Olaf Schmidt
Die Stechpalme aus tierischer Sicht - LWF Wissen 85
An den Blättern der Stechpalme leben nur wenige Insektenarten. Ihre Steinfrüchte werden dagegen von etlichen Vogelarten gefressen und ihre Samen mit dem Vogelkot verbreitet. Diese ökologischen Beziehungen der Tierwelt bzw. ausgewählter Tierarten zur Stechpalme werden im Folgenden im Überblick vorgestellt.
Phytophage Insekten
Abbildung 1: Typische Gangminen der Ilex-Minierfliege im Stechpalmen-Blatt (© B. Lörke, LLH)
An der Stechpalme bzw. ihren Blättern leben nur einige wenige Insektenarten. Sie bildet mit der Eibe die Schlusslichter unter den einheimischen Gehölzen, was die Artenzahl phytophager Insekten und Milbenarten betrifft (Tabelle 1). Auf die Stechpalme spezialisierte, monophage Insektenarten gibt es nur drei, an der Eibe vier Arten! Daher belegen diese beiden Gehölz-Arten unter den 25 einheimischen Baumgattungen abgeschlagen die beiden letzten Plätze beim Vergleich der Artenzahlen assoziierter Gliederfüßlerarten. Zum Vergleich kommen an der Gattung Salix 728 Arten, davon 312 monophage Spezialisten, und bei der Gattung Quercus 699 Arten, davon 252 Spezialisten, vor (Brändle/Brandl 2001). Auch beim Vergleich der Artenzahlen phytophager Schmetterlings und Käferarten schneidet die Stechpalme gegenüber den meisten anderen heimischen Straucharten schlecht ab (Tabelle 2).
Recht häufig kommt an der Stechpalme die ca. 3 mm große Ilex-Minierfliege (Phytomyza ilicis CURTIS 1846) vor. Diese wirtsspezifische Art miniert als Larve nur in den Blättern der Stechpalme, umgeht also die äußere mechanische Abwehr der Blätter (Spohn/Spohn 2016). Es wird eine Generation pro Jahr gebildet. Das Fliegenweibchen sticht im Juni blattunterseits vor allem in jungen, frischen Blättern in den Blattstiel oder an der Basis der Mittelrippe und legt dabei ein Ei ab (Neiber 2010). Die nach einigen, ca. acht Tagen schlüpfende Larve miniert zuerst in der Mittelrippe des Blattes. Spät im Jahr fängt die Larve an, auch in der Blattspreite zu minieren und es entstehen die typischen Gangminen (Abbildung 1). Blattoberseits sind dann diese typischen grünen, gelben oder rotbraunen Minen (Butin/Brand 2017) erkennbar. In den Baumschulen mindern diese ästhetisch unschönen Minen der Ilex-Minierfliege die Pflanzenqualität im Verkauf (Tiede-Arlt 2010).
Die Larven überwintern im Blatt und verpuppen sich etwa Ende März/Anfang April. Ab Mai schlüpfen dann die erwachsenen Fliegen. In seiner gründlichen Arbeit konnte Neiber (2010) in Hannover drei parasitische Hymenopteren an der Ilex-Minierfliege feststellen: Chrysocharis gemma, Sphegigaster pallicornis und Opius ilicis. Daneben wurden auch Blaumeisen als effektive natürliche Feinde der Ilex-Minierfliege beobachtet. Zwischen 25 und 50 % der Gangminen der Ilex-Minierfliege waren durch Blaumeisen geöffnet, um die Larven als Nahrung aufzunehmen (Neiber 2010). Blaumeisen als natürliche Feinde der Ilex-Minierfliege wurden bereits früher in englischen Veröffentlichungen beschrieben (Heads/Lawton 1983; Owen 1975). Auch nach der Einwanderung bzw. Einschleppung der Roßkastanien-Miniermotte (Cameraria ohridella) nach Mitteleuropa konnten Blaumeisen, aber auch Kohlmeisen, als Nutzer der Blattminen der Roßkastanien-Miniermotte festgestellt werden (Chen/Buchsbaum 2014; Mösch et al. 2017).
Abbildung 2: Durch die Saugtätigkeit der Ilex-Blattlaus in typischer Weise eingerollte junge Ilex-Blätter (© B. Lörke, LLH)
Ebenfalls an Stechpalme, aber nicht ausschließlich, tritt die Wicklerart Rhopobota naevana auf. Die hellgrau gefärbten Schmetterlinge spannen zwischen 12 – 16 mm und fliegen in der Zeit von Juni bis Juli. Die Eier überwintern. Im nächsten Frühjahr schlüpfen die Raupen, die man im Mai und Juni finden kann. Neben Stechpalme fressen die Raupen auch an Preiselbeere, Kreuzdorn, Schneeheide und Vogelbeere. Die Art ist von Europa über Asien bis nach Japan weit verbreitet.
An Stechpalmen-Blättern können unterseits auch die weißen, wattigen, bis 5 mm langen Eisäckchen der Wolligen Eiben oder Kamelien-Wollschildlaus ( Pulvinaria floccifera) gefunden werden (Butin/Brand 2017). Befallene und besaugte Blätter werden braun und sterben ab. Insgesamt besteht aber für die Stechpalme selbst keine Gefahr.
Baumgattung | Gesamtzahl phytophager Arten | davon monophage Arten |
---|---|---|
Salix | 728 | 312 |
Quercus | 699 | 252 |
Betula | 499 | 133 |
Populus | 470 | 151 |
Pinus | 335 | 157 |
Picea | 279 | 75 |
Fagus | 275 | 44 |
Acer | 210 | 77 |
Ilex | 12 | 3 |
Taxus | 9 | 4 |
Strauchart | Schmetterlingsarten | Käferarten |
---|---|---|
Schlehe (Prunus spinosa) | 113 | 5 |
Weißdorn (Crataegus spec.) | 57 | 13 |
Hasel (Corylus avellana) | 51 | 25 |
Heckenrose (Rosa canina) | 19 | 13 |
Faulbaum (Frangula alnus) | 16 | 5 |
Efeu (Hedera helix) | 1 | 6 |
Stechpalme (Ilex aquifolium) | 1 | 6 |
Japanische Stechpalme als Alternative für Buchsbaum
Blütenbesuchenden Insekten
Die meisten Sandbienenarten bevorzugen trockene, warme, offene Biotope. Die Gattung der Mauerbienen (Osmia) umfasst in Mitteleuropa ca. 50 Arten. Einige davon sammeln Pollen verschiedener Pflanzenarten (polylektisch), andere sind auf den Pollen bestimmter Pflanzenarten oder -gattungen spezialisiert (oligolektisch). Fehlen diese Pflanzenarten, fehlen auch die spezialisierten Wildbienenarten. Immerhin sind in Deutschland ca. ein Drittel aller ca. 500 Wildbienenarten oligolektisch, d. h. auf eine Pflanzenart oder wenige, nah verwandte Arten angewiesen. Auf die Stechpalme ist oligolektisch keine der heimischen Wildbienenarten spezialisiert.
Bedeutung für die Vogelwelt
Abbildung 3: Rotdrossel frisst Steinfrüchte der Stechpalme (© FLPA /Alamy Stock)
Wahrscheinlich durch ihr trockenes Fruchtfleisch sind Ilex-»Beeren« bei Vogelarten nicht ganz so beliebt und werden meistens erst im Hoch- und Spätwinter als Nahrung aufgenommen. Die mehlige Konsistenz der Stechpalmen-»Beeren« wirkt sich aber positiv auf ihre Haltbarkeit aus. So können Ilex-»Beeren« der Vogelwelt ab August/September bis in den April/Mai des nächsten Jahres als Nahrungsressource zur Verfügung stehen. Werden die Ilex-»Beeren« nicht gefressen, können sie fast bis zur Blütezeit im nächsten Jahr am Baum verbleiben. Die Stechpalme ist damit das einheimische Gehölz, das Vögeln am längsten ihre Beeren als Nahrung anbietet (Abbildung 3).
In England wurden vor allem Amsel, Misteldrossel und Rotdrossel als wichtige Nutznießer der Stechpalmen-»Beeren« festgestellt, aber auch Rotkehlchen und Mönchsgrasmücke (Snow/Snow 1988), die Turcek nicht nennt (Tabelle 3). Allerdings machen diese beiden kleineren Singvogelarten bei den englischen Untersuchungen auch nur weniger als 5 % der Beobachtungen aus.
Wahrscheinlich sind die im Durchschnitt 9 mm großen Ilex-»Beeren« für die kleineren Singvogelarten zum Verschlucken einfach zu groß. Die drei Arten Misteldrossel, Amsel und Singdrossel dominieren in England mit über 80 % der Beobachtungen Ilex-»Beeren« fressender Vogelarten deutlich. Eine Besonderheit ist auch das Verteidigen beerentragender Stechpalmen durch Misteldrosseln. Bereits im Frühwinter beginnen Misteldrosseln »ihre« Stechpalmen vor anderen beerenfressenden Vogelarten zu verteidigen. Sie selbst nutzen dann die Beeren erst im Hochwinter als Nahrung. Das Verteidigen beerentragender Gehölze durch Misteldrosseln ist zum Beispiel auch von Mistelbüschen auf Tannen bekannt (Guest 2010).
Auch Ringeltauben nehmen die »Beeren« der Stechpalme als Nahrung auf. In den heute noch existierenden Lorbeerwäldern auf Madeira und den Kanaren kommen zwei Ilex-Arten, die Kanaren-Stechpalme (Ilex canariensis) und die Breitblättrige Stechpalme (Ilex perado) vor, deren Steinfrüchte dort vor allem von den endemischen Taubenarten, der Kanarentaube (Columba bollii) und der Lorbeertaube (Columba junoniae), verzehrt und damit die Samen mit dem Vogelkot verbreitet werden.
Turcek | Snow/Snow |
---|---|
Fasan | Amsel |
Ringeltaube | Misteldrossel |
Turteltaube | Singdrossel |
Elster | Rotdrossel |
Tannenhäher | Wacholderdrossel |
Wacholderdrossel | Rotkehlchen |
Misteldrossel | Mönchsgrasmücke |
Singdrossel | Ringeltaube |
Rotdrossel | |
Amsel | |
Seidenschwanz | |
Kernbeißer |
Vielfalt an Sträuchern fördert die Vogelwelt
Aber auch Hecken und Waldränder in der freien Landschaft sollten hier vielfältig aufgebaut sein, nicht nur um die Vogelwelt mit Beeren und Früchten als Nahrung zu versorgen, sondern auch um Insekten ein vielfältiges Blüten- und Nahrungsspektrum anzubieten.
Fazit aus tierökologischer Sicht
Ihre Wahl zum Baum des Jahres 2021 hat der Stechpalme sicher eine hohe Aufmerksamkeit bei Gärtnern, Förstern, Landschaftspflegern, Ökologen und in der Öffentlichkeit gebracht. Es ist zu hoffen, dass sich diese öffentliche Aufmerksamkeit auch für Schutz, Erhaltung und Wiedereinbringung dieser seltenen heimischen Gehölz-Art positiv auswirkt.
Summary
Literatur
- Chen, M.-J.; Buchsbaum, U. (2014): Die Blaumeise (Cyanistes caerulus (LINNAEUS 1758) als »natürlicher Feind« der Kastanienminiermotte Cameraria ohridella DESCHKA & DIMIC 1986 (Lepidoptera: Gracillariidae). Nachrichtenblatt bay. Entomologen 63, S. 9798
- Brändle, M.; Brandl, R. (2001): Species richness of insects and mites on trees: expanding Southwood. Journal of animal Ecology 70, S. 491504
- Butin, H.; Brand, T. (2017): Farbatlas Gehölzkrankheiten. Ulmer Verlag, 287 S.
- Guest, J. (2010): Misteldrossel Turdus viscivorus und Tannenmistel Viscum album abietis. Ornithologischer Anzeiger 49, S. 203-206
- Heads, P.A.; Lawton, J.H. (1983): Tit predation on the holly leafminer: the effect of prickly leaves. Oikos 41, S. 161-164
- Jagel, A.; Höggemeier, A.; Kasielke, T. (2016): Ilex aquifolium – Gewöhnliche Stechpalme, Hülse, Ilex (Aquifoliaceae). Jahrb. Bochumer Bot. Ver. 7, S. 226-236
- Lohrer, T. (2021): Ilexblattlaus, ARBOFUX – Diagnosedatenbank für Gehölze, https://www.arbofux.de/ilexblattlaus.html
- Mösch, S.; Schorpp, Q.; Eilers, E.; Lehmhus, C.; Hommes, M. (2017): Singvögel als Prädatoren der Kastanienminiermotte. Jahrbuch der Baumpflege 21, S. 333-339
- Neiber, M.T. (2010): Die IlexMinierfliege im Stadtgebiet von Hannover, Beobachtungen und Mortalität der Ilex-Minierfliege Phytomyza licis CURTIS 1846 (Diptera, Agromyzidae). Ber. der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover, S. 29-44
- Owen, D.F. (1975): The Efficiency of blue tits Parus caerulus preying on larvae of Phytomyza ilicis. Ibis 117, S. 515516
- Pietzarka, U.; Schmidt, C.; Roloff, A. (2003): Ilex aquifolium LINNE, 1753. Enzyklopädie der Holzgewächse, 33. EL. S. 111
- Schaper, F. (1998): Bedeutung der Sträucher für Honigbienen, Sträucher in Wald und Flur. ecomedVerlag, S. 522537
- Schmidt, P.; Hecker, U. (2020): Die wildwachsenden und kultivierten Laub und Nadelgehölze Mitteleuropas – Beschreibung - Herkunft -Verwendung. Quelle & MeyerVerlag, 671 S.
- Seliger, R.; Hemmersbach, A. (2018): Zwei adventive Schmetterlingsarten neu für Deutschland: Plesiomorpha flaviceps (BUT-LER, 1881) und Prays citri (MILLIERE, 1873) (Lep. Geometridaeeee et Prayidae). Melanargia 30 (2): S. 49-52
- Siering, M. (2020): Eichelhäher und Ringeltaube verzehren Ilex-Beeren in München, mdl. Mitteilung
- Snow, B.; Snow, D. (1988): Birds and Berries – A study of an ecological interaction. T & AD POYSER, 268 S.
- Tiede-Arlt, P. (2010): Ilexminierfliege: Gangminen mindern die Pflanzenqualität. Deutsche Baumschule
- Turcek, F. (1961): Ökologische Beziehungen der Vögel und Gehölze. Bratislava, 330 S.
- Veser, J. (2002): Blätter mit Minen: Die Ilexminierfliege. Deutsche Baumschule 1, S. 5354