Olaf Schmidt
Blütenwunder Traubenkirsche - LWF-aktuell 110

Traubenkirschen leisten wichtigen Beitrag zur Biodiversität unserer Wälder

Gerade im April erfreuen uns in den Auwäldern und entlang der uferbegleitenden Gehölze die blühenden Traubenkirschen mit ihrem hohen Schmuckwert. Noch vor dem Austrieb der anderen Baumarten wie Pappeln, Weiden, Erlen oder Eschen ergrünen und erblühen die Traubenkirschen bereits mit großer Lebenskraft. Mit ihrem überreichen Blütenschmuck sind die bis zu 18 Meter hoch werdenden Traubenkirschen ein unübersehbares und wichtiges Landschaftselement. Aber auch hinsichtlich ihrer ökologischen Eigenschaften spielt die Traubenkirsche in unseren Wäldern eine wichtige Rolle.

Weiße Blütenstände eines Baumes.Zoombild vorhanden

Abbildung 1: Traubenkirschen sind bekannt für ihre intensive
Blüte. (Foto: G. Huber, ASP)

Die Gewöhnliche Traubenkirsche (Prunus padus) besitzt ein riesiges Verbreitungsgebiet, das sich von der Iberischen Halbinsel und den Britischen Inseln im Westen über Skandinavien, Mittel- und Osteuropa bis nach Nordasien und nach Japan erstreckt.

In Deutschland hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Projekts »Erfassung und Dokumentation genetischer Ressourcen seltener Baumarten in Deutschland « in den Jahren von 2010 bis 2013 Vorkommen von zehn seltenen heimischen Baumarten, darunter auch die der Gewöhnlichen Traubenkirsche, ermittelt.

Standortsansprüche und Verbreitung der Traubenkirsche

Karte von Bayern mit orangen Punkten, die Vorkommen der Kirsche markieren.Zoombild vorhanden

Abbildung 2: Erfasste Vorkommen der Traubenkirsche
in Bayern (Quelle: Huber und Wurm 2014)

Die Traubenkirsche ist als Halbschattholzart vor allem in Au- und Bruchwäldern und weiteren feuchten Laubwäldern, aber auch in uferbegleitenden Gehölzbeständen verbreitet und dort meist mit Esche und Roterle vergesellschaftet. Auch auf frischen Standorten kommt sie gerne an Waldrändern vor.

Sie bevorzugt nährstoffreiche, feuchte bzw. grundfeuchte Lehmund Tonböden. Trockene Standorte meidet sie. Sie bildet intensiv Wurzelbrut und Stockausschläge. Ihre dunkelgraue, glatte Rinde riecht bei Verletzungen unangenehm. Als Grund wird das Blausäureglykosid Amygdalin genannt.

Traubenkirschen-Laub und dessen Nutzer

Tabelle mit drei Spalten und 21 Zeilen.Zoombild vorhanden

Abbildung 3: Artenzahl je Baumgattung der in Bayern
nachgewiesenen Schmetterlingsarten
(nach Hacker und Müller 2006)

Die Blätter der Traubenkirsche sind verkehrt- eiförmig geformt und am Rand gesägt. Im Gegensatz zur verwandten Spätblühenden Traubenkirsche (Prunus serotina) reicht bei der Gewöhnlichen Traubenkirsche die Blattnervatur nicht bis zum Blattrand. Am oberen Ende des Blattstiels sitzen zwei Nektarien (Schütt et al. 1992).

Bei den Untersuchungen der Schmetterlinge in bayerischen Naturwaldreservaten in den letzten 25 Jahren konnten dort 70 % aller Schmetterlingsarten Bayerns nachgewiesen werden (Hacker und Müller 2006). Von 2.983 bayerischen Schmetterlingsarten leben 955 Arten an Laubbäumen und 116 Arten an Nadelbäumen.

Wenn man die Artenzahl je Baumgattung der in Bayern nachgewiesenen Schmetterlingsarten betrachtet, so führt die Eiche mit 205 Arten vor der Gattung Betula mit 182 und Salix mit 179 Arten. Die Gattung Prunus folgt bereits mit 163 Arten noch vor der artenreichen Gattung Populus mit 136 Arten (Abbildung 3).

Das deutet schon auf die hohe Bedeutung der Gattung Prunus, insbesondere der Schlehe (Prunus spinosa), aber auch der Vogelkirsche (Prunus avium) und der Traubenkirsche (Prunus padus), für die heimischen Schmetterlingsarten hin. Diese fünf Baumgattungen unterstreichen auch die überragende Bedeutung der heimischen Weichlaubhölzer und Pionierbaumarten für die Artenvielfalt in unseren Wäldern (Schmidt 2015). An der Traubenkirsche allein sind es nach Hacker (1998) 21 Großschmetterlingsarten.

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Weißer Schmetterling mit schwarz-gelber Zeichnung auf Blatt.Zoombild vorhanden

Abbildung 4: Falter des Stachelbeerspanners
(Foto: L. Hlasek)

Häufig werden Traubenkirschen im Frühjahr von der Traubenkirschengespinstmotte (Yponomeuta evonymellus) befallen. Die Traubenkirschengespinstmotte gehört zu den wenigen streng monophagen Schmetterlingen unserer Fauna (Reichholf 2012). Wenn die Traubenkirschenblätter austreiben, schlüpfen die Larven der Traubenkirschengespinstmotte und befressen die jüngsten Blättchen. Dabei spinnen sie sich eigene Gespinste an den Zweigspitzen. Diese Gespinste werden im Laufe der Raupenentwicklung immer größer und nehmen immer mehr Teile der Krone und des Stammes der Traubenkirsche ein.

Zu guter Letzt sehen gänzlich eingesponnene Stämme der kahl gefressenen Traubenkirschen, die im Sonnenlicht silbern leuchten, durchaus schaurig schön und gespenstisch aus. Aber zwei bis drei Wochen nach dem Kahlfraß treiben die Traubenkirschen wieder aus und wachsen meist unversehrt weiter. Zwischen der Baumart und der Gespinstmotte hat sich im Laufe ihrer Koevolution eine Art Gleichgewicht entwickelt.
Weiße Raupe mit schwarz-gelber Zeichnung auf Blatt.Zoombild vorhanden

Abbildung 5: Raupe des Stachelbeerspanners
(Foto: L. Hlasek)

Der hübsch gefärbte Stachelbeerspanner (Abraxas grossulariata) wurde 2016 zum Schmetterling des Jahres gekürt. Seine Raupen fressen neben den namengebenden Stachelbeersträuchern besonders an Johannisbeersträuchern, aber eben auch an Traubenkirschen. Der Falter ist selbst rund 20 mm lang und erreicht eine Flügelspannweite von 32–48 mm (Abbildung 4). Die weißen Vorder- und Hinterflügel sind durch schwarze Flecke und orangerote Färbungen ansprechend und bunt gezeichnet. Ähnlich weiß-schwarz-gelb ist auch die Raupe gefärbt (Abbildung 4).

Wie die Traubenkirsche besitzt auch der Stachelbeerspanner ein riesiges Verbreitungsgebiet von der Iberischen Halbinsel über Zentraleuropa bis nach Ostasien, Japan und Korea. Häufig findet man diese wärmeliebende Art sowohl in Auwäldern, wo eben Stachel- und Johannisbeersträucher und Traubenkirschen natürlich vorkommen, als auch in Gärten mit reichlich Ende Juni bis August. An den Unterseiten der Blätter legen die Weibchen ihre Eier ab. Nach etwa zwei Wochen schlüpfen die Räupchen, die man von Juni bis August finden kann. Die Raupen überwintern eingesponnen zwischen Blättern. Schließlich verpuppen sich die Raupen in Bodennähe in einem netzartigen Kokon.

Leider ist der Stachelbeerspanner in den letzten Jahrzehnten deutlich seltener geworden. Als Gefährdungsursachen sind vor allem der Rückgang der naturnahen Auwälder und vielfältiger Bauerngärten mit reichhaltigem Angebot an Beerensträuchern zu nennen.

Blütenpracht und Beerenfülle

Die Traubenkirsche zeigt einen reichhaltigen Blütenansatz. Die Blüten befinden sich in überhängenden, vielblütigen Trauben. Die Einzelblüte ist fünfzählig und radiärsymmetrisch aufgebaut und besteht aus einem grünen Kelch und weißen freien Kronblättern. Im Gegensatz zur Rinde verströmen die Blüten einen eher angenehmen, honigartigen Geruch. Die Blüten werden intensiv von Bienen, Hummeln und Zweiflüglern beflogen und bestäubt. Die Traubenkirsche ist von beachtlichem Wert für die Bienen im Frühjahr. Der Duft der Traubenkirsche lockt viele Insekten an. Für Honigbienen sind Traubenkirschen vor allem in klimatisch günstigen Gebieten lohnend (Schaper 1998).

Aus den Blüten entwickeln sich erbsengroße Steinfrüchte, die meist dunkelrot oder schwarz gefärbt sind. Zur Reifezeit im Spätsommer werden diese von vielen Vogelarten verzehrt. Während das bitter schmeckende Fruchtfleisch ungiftig ist, enthält der runzelige Kern giftige Blausäureglykoside. In unseren mitteleuropäischen Wäldern sind die hochwüchsigen Baumarten in ihrer Verbreitung meistens auf den Wind angewiesen. Nur wenige Bäume besitzen schwere Früchte, die von Tieren verbreitet werden (z. B. Buche, Eiche, Zirbe, Kirsche). Vogel- und Traubenkirsche lassen ihre Samenkerne über fruchtfressende Vogelarten ausbreiten. Es besteht hier eine enge ökologische Beziehung zum gegenseitigen Nutzen der Partner. Die Vögel bekommen Nahrung (Fruchtfleisch) und verbreiten im Gegenzug die genutzte Baumart über ihre Ausscheidungen weiter (Zoochorie).

Von allen einheimischen Gehölzen weist die Vogelbeere (Sorbus aucuparia) mit 63 nachgewiesenen Vogelarten, die sich von ihren Beeren ernähren, die höchste Artenanzahl auf. Sehr beliebt bei Vogelarten sind auch der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) mit 62 nachgewiesenen Vogelarten und der Traubenholunder (Sambucus racemosa) mit 47 Vogelarten. In diese Liste der beliebten Gehölze für Vogelarten reiht sich die Traubenkirsche mit 24 nachgewiesenen Vogelarten, die ihre Früchte fressen, ein (Turcek 1961). Insbesondere sind es Amsel, Singdrossel, Misteldrossel, Rotkehlchen und Mönchsgrasmücke, die die Früchte der Traubenkirsche nutzen. Im Englischen heißt diese Baumart daher »Bird Cherry«.

Sonderfall: Traubenkirschen-Hafer- Blattlaus

Eine besondere tierökologische Bedeutung weist die Traubenkirsche durch das Vorkommen der Traubenkirschen-Hafer- Blattlaus (Rhopalosiphum padi) auf. Die früh austreibende und früh blühende Traubenkirsche bietet bereits im April ein reiches Insektenangebot, das insbesondere von vielen Singvögeln als Nahrung genutzt wird.

Eine besondere Rolle spielt hierbei die Traubenkirschen-Hafer-Blattlaus. Diese Laus überwintert als Ei auf der Traubenkirsche. Im Frühjahr entsteht eine erste, ungeflügelte Generation, später folgen auch geflügelte Weibchen. Diese wandern im Mai/Juni auf Gräser (Hafer!) ab, von wo ab Ende August bis Mitte September die beflügelten Weibchen und Männchen wieder auf die Traubenkirsche zurückkehren (Glutz von Blotzheim 2010).

Im Lauf der Jahre konnten in der Schweiz bei detaillieren Untersuchungen 36 Vogelarten beim Verzehr von Traubenkirschen- Hafer-Blattläusen beobachtet werden. Der Blattlausfraß beginnt Ende März/Anfang April und flaut nach dem 20. Mai stark ab, um Ende Mai völlig zu erlöschen. Den Höhepunkt erreicht er zwischen der ersten und dritten Aprilwoche. Insbesondere nutzen Mönchsgrasmücke, Zilpzalp, Blaumeise, Kohlmeise, Buchfink und Teichrohrsänger dieses Nahrungsangebot.

Ökologisch besonders wertvoll

Blühender Baum neben ländlichem Anwesen.Zoombild vorhanden

Abbildung 6: Traubenkirsche als stattlicher Bäumen (Foto: O. Holdenrieder)

Neben einem reichen Insektennahrungsangebot bereits im Frühjahr bietet die Traubenkirsche ab Mitte Juli Fleisch und Kerne ihrer Steinfrüchte und im Herbst verschiedenen Insekten den begehrten Honigtau dar. Sie besitzt also einen hohen tierökologischen Wert und trägt, wie die anderen Pionierbaumarten unserer Wälder, Aspe, Salweide, Birke und Vogelbeere, zur Artenvielfalt unserer heimischen Natur bei.

Gerade auf feuchten und frischen Standorten, in Auwäldern und an Fließgewässern und Waldrändern kann die Traubenkirsche ohne großen Aufwand erhalten, gefördert und vermehrt werden, um damit letztlich die Biodiversität unserer Wälder zu erhöhen.
Sie ist nicht nur aus landschaftsästhetischen Gründen eine besonders attraktive Gehölzart, sondern auch wegen ihrer ökologischen Bedeutung sollte sie darüber hinaus nicht nur in den Wäldern, sondern auch in der offenen Landschaft und vor allem in Siedlungsbereichen mehr beachtet und gefördert werden.

Zusammenfassung

Die Gemeine Traubenkirsche besitzt ein riesiges Verbreitungsgebiet von Europa über Sibirien bis hin nach Japan. Sie bevorzugt vor allem frische Standorte. Wegen ihrer frühen und auch reichen Blüte hat sie eine große Bedeutung für die einheimische Fauna. Für zahlreiche Insekten und Vögel ist sie Lebensraum und Nahrungsspender. Wie viele andere Pionierbaumarten verdient sie das Gütesiegel »Ökologisch besonders wertvoll«.

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