Ergebnis zeigt sich eine starke Stammzahlabnahme. Dennoch nahm die durchschnittliche Grundfläche auf hohem Niveau von 39 auf 41 m²/ha noch leicht zu und die Vorräte wuchsen auf über 730 Vfm/ha an. Nach mehr als 40 Jahren Hiebsruhe erhöhten sich die Totholzbestände auf über 110 m³/ha, was dem Niveau des Buchenurwaldes von Uholka (Ukraine) entspricht. Gewinnerin unter den Baumarten ist bislang die Buche, auf die fast der gesamte Vorratszuwachs entfällt. Die Eiche kann ihr Vorratsniveau seit 1992 halten, sie verzeichnet allerdings deutliche Stammzahlverluste. Mit einem durchschnittlichen BHD von 45 cm sind die Eichen noch nicht als typische Urwaldbäume anzusprechen. In der Verjüngung ist die Eiche zwar vertreten, sie kommt aber nicht über das Keimlingsstadium hinaus. Hinsichtlich Totholzmengen und Vorräten kommt das NWR Platte einem Urwald schon recht nahe – was noch fehlt, sind die mächtigen Dimensionen von Einzelbäumen wie sie bisher aus dem NSG Ludwigshain bekannt sind.
Literatur
- Commarmot, B., Shparyk, Y., Sukharyuk, D., Bürgi, A., & Zingg, A. (2009): Entwicklung zum Urwald? Ein Vergleich zwischen dem Zürcher Sihlwald und dem Buchenurwald Uholka in der Westukraine. Grundmann, V.(Ed.), 2, 28-29.
- Detsch, R. (1999): Der Beitrag von Wirtschaftswäldern zur Struktur-und Artenvielfalt: ein Vergleich ausgewählter waldökologischer Parameter aus Naturwaldreservaten und Wirtschaftswäldern des Hienheimer Forstes (Kelheim, Niederbayern). Wiss.-und-Technik-Verlag. 209 S.
- Herrmann, S., Conder, M., & Brang, P. (2012): Totholzvolumen und -qualität in ausgewählten Schweizer Naturwaldreservaten. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 163(6), 222-231.
- Stimm, K.; Heym, M.; Blaschke, M.; Uhl, E.; Tretter, S. & Pretzsch, H. (2021): Zur Bestandsdynamik und Verjüngungssituation in Naturwaldreservaten mit Eichenbeteiligung, in: Stimm, K. (2021): Die Eiche - Facetten zu Ökologie, Naturschutz, Wachstum und waldbaulichen Perspektiven, Forstliche Forschungsberichte München, Nr. 221, S. 183 - 201
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