Gregor Aas
Die Europäische Stechpalme (Ilex aquifolium): Verbreitung, Morphologie und Ökologie – LWF Wissen 85

Die Europäische Stechpalme oder Hülse (Ilex aquifolium, Familie Aquifoliaceae) ist neben dem Buchsbaum (Buxus sempervirens) die einzige in Mitteleuropa einheimische immergrüne Laubbaumart. Verbreitet ist sie vor allem im Bereich eines milden, atlantisch getönten Klimas. Dargestellt werden ihre Verbreitung und Ökologie sowie wichtige Aspekte ihrer Morphologie und Reproduktionsbiologie.

Die Gattung Ilex

Ein blühendes Exemplar des MatestrauchsZoombild vorhanden

Abbildung 1: Blühender Matestrauch, Ilex paraguariensis. Foto: G. Aas

Zur großen Gattung Ilex (Familie Stechpalmengewächse, Aquifoliaceae), den Stechpalmen, Stechhülsen oder Winterbeeren, zählen rund 400 sommer-­ oder immer­grüne Baum-­ und Straucharten, die überwiegend in den Tropen und Subtropen der Nord-­ und Südhemisphäre verbreitet sind. In Mitteleuropa ist nur Ilex aquifolium, die Europäische oder Gemeine Stechpalme, heimisch. Neben dieser Art werden in unseren Gärten aber auch zahlreiche exotische Ilex­-Arten und ­Hybriden, meist züchterisch bearbeitete Sorten, kultiviert. Häufiger in Kultur sind die sommergrüne Rote oder Amerikanische Winterbeere (Ilex verticillata) sowie zwei ostasiatische, immergrüne Arten: die Rautenblättrige Stechpalme (Ilex pernyi, China) mit kleinen, stark stacheligen Blättern und die Japanische Stechpalme (Ilex crenata) mit stachellosen, am Rand fein gekerbten Blättern.

Ein bekannter, wenngleich in Mitteleuropa nicht winterharter Vertreter der Gattung ist der Mate-­Strauch (Ilex paraguariensis, Abbildung 1), der in Araukarien­ Wäldern des Paraná­-Beckens in West­-Brasilien, Argentinien und Paraguay verbreitet ist. Aus dessen getrockneten Blättern wird der Mate­-Tee hergestellt, ein in Südamerika beliebtes, koffeinhaltiges, stimulierendes, heiß oder kalt serviertes Getränk. Bei uns wird Mate als Tee oder in Kapseln als Stimulanz, aber auch als Appetitzügler angeboten.
Steckbrief Europäische (Ilex aquifolium)
  • Gestalt
    Bis 10 m, max. bis 20 m hoher, immergrüner Laubbaum mit dicht belaubter, kegelförmiger, tief beasteter Krone, Stamm meist gerade, Äste zunächst fast waagrecht, später herabhängend, Brusthöhendurchmesser (BHD) bis 1 m, oft mehrstämmig oder strauchförmig wachsend
  • Rinde
    Junge Sprossachse viele Jahre grün, Rinde später grau und lange Zeit glatt, späte Bildung einer seicht rissigen, schuppigen Borke
  • Blätter
    Spiralig angeordnet, ungeteilt, 5 – 15 mm lang gestielt, Spreite ledrig, elliptisch, 3 – 10 cm lang, Rand sehr variabel, meist wellig und grob stachelspitzig gezähnt, oft aber nur mit einzelnen Zähnen oder ganzrandig, beidseitig kahl, oberseits glänzend dunkelgrün; Blattalter bis 3 Jahre
  • Blüten
    Mai bis Anfang Juni; meist zweihäusig verteilt; gebüschelt in den Achseln von Laubblättern; Einzelblüten radiär, 4 - (selten 5-)zählig, Kronblätter weiß, mitunter außen schwach rosa; Bestäubung durch Insekten
  • Früchte
    Kugelige, 7 – 10 mm große, im reifen Zustand glänzend rote Steinfrüchte; Ausbreitung durch Vögel
  • Höchstalter
    Bis 300 (max. 500) Jahre
  • Chromosomenzahl
    2n = 40
  • Hinweis:
    Alle Teile der Pflanze sind für den Menschen giftig

Morphologie

Stamm der stärksten bekannten Europäischen Stechpalme mit einer HinweistafelZoombild vorhanden

Abbildung 2: Stamm der stärksten bekannten Europäischen Stechpalme in Deutschland. Foto: V.A. Bouffier

Ilex aquifolium wächst zwar oft strauchförmig, kann aber als Baum bis 10 m, selten bis 15 m hoch werden und einen Stammumfang bis 1 m erreichen. Neben dem Buchsbaum (Buxus sempervirens), der auch mehr als Strauch denn als Baum wächst, ist die Stechpalme die einzige in Mitteleuropa indigene immergrüne Baumart. Das derzeit wohl dickste Individuum Deutschlands steht im Vorgarten eines ehemaligen Gärtnerhauses im hessischen Braunfels, hat einen Stammumfang von knapp 3 m bei nur 8 m Höhe und ist nach Schätzun­gen beachtliche 270 Jahre alt (Abbildung 2). Im atlantischen Klima, insbesondere auf den Britischen Inseln, kann die Stechpalme sogar bis 20 m hoch und 500 Jahre alt werden.

Die Europäische Stechpalme oder Hülse, wie sie auch genannt wird, ist leicht an ihren immergrünen, derben, am Rand grob stachelig gezähnten, oberseits glänzend dunkelgrünen Blättern zu erkennen (Abbildung 3). Bei älteren, blühfähigen Pflanzen kommen aber an ein und demselben Individuum stets auch wenig stachelige oder völlig ganzrandige Blätter vor, bevorzugt im oberen Teil der Pflanze (Heterophyllie, Abbildung 4). Diese Bewehrung wird als Schutz vor Verbiss durch Wild- und Weidetiere vermutet (Obeso 1997). Stechpalmen mit stacheligen Blättern werden weniger von Huftieren befressen und der Neuaustrieb verbissener Pflanzen trägt vermehrt stachelige Blätter. Ilex kommt daher häufig in ehemals oder noch immer beweideten Wäldern vor, sog. Hutewäldern.
Rote Früchte auf an einem Zweig mit den stacheligen, glänzenden Blättern von Ilex aquifolium

Abbildung 3: Zweig mit Früchten von Ilex aquifolium.

Unterschiede der Blätter Wipfelbereich stachelige Blätter unterer Bereich ganzrandig

Abbildung 4: Form und Stacheligkeit der Blätter von Ilex aquifolium variieren (Heterophyllie):

Verbreitung und Ökologie

Karte von Europa mit dem Verbreitungsareal der Europäischen StechpalmeZoombild vorhanden

Abbildung 5: Natürliche Verbreitung von Ilex aquifolium. (verändert nach EUFORGEN)

Die Stechpalme ist eine Art des atlantischen Klimas mit milden Wintern und regenreichen Sommern. Verbreitet ist sie von Natur aus in Westeuropa von der Süd-­ und Westküste Norwegens bis zur Iberischen Halbinsel und nach Nordafrika, ferner in den Gebirgen Südeuropas bis zum Balkan (Abbildung 5). Die Ostgrenze der Verbreitung wird bestimmt durch extreme Fröste (– 22 °C), die Südgrenze durch Sommertrockenheit (Ellenberg und Leuschner 2010). In Deutschland findet man Stechpalmen wildwachsend nur im Norden und Westen sowie ganz im Süden. Die Ostgrenze des Areals verläuft diagonal von der Odermündung im Nordosten bis ins Saarland und zum Pfälzerwald im Westen. Heimisch ist sie ferner im Odenwald und im Schwarzwald, von wo aus sich Vorkommen südlich bis zum Hochrhein und in die Nordschweiz erstrecken. In Bayern gibt es autochthone Bestände der Stechpalme nur im niederschlagsreichen Alpenvorland, in den Alpen bis auf 1.800 m Höhe sowie vor allem im klimabegünstigten Bodenseegebiet.
Die europäische Stechpalme im Unterwuchs winterkahler BuchenZoombild vorhanden

Abbildung 6: Ilex aquifolium unter winterkahlen Buchen im Kanton St. Gallen in der Ostschweiz. Foto: O. Holdenrieder

Wichtig für das Gedeihen von Stechpalmen sind ausreichend Feuchtigkeit und Schutz vor praller Sonne. Sie fühlen sich deshalb vor allem im schattigen Unterwuchs von Buchen­ und Eichenwäldern wohl (Abbildung 6 und 7). Bezüglich des Bodens sind sie wenig anspruchsvoll und gedeihen auf frischen, nährstoff­ und basenreichen bis mäßig sauren, sandigen wie steinigen Lehmböden. Ilex aquifolium ist nicht eng an eine bestimmte Waldgesellschaft gebunden. Bevorzugt kommt sie in bodensauren Eichenmischwäldern und Eichen­-Hainbuchenwäldern sowie in Silikat­-Buchenwäldern und bodensauren, mesotrophen Flattergras-­Buchenwäldern, aber auch in Waldmeister­-Buchenwäldern auf Kalk vor (Ellenberg und Leuschner 2010). Bayerische Vorkommen der Stechpalme liegen vor allem in den montanen Fichten­-Tannen-­Buchen-­Bergmischwäldern der Kalkalpen (Sautter 2003).

Im Unterwuchs von Laubwäldern profitiert die Europäische Stechpalme von einem ausgeglichen humiden Waldinnenklima. Als Immergrüne kann sie, wenn Buchen und Eichen im Winterhalbjahr kahl und ihre Kronen lichtdurchlässig sind, noch bei Temperaturen bis etwa 0 °C Fotosynthese betreiben (Veste und Kriebitzsch 2019). Ilex könnte deshalb von der Klimaerwärmung profitieren, wenn die Winter milder werden und der Vorfrühling zeitiger im Jahr beginnt (Walther et al. 2005). Ob sie dadurch auch in unseren Wäldern häufiger wird und sich ausbreiten kann, hängt davon ab, wie stark der Vorteil vermehrter Kohlenstoffbindung im Winter durch zunehmende Hitze und Trockenheit im Sommer aufgewogen wird. Studien zufolge (Bañuelos et al. 2003, Berger und Walther 2005, Skou et al. 2012) hat die Art in den letzten Jahrzehnten ihre Verbreitung in Dänemark nach Osten und an der Westküste Norwegens nach Norden ausdehnen können. Von ihren Vorkommen an der deutschen Ostseeküste aus erschließt sie sich mittlerweile bereits jenseits der Odermündung in Polen neue Lebensräume. Hoffnung also für einen seltenen, heimischen Laubbaum in Zeiten, die für viele andere Baumarten zunehmend schwieriger werden.

Reproduktion

Ilex aquifolium im Unterwuchs eines Buchenwaldes an einem HangZoombild vorhanden

Abbildung 7: Ilex aquifolium im Unterwuchs eines Buchenwaldes im Bergischen Land, Nordrhein-Westfalen. Foto: G. Aas

Die Stechpalme ist zweihäusig (diözisch), es gibt also männliche und weibliche Individuen. Ihre weißen oder zart rötlichen Blüten erscheinen dicht gedrängt in Blattachseln im Mai oder Anfang Juni (Abbildung 8 und 9). In den meisten Blüten ist das jeweils andere Geschlecht, Staubblätter bzw. Fruchtknoten, in verkümmerter Form vorhanden, aber funktionslos. Bestäuber sind vor allem Käfer, Fliegen, Schwebfliegen und Bienen.

Die zur Reife leuchtend roten Steinfrüchte (Abbildung 3) der weiblichen Pflanzen breiten Vögel aus. Allerdings sind sie zunächst wenig begehrt und werden erst gefressen, wenn es den Vögeln in Notzeiten an anderer Nahrung mangelt. Deshalb behalten Stechpalmen ihre Früchte bis weit in den Winter, oft sogar bis zum nächsten Frühling. Für den Menschen sind die unangenehm schmeckenden Früchte, aber auch die Blätter, giftig. Ihr Verzehr löst Übelkeit, Erbrechen und Durchfall aus, kann aber auch zu Herzrhythmusstörungen, Lähmungen und Nierenschäden führen.
Vegetativ können sich Stechpalmen gut regenerieren und fortpflanzen. Nach Verbiss durch Wild­ oder Weidetiere, aber auch nach Rückschnitt treiben selbst alte Pflanzen wieder gut aus schlafenden (proventiven) Knospen aus. Auf den Stock gesetzt bilden sie reichlich Stockausschläge. Ausgeprägt ist zudem die Fähigkeit zur Bildung von Wurzelsprossen (Wurzelbrut) und von Absenkern. Bei dieser Form der vegetativen Vermehrung bewurzeln sich untere, den Boden berührende Seitenzweige und entwickeln sich zu eigenständigen Individuen. Diese Regenerationsfähigkeit und der Schutz vor Verbiss durch die derben, bewehrten Blätter haben in vielen, ehemals beweideten oder durch überhöhte Schalenwildbestände belasteten Wäldern zu einer Förderung der Stechpalme geführt. Vielerorts kann man dies noch heute daran erkennen, dass Ilex im Unterwuchs lichter Wälder oder auf Weideflächen in einer Rottenstruktur vorkommt, d. h. in dichten Gruppen (Klone) vegetativ gebildeter Individuen (Abbildung 10 und 11).
Weibliche Blüten 4 weiße Kronblätter mit grünem Fruchtknoten der Europäischen Stechpalme

Abbildung 8: Weibliche Blüten

Männliche Blüten 4 weiße Kronblätter 4 Staubblätter in einer Traube am Ast hängend

Abbildung 9: Blütenstände einer männlich blühenden Ilex aquifolium

strauchartige Stechpalmen in der Sonne auf einer Weide

Abbildung 10: Stechpalmen auf einer beweideten Fläche in den Vogesen

Sehr dichte Ansammlung von Stechpalmen heckenartig

Abbildung 11: Dicht gedrängte Gruppe von Ilex aquifolium

Nutzung

Eine Hand zeigt auf weiß berandete, panaschierte Blätter einer  Gartenform einer StechpalmeZoombild vorhanden

Abbildung 12: Weiß berandete, panaschierte Blätter einer Gartenform einer Stechpalme Foto: O. Holdenrieder

Das glänzende, wintergrüne Laub in Kombination mit dem Rot der Früchte der Stechpalme ist seit Jahrhunderten ein beliebtes Schmuckreisig an Weihnachten, aber auch an Allerheiligen und am Palmsonntag (Stechpalme!). Rot und Grün sind bis in die Gegenwart die traditionellen Farben für Weihnachten. In Großbritannien ist Holly, so die Stechpalme im Englischen, das Weihnachtssymbol schlechthin. In Deutschland führte die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts teilweise gewerbsmäßig betriebene Gewinnung von Stechpalmenzweigen zu einer Übernutzung der natürlichen Bestände und vielerorts zu einem Rückgang der Art (z. B. Loesener 1930). Um dem Raubbau Einhalt zu gebieten, wurden bereits in den 1920er Jahren erste lokale und regionale Schutzverordnungen erlassen. Seit 1935 steht die natürlich vorkommende Ilex aquifolium deutschlandweit unter Schutz. Nach der heute gültigen Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) ist sie »besonders geschützt« und darf nicht beschnitten oder ausgegraben werden. In Bayern steht sie auf der Roten Liste und gilt in ihrem Bestand als »gefährdet«.

Das Holz der Stechpalme fällt zwar nicht in größeren Mengen und Dimensionen an, war und ist aber insbesondere für Drechslerarbeiten gesucht. Es ist zerstreut­porig und gleichmäßig strukturiert, einfarbig hell, relativ schwer (Rohdichte lufttrocken 0,65 – 0,8 g/cm3), aber gut zu bearbeiten. Früher wurde es wegen seiner Härte und Zähigkeit gerne für Zahnräder und Werkzeugstiele verwendet sowie für Intarsien, Schirm­ und Spazierstöcke. Zwei schmucke Gehstöcke aus Ilex­-Holz von Johann Wolfgang von Goethe sind im Goethe­ Haus in Weimar zu besichtigen. Da sich das Holz gut und dauerhaft schwarz beizen lässt, dient es als Ersatz für Ebenholz. Große Bedeutung hat Ilex aquifolium als Ziergehölz (Abbildung 12). Häufig in Kultur verwendet sind Sorten mit am Rand weißen (panaschierten, z. B. »Argentea Marginata«) oder gelbbunten (»Aurea Marginata«) Blättern sowie mit abweichender Fruchtfarbe wie bei der gelbfrüchtigen Sorte »Bacciflava«.

Summary

Ilex aquifolium (common holly, Aquifoliaceae) is the only evergreen broad-leaved tree species native to Central Europe besides the common boxwood (Buxus sempervirens). It is particularly widespread in a temperate, humid climate. Presented are the distribution of Ilex aquifolium as well as its morphology, ecology and reproductive biology.

Literatur

  • Bañuelos, M.J.; Kollmann, J.; Hartvig, P.; Quevedo, M. (2003): Modelling the distribution of Ilex aquifolium at the north­eas­tern edge of its geographical range. – Nordic J. Bot. 23: 129­142
  • Berger, S.; Walther, G.-R. (2005): Detektion und Verifikation von klimainduzierten Vegetationsveränderungen. In: Korn, H. (Hrsg.): Biodiversität und Klima. BfN – Skripten 131: 32­34
  • Ellenberg, H.; Leuschner, C. (2010): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen. Stuttgart: Ulmer. 1333 Seiten
  • Loesener, T. (1930): Gefährdung wilder Ilex­Bestände. Mitt. DDG 42: 392­394
  • Obeso, J.R. (1997): The induction of spinescence in European holly leaves by browsing ungulates. Plant Ecol. 129: 149­156
  • Sautter, R. (2003): Waldgesellschaften in Bayern. Landsberg: ecomed. 224 Seiten
  • Skou, A.-M. T.; Toneatto, F.; Kollmann, J. (2012): Are plant po­pulations in expanding ranges made up of escaped cultivars? The case of Ilex aquifolium in Denmark. Plant Ecol. 213: 1131­-1144
  • Veste, M.; Kriebitzsch, W.-U. (2019): Die Stechpalme – ein Ge­winner des Klimawandels? AFZ/Der Wald 16/2010: 16­18
  • Walther, G.-R.; Berger, S.; Sykes, M.T. (2005): An ecological ›foot­print‹ of climate change. Proc. R. Soc. B 272: 1427­1432

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