Roland Baier, Matthias Wilnhammer und Axel Göttlein
Ohne Humus geht’s bergab - LWF-aktuell 111
Alpenhumus ist ein bestimmender Faktor für die Vitalität der Bergwälder im Kalkalpin
In naturnahen Bergwäldern der Kalkalpen dominieren mächtige Moder- und Tangelhumusauflagen. Diese Formen von Auflagehumus tragen erheblich zur Wasserspeicherfähigkeit des Bergwaldes, zur Nährstoffverfügbarkeit und letztendlich zur Vitalität und Stabilität der Bergwaldökosysteme bei. Gerade mit Blick auf den Klimawandel gilt es, die ökologischen Eigenschaften der Humusauflage durch eine optimale »Humuswirtschaft « zu sichern und zu verbessern.
Im Kalkalpin kommen ausschließlich geologisch junge, häufig flachgründige und nährstoffarme Böden vor. Ältere Bodenbildungen der Interglazialzeiten sind durch den Gletscherschurf der letzten Eiszeit verloren gegangen. Mit dem Rückzug der Gletscher musste deshalb die Bodenbildung mit einer Mineralboden- und Humusanreicherung neu beginnen.
Humusbildung
Abbildung 1: Tangelhumus unter Bergmischwald. (Foto: R. Baier)
In einer Sukzessionsabfolge von Rasen- über Latschengebüschstadien kommt es zu einem Aufwachsen der organischen Substanz. Damit verbessern sich nach und nach die Nährstoffverfügbarkeit und die Wasserspeicherkapazität, so dass sich in einer weiteren Sukzessionsphase Klimaxbaumarten wie Fichte, Tanne, Buche und Bergahorn ansiedeln können.
Dieser Humusaufbau bis hin zum Wald kann durchaus 1.000 Jahre und mehr benötigen. Im intakten Bergmischwald mit ungestörter Verjüngungsdynamik bleibt der Auflagehumus schließlich auf Dauer geschützt und kann ein sehr hohes Alter erreichen.
Mittels 14C-Analysen bestimmte beispielsweise Weber (1999) für ein 74 cm umfassendes Humusprofil auf Raibler Dolomit unter Alpenrosen-Latschengebüsch (Rhododendro-Pinetum mughi) in 1.700 m ü. NN den beachtlichen Bildungszeitraum von 5.800 Jahren. In diesen mächtigen Humusauflagen fehlen anaerobe Bedingungen (wie z. B. in Mooren), die den Humus vor Abbau schützen.
Abbildung 4: Humusvorräte
Vermutlich spielen hier mikrobiologische Vorgänge (Einfluss von Mykorrhizapilzen), biochemische Mechanismen (Veränderungen in der Strukturchemie) und die besonderen klimatischen Bedingungen der Gebirgsstandorte eine Rolle.
Humusschwund
Abbildung 2: Vitaler Bergmischwald bei Kreuth (Fotos: R. Baier)
Um das Ausmaß eines solchen Humusschwundes zu quantifizieren, wurden vier naturnahe Bergmischwälder auf Hauptdolomit und vier angrenzende, 55 bis 110 Jahre alte, nachweislich aus Kahlschlag hervorgegangene und heute abgängige Fichtenreinbestände in der Langenau bei Kreuth und in der Kloo-Aschau bei Bayrischzell untersucht (Abbildung 2).
Bei vergleichbaren Standortsbedingungen (Hauptdolomit, Südexposition) ergab sich folgendes Bild (Abbildung 3):
Die vier Bergmischwälder hatten hohe Auflagehumusvorräte von 85–142 t/ha. In den vier verlichteten Fichtenbeständen nahmen die Auflagehumusvorräte dramatisch auf nur noch 5–14 t/ha ab, was in der Kloo- Aschau einem mittleren Rückgang um 88 % und in der Langenau einem Rückgang um 95 % entsprach.
Abbildung 3: Absterbender
Fichtenbestand bei Kreuth (Fotos: R. Baier)
Die zum Teil über Jahrtausende aufgebaute und im Wald erhaltene Humussauflage reagiert also besonders stark und langanhaltend auf Auflichtung oder gar Räumung des Waldbestands.
So zeigen Ergebnisse von Prietzel und Christophel (2014), dass in den historisch intensiv als Salinen- und Hüttenwälder genutzten Bereichen im östlichen Oberbayern noch heute geringere Humusvorräte vorkommen, als in den weniger genutzten, ehemals klösterlichen Wäldern in Westoberbayern.
Hochwasserschutz: Alpenhumus als Wasserspeicher
Abbildung 5: Wasserspeicherfähigkeit in den vier naturnahen Bergmischwäldern (BMW) im Vergleich zu den vier angrenzenden Fichtenbeständen
(Fi)
Im Bergmischwald errechnet sich auf Grundlage bodenkundlicher Kennwerte ein maximales Wasserspeichervermögen (Auflagehumus, Mineralboden und Totholz) von 172 l/m² (Abbildung 4). In den degradierten Fichtenreinbeständen ergab sich eine mittlere Reduktion des Speichervermögens um 47 % in der Kloo-Aschau und um 65 % in der Langenau, was einer Reduktion von mehr als 90 l/m2 entspricht. Diese Reduktion der Wasserspeicherkapazität ist nahezu ausschließlich auf den geringeren Auflagehumus zurückzuführen.
Mit dem Humusschwund wird nicht nur eine wichtige Schutzfunktion des Bergwaldes – nämlich der Schutz vor Hochwasser – deutlich verringert. Mit dem Verlust an Kalk-Alpenhumus nimmt auch die Wüchsigkeit der Wälder ab und steigt deren Anfälligkeit bei Trockenperioden.
Kalk-Alpenhumus als Nährstoffdepot
Abbildung 6: Kaluimvorräte in den vier naturnahen Bergmischwäldern (BMW) im Vergleich zu den vier angrenzenden Fichtenbeständen
(Fi)
Im Vergleich zu mächtigen Humusauflagen auf Silikaten, die als inaktiv und ungünstig beschrieben werden, ist der mächtige Kalk-Alpenhumus als günstig zu bewerten. Der Mineralboden spielt bei den Nährstoffvorräten, mit Ausnahme von Calcium (Ca) und Magnesium (Mg), Abbildung 5 zeigt für das Nährelement Kalium dessen Verteilung in Bestand, Auflagehumus und Boden. Im intakten Bergmischwald befinden sich 49–68 % der gesamten Kaliumvorräte im Bestand, im degradierten Fichtenwald ist es mit 35–50 % ebenfalls ein erheblicher Anteil.
Im Vergleich hierzu ist der Unterschied der Vorräte im Humus in der Langenau eklatant, wo in den Fichtenbeständen nur noch 6 % der leicht verfügbaren Vorräte im Auflagehumus zu finden sind. Insgesamt weisen die absterbenden, aus Kahlschlag hervorgegangenen Fichtenbestände nur noch 40– 57 % der ursprünglichen Kaliummengen auf. Diese sind mit dem Kahlschlag über den Biomassenexport und über den Humusschwund vor Jahrzehnten aus dem Waldökosystem verloren gegangen und bis heute nicht nachgeliefert worden. Humusschwund und erntebedingter Nährstoffexport führen daher zu einer echten Degradation der Standorte. Ehemals geschlossene Bergwälder haben sich so zu Schutzwaldsanierungsflächen entwickelt.
Optimale »Humuswirtschaft«
Abbildung 7: Vom starken Humusschwund gezeichnete geringmächtige Humusauflage des Fichtenreinbestands in der Langenau (Foto: R. Baier)
Mit der sich etablierenden Waldverjüngung setzt eine ganze Kaskade positiver Effekte mit Rückkopplungen ein: Es baut sich Kalk-Alpenhumus auf, damit verbessern sich Wasserspeicherfähigkeit und Nährstoffverfügbarkeit. Dies wirkt positiv auf die Waldverjüngung zurück. Mit der dichter werdenden Verjüngung nimmt schließlich das Schneegleiten ab, was wiederum zusätzlich die Humusanreicherung begünstigt. Auf bereits degradierten, ehemaligen Bergmischwaldstandorten – das sind typische Verhältnisse vieler heutiger Schutzwaldsanierungsflächen – wirkt der Humusaufbau als Kohlenstoffsenke. Er verbessert den Hochwasserschutz und er senkt die Anfälligkeit der Wälder gegenüber Trockenperioden im Klimawandel.
Zum Schutz des Kalk-Alpenhumus in noch weitgehend intakten Bergwäldern sollte möglichst einzelstammweise eingegriffen werden (Christophel et al. 2016) und nach Kalamitäten sollten (möglichst hohe) Biomasse- bzw. Totholzvorräte belassen werden. Bei ausbleibender Verjüngung sollte nach Kalamitäten in Wirtschaftswäldern möglichst schnell gepflanzt werden.
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Der Humusaufbau ist schließlich ein wichtiger Teilaspekt bei der Rückführung der Wälder zu mehr Naturnähe. Über die Verbesserung der Schutzwaldleistung »Hochwasserschutz« ist dieser von hoher Bedeutung für die Gesellschaft. Dies gilt umso mehr, da sich derzeit ein schleichender, vom Klimawandel angetriebener Humusschwund in kalkalpinen Bergwäldern abzeichnet (Prietzel et al. 2016; Gangkofner und Göttlein 2014).
Der Schlüssel für den Humusschutz liegt, wie soll es anders sein, in der Sicherung einer intakten Waldverjüngung und einer ungestörten Entwicklungsfähigkeit von Bodenvegetation und Schlagflora durch eine konsequente Anpassung der Schalenwildbestände.
Zusammenfassung
Naturferne Waldwirtschaft, vor allem Phasen ohne Waldverjüngung sind ein bedeutender Grund für einen kritischen Humusschwund. Mit geeigneten Maßnahmen kann der Humusabbau aufgehalten und mittels einer optimalen »Humuswirtschaft« eine Regeneration eingeleitet werden.
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Weiterführende Links
Autoren
- Dr. Roland Baier, ASP
- Matthias Wilnhammer
- Prof. Dr. Dr. Axel Göttlein, TU München