Saatgut alternativer Baumarten für Bayern - LWF aktuell 134
von Johann Geiger, Ralph Jenner, Muhidin Šeho

Baumstamm einer groß und schön gewachsenen EdelkastanieZoombild vorhanden

Abb. 1: Edelkastanie mit BHD 92 cm (© J. Geiger, AWG)

Trockenheit, Hitzesommer und Schadorganismen schädigen zunehmend große Waldflächen in Bayern. Zahlreiche heimische Haupt- und Nebenbaumarten sowie nichtheimische Baumarten werden als mögliche klimatolerante Alternativen diskutiert und angebaut, weshalb deren Saatgut verstärkt nachgefragt wird. Entscheidend für den Anbauerfolg bei allen Baumarten ist die Wahl der geeigneten Herkunft und die Versorgung mit hochwertigem und herkunftssicherem Vermehrungsgut.

Der Zugang zu Saatgut, das diese Voraussetzungen erfüllt, soll für alle Waldbesitzarten möglich sein. Doch wie kann dies sichergestellt werden, damit zeitnah praxisrelevante Erkenntnisse zur Eignung dieser Baumarten gewonnen werden?

Zur Förderung der Saatgutversorgung von Alternativbaumarten in Bayern führt das Bayerische Amt für Waldgenetik (AWG) ein Projekt durch, das folgende Arbeiten umfasst:

  • Aufbau von Kontakten zum Saatgut­handel im In-­ und Ausland
  • Identifizierung und Markterkundung von geeigneten Saatgutquellen
  • Bereisung und Ernteerkundung bei ausgewählten Baumarten und Her­künften
  • Durchführung von kontrollierten Saat­guternten
  • Gewinnung von genetischen Proben für die Herkunftssicherung
  • Beschaffung von Versuchssaatgut aus­gewählter Herkünfte
  • Anzeige und Einfuhr von Saatgut aus Nicht-­EU-­Staaten
  • Organisation der Saatgutverteilung in Bayern
Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) fördert dieses Projekt durch die Abordnung eines Beamten an das AWG.

Bedarfsabfrage und Kontaktaufbau

Um ein dichtes Netzwerk zur Saatgutbeschaffung aufzubauen, wurde in zwölf Ländern nach geeigneten Saatgutquellen gesucht. Dort nahmen Mitarbeiter des AWG Kontakt mit Forstbehörden, Saatguthändlern, Baumschulen, Samenklengen, Forschungsinstituten sowie Hochschulen auf und erkundigten sich über die Fruktifikation aller relevanten Baumarten. Parallel dazu startete eine Abfrage bei der Erzeugergemeinschaft für Qualitätsforstpflanzen »Süddeutschland« e.V. (EZG) und den Bayerischen Staatsforsten (BaySF) zu deren Saatgutbedarf. Ziel der Erhebung war, für 24 Baumarten (15 Laub-­ sowie neun Nadelbaumarten) eine Priorisierung der Baumarten und eine Schätzung der benötigten Saatgutmengen zu erhalten. Die Rückmeldungen waren erfreulicherweise sehr konkret und detailliert, aus der Abfrage ergibt sich ein eindeutiges Stimmungsbild: höchste Priorität haben Edelkastanie, Atlaszeder und Baumhasel, gefolgt von Libanonzeder und Roteiche.

Leider zeichnete sich im Herbst 2021 ab, dass die Fruktifikation vieler Baumarten europaweit mäßig bis schlecht ausfiel. So kristallisierten sich die Regionen für eine Saatguternte heraus, in denen für die ausgewählten Baumarten wenigstens eine Halbmast zu erwarten war. Hier wurden die Kontakte intensiviert und Vorgespräche für begleitete Saatguternten geführt, wobei sich der Hauptfokus auf die Beerntung der Edelkastanie (Rheinland­Pfalz, Baden­Württemberg, Italien, Türkei), der Atlaszeder (Probelauf einer Ernte zur Zertifizierung überprüfbarer forstlicher Herkunft [ZüF] in Frankreich) sowie der Libanonzeder (kontrollierte Ernte und genetische Proben in der Türkei) richtete.

Saatguternte bei ausgewählten Erntebeständen der Edelkastanie

Ein Zapfenpflücker bei der Arbeit im Wipfel einer AtlaszederZoombild vorhanden

Abb. 2: Zapfenpflücker in der Krone einer Atlaszeder (© R. Jenner, AWG)

Der Edelkastanie (Castanea sativa) werden auf vielen Standorten in Bayern günstige Prognosen im Klimawandel attestiert. Da es bei dieser Baumart in Bayern nur drei zugelassene Erntebestände mit insgesamt 5,2 ha reduzierter Fläche gibt, die Nachfrage aber hoch ist, stellt die Versorgung mit herkunftssicherem Saatgut eine drängende Aufgabe dar.

In Rheinland-­Pfalz ist C. sativa auf über 2.600 ha verbreitet. Allein am Forstamt Annweiler sind zehn Erntebestände mit knapp 42 ha reduzierter Fläche zugelassen, weshalb zunächst Gespräche mit den Forstämtern in Annweiler, Haardt und Traben-­Trarbach geführt wurden.

Die erste Ernte fand am Forstamt Ann­weiler im Erntebestand Kaltenbrunn­quelle statt. Dieser 7,0 ha große Bestand liegt an einem mäßig geneigten Nordhang auf einer Meereshöhe von 350 bis 420 m ü. NN. Hier müssen die Edelkastanien mit 750 bis 800 mm Jahresniederschlag zurechtkommen. Die Durchschnittstemperatur liegt bei etwa 9,5 °C. Mitarbeiter des AWG entnahmen Blattproben von 48 Bäumen, um diese anschließend genetisch zu charakterisieren.

Am benachbarten Forstamt Haardt wurde ein Saatguterntebestand im Gemeindewald Birkweiler ausgewählt. Dieser hat eine Fläche von 4,4 ha und liegt an einem Süd-­Südosthang auf 420 bis 480 m ü. NN. Bei 9,4 °C Durchschnittstemperatur fallen jährlich 750 bis 800 mm Niederschlag, in den Jahren 2018 bis 2020 waren es aber deutlich weniger. In diesem Bestand fielen die verminderte Vitalität und der vorzeitige Blattfall der Edelkastanien auf. Die Bäume haben offensichtlich unter der schlechten Wasserversorgung in den drei Trockensommern 2018 bis 2020 gelitten. Auch hier bestätigt sich, dass die Edelkastanie eine frühzeitige, mäßige und stetige Pflege braucht und nach Trockensommern auf (mäßig) trockenen Standorten an ihre Grenzen stößt.

Der dritte zugelassene Erntebestand, der aufgesucht wurde, liegt im Gemeindewald Wintrich des Forstamts Traben-­Trarbach. Auf 360 bis 380 m ü. NN sind 9,0 °C Jahresdurchschnittstemperatur und circa 800 mm Niederschlag zu verzeichnen. Der 158-­jährige Altbestand weist gute Vitalität, acht bis zehn Meter astfreie, gerade Schäfte und 80 bis 100 cm Brusthöhendurchmesser (BHD) auf (Abbildung 1).

Schließlich wurde für das Projekt noch Saatgut aus dem zugelassenen Erntebestand in Oberkirch-­Lautenbach in Baden-­Württemberg gesammelt. Dieser erstreckt sich auf 10,6 ha und liegt auf 350 bis 600 m ü. NN. Bei 9,0 °C Jahresdurchschnittstemperatur fallen 1.300 mm Niederschlag. Dank gebührt der staatlichen Samenklenge Nagold für die kollegiale Unterstützung. Die genetische Vielfalt dieser Bestände sollte noch durch Saatgut aus bayerischen Erntebeständen erhöht werden. Langfristiges Ziel des AWG ist es, mit diesem wertvollen Vermehrungsgut der Edelkastanie einen Saatgutreservebestand aufzubauen.

Probelauf einer ZüF-Ernte bei Atlaszeder in Frankreich

Außerhalb der natürlichen Verbreitungsgebiete in Algerien und Marokko wurde die Atlaszeder seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich zur Wiederaufforstung verwendet. Neben den drei getesteten Beständen in Ménerbes, Mont­-Ventoux und Saumon mit insgesamt 146 ha sind unter dem Code CAT900 noch 55 ausgewählte Saatguterntebestände mit insgesamt 613 ha zugelassen. Nach intensiven Bemühungen in den letzten Jahren konnte Ende Oktober der Probelauf einer ZüF-­Ernte nördlich von Carcassonne durchgeführt werden. Ausgewählt wurde zunächst der zugelassene Atlaszedern­-Erntebestand CAT900­055 Sabarthes. Dieser 5,84 ha große Privatwald liegt auf 660 bis 710 m ü. NN an einem mäßig geneigten Südwesthang. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 10,5 °C bei 1.048 mm Niederschlag.

Der Probelauf der ZüF-­Ernte wurde von der Firma Vilmorin organisiert und durch einen AWG-­Mitarbeiter begleitet. Vilmorin hat bereits mehrere Ernten erfolgreich nach dem ZüF­Verfahren durchgeführt, daher war der Firma der grundsätzliche Ablauf einer ZüF-­Ernte bekannt. Vor Beginn der Ernte erläuterte der AWG-­Mitarbeiter den Zapfenpflückern das ZüF­Verfahren, um aufzuzeigen, warum die Bäume markiert und Zapfen aus verschiedenen Teilen der Krone gewonnen werden sollten (Abbildung 2). Auf diese Weise konnten in diesem Bestand insgesamt 47 Bäume in drei Tagen beerntet und beprobt werden. Anschließend wurde die zweite ZüF-­Ernte im zugelassenen Bestand CAT900­051 Carral de Lazarre durchgeführt. Dieser liegt auf 670 bis 700 m ü. NN an einem mäßig geneigten Südwest­-Hang. Bei 10,7 °C fallen 1.050 mm Jahresniederschlag. Die gewonnenen Proben wurden per Spedition an das AWG verschickt und trafen in sehr gutem Zustand ein. Nach der Aufbereitung wird das gewonnene Saatgut den privaten und staatlichen Baumschulen zum Kauf angeboten.

Libanonzeder und Edelkastanie in der Türkei

Wipfel einer fruktifizierenden LibanonzederZoombild vorhanden

Abb. 3: Fruktifizierende Libanonzeder im Erntebestand Andirin (© J. Geiger, AWG)

Ziele der Türkei-Bereisung waren eine begleitete Ernte bei der Libanonzeder, die Erkundung und Beschreibung eines ausgewählten Erntebestandes der Edelkastanie sowie die Intensivierung der Kontakte zum Saatguthandel und zu den Forstbehörden in der Türkei. Von besonderem Interesse für das Projekt waren autochthone Bestände der Libanonzeder und der Edelkastanie, die von den türkischen Kollegen als »ausgewählte Saatguterntebestände« bereits bewertet und zugelassen worden waren. Nach umfangreichen Erkundungen wurde eine Bereisung der Türkei organisiert. In der Türkei erfolgte zunächst ein Austausch mit den türkischen Forstbehörden über die Bedeutung der Saatguternte allgemein und das geplante Vorgehen sowie über andere für Bayern interessante Baumarten wie Türkische Tanne (Abies bornmülleriana), Nordmanntanne (Abies nordmanniana), Baumhasel (Corylus colurna) und Orientbuche (Fagus orientalis).

Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der bayerischen Forstverwaltung ist grundsätzlich vorhanden, es bedurfte jedoch vieler Gespräche, um die anfängliche Skepsis gegenüber einer deutschen Behörde abzubauen.

Die Türkei verfolgt seit vielen Jahren große Aufforstungsprojekte und verwendet das Saatgut der Libanonzeder deshalb vorrangig für eigene Flächen. Ziel ist, die in der Vergangenheit erheblich geschrumpfte Waldfläche bis zum Jahr 2023 auf einen Anteil von über 30 % zu steigern. In den Jahren 2000 bis 2019 konnte der Waldanteil immerhin von 26 auf 29 % gesteigert werden – dies entspricht einer Aufforstungsfläche von rund 2,3 Millionen Hektar.

Die größten autochthonen Bestände der Libanonzeder stocken im Taurusgebirge im Süden der Türkei. Die begleitete Ernte wurde in dem ausgewählten Bestand Kahramanmaras­-Andirin durchgeführt. Hier herrscht ein kontinentales Klima mit heißen Sommern und kalten Wintern. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 8,8 °C bei einem Jahresniederschlag von 650 bis 700 mm, der überwiegend im Winterhalbjahr fällt. Die Extremwerte der Temperatur schwanken von minus 32 °C bis plus 36,8 °C. Im ausgewählten Bestand wurden 41 Bäume beerntet, die über die ganze Fläche verteilt sind und mindestens 30 m Abstand zueinander haben (Abbildung 3). Von jedem Baum wurden genetische Proben zur Charakterisierung am AWG entnommen.

Bei der Edelkastanie zeichnen sich Herkünfte aus dem östlichen Verbreitungsgebiet durch eine höhere genetische Diversität aus, weshalb diese Herkünfte für Bayern besonders interessant sind. Um die Saatgutversorgung zu fördern und Erkenntnisse über mögliche Saatguterntebestände der Edelkastanie in der Türkei zu gewinnen, wurde ein zugelassener Saatguterntebestand bereist und beschrieben. Bei einer möglichen Eignung könnte dieser als Saatgutquelle für Praxisanbauversuche in Bayern genutzt werden. Das natürliche Verbreitungsgebiet der Edelkastanie erstreckt sich entlang der Schwarzmeerküste im Norden der Türkei. Deshalb wurde ein Saatgut­ und Erhaltungsbestand östlich von Bartin bei Kurucasile ausgewählt, der zudem einer von 13 zugelassenen Saatguterntebeständen in der Türkei ist. Der Edelkastanienbestand liegt auf einer Höhe von 180 m ü. NN. Im Regenstau des Pontusgebirges fallen hier durchschnittlich 1.072 mm Niederschlag pro Jahr mit einer deutlichen Spitze im Winter. Die Klimastation Bartin meldet eine Jahresdurchschnittstemperatur von 13,1 °C. Die Extreme schwanken von minus 15,3 °C im Januar bis plus 40,0 °C im August. Auch Spätfröste im Mai seien nach Aussage des örtlichen Revierleiters nicht selten. Einzelne Exemplare weisen sehr gute Stammformen auf und sind als »Plusbäume« markiert. Als positiv sind die gut ausgebauten Kronen und die Vitalität des Bestandes zu bewerten. Deshalb wurde dieser Erntebestand durch das StMELF für Praxisanbauversuche empfohlen.

Ausblick

Zur Erweiterung der Baumartenpalette und Streuung des Risikos auf mehrere Baumarten sind alternative Baumarten und Herkünfte für Bayern zunehmend wichtig. Die Versorgung mit hochwertigem und herkunftssicherem Vermehrungsgut ist für den Anbauerfolg entscheidend. Wie bei den heimischen Ernten ist es wichtig, dass auch bei den Auslandsernten die Herkunftssicherheit gewährleistet wird. Empfehlenswert ist Vermehrungsgut aus zugelassenen und geprüften Beständen und Samenplantagen. Für alle Beteiligten sollte das Vorgehen transparent sein und die Saatgutquellen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Herkunftssicherheit wäre, bereits bestehende Zertifizierungssysteme mit genetischen Analysen auch im Ausland anzuwenden. Bei einzelnen Baumarten wurden solche Ernten bereits durchgeführt. Jedoch bedarf es weiterer Bemühungen, um dieses Vorgehen auf weitere Baumarten zu übertragen. Eine grundsätzliche Bereitschaft der Erntefirmen im Ausland zeichnet sich ab. Nur wenn die Herkunftssicherheit gewährleistet ist, können die daraus gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden und den Waldbesitzern dienen. Vom Anbau potenzieller Alternativbaumarten unbekannter Herkunft wird grundsätzlich abgeraten. Dies gilt auch für den Anbau weiterer Alternativbaumarten im Rahmen von Praxisanbauversuchen (PAV) – auch hier sind geeignete Herkünfte und Saatgutquellen sowie die herkunftssichere Versorgung mit hochwertigem Vermehrungsgut zu berücksichtigen. Eine zuverlässige und dauerhafte Versorgung mit herkunftsgesichertem Saatgut aus dem Ausland setzt viele persönliche Gespräche und Bereisungen voraus. Der Waldumbau in Bayern kann von einer stärkeren Zusammenarbeit mit Fachleuten im In-­ und Ausland nur profitieren.

Zusammenfassung

Klimawandelbedingt steigt die Nachfrage nach wärme- und trockenheitstoleranten Baumarten in Bayern bei allen Waldbesitzarten. Im Herbst 2021 organisierten AWG-Mitarbeiter deshalb im In- und Ausland begleitete Ernten bei Edelkastanie, Atlaszeder und Libanonzeder, um die Versorgung mit herkunftsgesichertem Saatgut für Bayern zu fördern. Teilweise steht dieses für eine Verwendung in Bayern jedoch nur sehr begrenzt zur Verfügung, da Länder wie Frankreich oder die Türkei das Saatgut zuerst für eigene Aufforstungsprojekte nutzen. Um die Saatgutversorgung bei trockenheitstoleranten nichtheimischen Baumarten sicherzustellen, müssen die Kontakte nach Frankreich, Italien, in den Balkan und die Türkei weiter ausgebaut werden. Für das Erntejahr 2022/2023 ist geplant, Ernten bei verschiedenen Baumarten in allen genannten Ländern durchzuführen.

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Weiterführende Informationen

Autoren

  • Johann Geiger
  • Ralph Jenner
  • Dr. Muhidin Seho