Gregor Aas
Die Europäische Stechpalme (Ilex aquifolium): Verbreitung, Morphologie und Ökologie – LWF Wissen 85
Die Europäische Stechpalme oder Hülse (Ilex aquifolium, Familie Aquifoliaceae) ist neben dem Buchsbaum (Buxus sempervirens) die einzige in Mitteleuropa einheimische immergrüne Laubbaumart. Verbreitet ist sie vor allem im Bereich eines milden, atlantisch getönten Klimas. Dargestellt werden ihre Verbreitung und Ökologie sowie wichtige Aspekte ihrer Morphologie und Reproduktionsbiologie.
Die Gattung Ilex
Abbildung 1: Blühender Matestrauch, Ilex paraguariensis. Foto: G. Aas
Ein bekannter, wenngleich in Mitteleuropa nicht winterharter Vertreter der Gattung ist der Mate-Strauch (Ilex paraguariensis, Abbildung 1), der in Araukarien Wäldern des Paraná-Beckens in West-Brasilien, Argentinien und Paraguay verbreitet ist. Aus dessen getrockneten Blättern wird der Mate-Tee hergestellt, ein in Südamerika beliebtes, koffeinhaltiges, stimulierendes, heiß oder kalt serviertes Getränk. Bei uns wird Mate als Tee oder in Kapseln als Stimulanz, aber auch als Appetitzügler angeboten.
- Gestalt
Bis 10 m, max. bis 20 m hoher, immergrüner Laubbaum mit dicht belaubter, kegelförmiger, tief beasteter Krone, Stamm meist gerade, Äste zunächst fast waagrecht, später herabhängend, Brusthöhendurchmesser (BHD) bis 1 m, oft mehrstämmig oder strauchförmig wachsend - Rinde
Junge Sprossachse viele Jahre grün, Rinde später grau und lange Zeit glatt, späte Bildung einer seicht rissigen, schuppigen Borke - Blätter
Spiralig angeordnet, ungeteilt, 5 – 15 mm lang gestielt, Spreite ledrig, elliptisch, 3 – 10 cm lang, Rand sehr variabel, meist wellig und grob stachelspitzig gezähnt, oft aber nur mit einzelnen Zähnen oder ganzrandig, beidseitig kahl, oberseits glänzend dunkelgrün; Blattalter bis 3 Jahre - Blüten
Mai bis Anfang Juni; meist zweihäusig verteilt; gebüschelt in den Achseln von Laubblättern; Einzelblüten radiär, 4 - (selten 5-)zählig, Kronblätter weiß, mitunter außen schwach rosa; Bestäubung durch Insekten - Früchte
Kugelige, 7 – 10 mm große, im reifen Zustand glänzend rote Steinfrüchte; Ausbreitung durch Vögel - Höchstalter
Bis 300 (max. 500) Jahre - Chromosomenzahl
2n = 40 - Hinweis:
Alle Teile der Pflanze sind für den Menschen giftig
Morphologie
Abbildung 2: Stamm der stärksten bekannten Europäischen Stechpalme in Deutschland. Foto: V.A. Bouffier
Die Europäische Stechpalme oder Hülse, wie sie auch genannt wird, ist leicht an ihren immergrünen, derben, am Rand grob stachelig gezähnten, oberseits glänzend dunkelgrünen Blättern zu erkennen (Abbildung 3). Bei älteren, blühfähigen Pflanzen kommen aber an ein und demselben Individuum stets auch wenig stachelige oder völlig ganzrandige Blätter vor, bevorzugt im oberen Teil der Pflanze (Heterophyllie, Abbildung 4). Diese Bewehrung wird als Schutz vor Verbiss durch Wild- und Weidetiere vermutet (Obeso 1997). Stechpalmen mit stacheligen Blättern werden weniger von Huftieren befressen und der Neuaustrieb verbissener Pflanzen trägt vermehrt stachelige Blätter. Ilex kommt daher häufig in ehemals oder noch immer beweideten Wäldern vor, sog. Hutewäldern.
Verbreitung und Ökologie
Abbildung 5: Natürliche Verbreitung von Ilex aquifolium. (verändert nach EUFORGEN)
Abbildung 6: Ilex aquifolium unter winterkahlen Buchen im Kanton St. Gallen in der Ostschweiz. Foto: O. Holdenrieder
Im Unterwuchs von Laubwäldern profitiert die Europäische Stechpalme von einem ausgeglichen humiden Waldinnenklima. Als Immergrüne kann sie, wenn Buchen und Eichen im Winterhalbjahr kahl und ihre Kronen lichtdurchlässig sind, noch bei Temperaturen bis etwa 0 °C Fotosynthese betreiben (Veste und Kriebitzsch 2019). Ilex könnte deshalb von der Klimaerwärmung profitieren, wenn die Winter milder werden und der Vorfrühling zeitiger im Jahr beginnt (Walther et al. 2005). Ob sie dadurch auch in unseren Wäldern häufiger wird und sich ausbreiten kann, hängt davon ab, wie stark der Vorteil vermehrter Kohlenstoffbindung im Winter durch zunehmende Hitze und Trockenheit im Sommer aufgewogen wird. Studien zufolge (Bañuelos et al. 2003, Berger und Walther 2005, Skou et al. 2012) hat die Art in den letzten Jahrzehnten ihre Verbreitung in Dänemark nach Osten und an der Westküste Norwegens nach Norden ausdehnen können. Von ihren Vorkommen an der deutschen Ostseeküste aus erschließt sie sich mittlerweile bereits jenseits der Odermündung in Polen neue Lebensräume. Hoffnung also für einen seltenen, heimischen Laubbaum in Zeiten, die für viele andere Baumarten zunehmend schwieriger werden.
Reproduktion
Abbildung 7: Ilex aquifolium im Unterwuchs eines Buchenwaldes im Bergischen Land, Nordrhein-Westfalen. Foto: G. Aas
Die zur Reife leuchtend roten Steinfrüchte (Abbildung 3) der weiblichen Pflanzen breiten Vögel aus. Allerdings sind sie zunächst wenig begehrt und werden erst gefressen, wenn es den Vögeln in Notzeiten an anderer Nahrung mangelt. Deshalb behalten Stechpalmen ihre Früchte bis weit in den Winter, oft sogar bis zum nächsten Frühling. Für den Menschen sind die unangenehm schmeckenden Früchte, aber auch die Blätter, giftig. Ihr Verzehr löst Übelkeit, Erbrechen und Durchfall aus, kann aber auch zu Herzrhythmusstörungen, Lähmungen und Nierenschäden führen.
Nutzung
Abbildung 12: Weiß berandete, panaschierte Blätter einer Gartenform einer Stechpalme Foto: O. Holdenrieder
Das Holz der Stechpalme fällt zwar nicht in größeren Mengen und Dimensionen an, war und ist aber insbesondere für Drechslerarbeiten gesucht. Es ist zerstreutporig und gleichmäßig strukturiert, einfarbig hell, relativ schwer (Rohdichte lufttrocken 0,65 – 0,8 g/cm3), aber gut zu bearbeiten. Früher wurde es wegen seiner Härte und Zähigkeit gerne für Zahnräder und Werkzeugstiele verwendet sowie für Intarsien, Schirm und Spazierstöcke. Zwei schmucke Gehstöcke aus Ilex-Holz von Johann Wolfgang von Goethe sind im Goethe Haus in Weimar zu besichtigen. Da sich das Holz gut und dauerhaft schwarz beizen lässt, dient es als Ersatz für Ebenholz. Große Bedeutung hat Ilex aquifolium als Ziergehölz (Abbildung 12). Häufig in Kultur verwendet sind Sorten mit am Rand weißen (panaschierten, z. B. »Argentea Marginata«) oder gelbbunten (»Aurea Marginata«) Blättern sowie mit abweichender Fruchtfarbe wie bei der gelbfrüchtigen Sorte »Bacciflava«.
Summary
Literatur
- Bañuelos, M.J.; Kollmann, J.; Hartvig, P.; Quevedo, M. (2003): Modelling the distribution of Ilex aquifolium at the northeastern edge of its geographical range. – Nordic J. Bot. 23: 129142
- Berger, S.; Walther, G.-R. (2005): Detektion und Verifikation von klimainduzierten Vegetationsveränderungen. In: Korn, H. (Hrsg.): Biodiversität und Klima. BfN – Skripten 131: 3234
- Ellenberg, H.; Leuschner, C. (2010): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen. Stuttgart: Ulmer. 1333 Seiten
- Loesener, T. (1930): Gefährdung wilder IlexBestände. Mitt. DDG 42: 392394
- Obeso, J.R. (1997): The induction of spinescence in European holly leaves by browsing ungulates. Plant Ecol. 129: 149156
- Sautter, R. (2003): Waldgesellschaften in Bayern. Landsberg: ecomed. 224 Seiten
- Skou, A.-M. T.; Toneatto, F.; Kollmann, J. (2012): Are plant populations in expanding ranges made up of escaped cultivars? The case of Ilex aquifolium in Denmark. Plant Ecol. 213: 1131-1144
- Veste, M.; Kriebitzsch, W.-U. (2019): Die Stechpalme – ein Gewinner des Klimawandels? AFZ/Der Wald 16/2010: 1618
- Walther, G.-R.; Berger, S.; Sykes, M.T. (2005): An ecological ›footprint‹ of climate change. Proc. R. Soc. B 272: 14271432