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Jérôme Morinière und Michael Mößnang
Ein Käferbein für die Bibliothek - LWF-aktuell 114

Seit fast zehn Jahren schickt die ZSM »aufbereitete « Beinchen von Käfern, Schmetterlingen, Mücken, Fliegen oder Spinnen oder anderweitiges tierisches Probenmaterial über den Atlantik nach Kanada. Mittlerweile liegen dort circa 20.000 deutsche DNA-Barcodes in der »Bibliothek des Lebens«.

Wissenschaftler sitzt vor terchnischem Gerät und PC im Labor.Zoombild vorhanden

Abb. 1: Jérôme Morinière (Foto: F. Stahl, LWF)

Mit einer kleinen Pinzette zieht Jérôme Morinière vorsichtig und behutsam einem toten Insekt ein Beinchen heraus. »Da haben wir eine Heuschrecke. Mit ihrem gut 5 cm langem Körper, den sehr langen Fühlern und mit ihren beeindruckenden Sprungbeinen zählt sie schon zu den größeren Insekten aus unserer Sammlung«, erklärt der 32-jährige Diplom-Biologe und Mitarbeiter der Zoologische Staatssammlung in München (ZSM). Dann legt Morinière das Beinchen in ein kleines Röhrchen, das mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt ist.

»Die Spezialflüssigkeit in diesem Röhrchen zerlegt über Nacht das Käferbein und macht die DNA, das Erbgut der Heuschrecke, für weitere genetische Untersuchungen zugänglich. Die so aufbereitete Probe schicken wir dann nach Kanada, wo Kollegen das Erbgut entschlüsseln und in einer riesigen digitalen Datenbank ablegen«. Seit dem Jahr 2006 schickt die Zoologische Staatssammlung in München (SNSB, ZSM) »aufbereitete« Beinchen von Käfern oder Spinnen oder anderweitiges tierisches Probenmaterial über den Atlantik ins ›Canadian Centre for DNA-Barcoding‹ nach Guelph/ Kanada. Dort wurden bislang circa 250.000 bayerische Proben auf ihr Erbgut hin untersucht und sogenannte Barcodes eines bestimmten Gens erstellt – zur sicheren und eindeutigen Artbestimmung und zur »Ablage in der Bibliothek des Lebens«.

»Barcodes kennt jeder. Das sind die schwarzen Strichcodes auf der Rückseite von Produkten. Sie dienen der eindeutigen Kennzeichnung eines jeden Artikels im Sortiment eines Handelshauses – mit einem kurzen ›Pieps‹ wird jeder Artikel an der Kasse gescannt und sofort erkannt«, erklärt Morinière.

658 Basenpaare zur Artidentifizierung

Käfer wird mit Pinzette im Glas abgesetzt.Zoombild vorhanden

Abb. 2: Entnahme eines Beins zur DNA-Gewinnung (Foto:
F. Stahl, LWF)

Diese Barcording-Idee wurde 2003 vom kanadischen Wissenschaftler Professor Dr. Paul Hebert erstmals vorgeschlagen. Hebert bedient sich mit seinem DNA-Barcoding eines sehr ähnlichen Prinzips. Hierbei dient ein kurzes Genfragment – ein 658 Basenpaar langer Abschnitt des Cytochrom Oxidase I Gens (kurz CO1) – als einzigartiges Merkmal für die Identifizierung von Tierarten.

Hebert und sein Team waren auf der Suche nach einem molekularen Marker, welcher drei wesentliche Voraussetzungen erfüllt: Dieser muss erstens in allen Tierarten zu finden sein. Dann muss er mit geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand replizierbar für die Artidentifikation herangezogen werden können. Und drittens muss der gesuchte Marker einzigartig für die meisten Tierarten sein.

Das CO1-Gen erwies sich in diesem Sinne als besonders gut geeignet. Vertreter einer Art weisen meist keine oder nur sehr wenige Basenpaarunterschiede innerhalb der CO1-Barcode-Sequenzen auf, wohingegen man bei weiter entfernten Arten deutliche Unterschiede feststellen kann. Gerade diese Unterschiede innerhalb der Gensequenzen macht man sich beim »DNA-Barcoding« zunutze.

»Bibliothek des Lebens« – Strichcode in vier Farben

Insektenbein wird mit Pinzette in ein Röhrchen gelegt.Zoombild vorhanden

Abb. 3: Flüssigkeit zum Auflösen des Muskelgewebes zur DNA-Analysegewinnung (Foto: F. Stahl, LWF)

Eine solche DNA-Barcode-Sequenz setzt sich, wie die gesamte genomische DNA, aus einer individuellen Abfolge von vier Nukleinsäuren (Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin – kurz A, G, T und C) zusammen. Diese DNA-Barcode-Sequenz wird für jede Tierart in der globalen Datenbank BOLD (Barcode of Life Data Systems – www.boldsystems.org) abgelegt bzw. dort abgeglichen.

So erhält man, wie beim Produktbarcode an der Kasse eines Supermarkts, eine Identifikation der gesuchten Tierart. Inzwischen hat sich das CO1-DNA-Barcoding als globaler Standard zur schnellen, kosteneffizienten und zuverlässigen Artidentifikation von Tieren etabliert. An der Zoologischen Staatssammlung in München (ZSM) kooperieren Wissenschaftler bereits seit 2006 mit den kanadischen Forschern, um im Rahmen einer internationalen Barcoding Initiative an der Etablierung einer »Bibliothek des Lebens« aller in Deutschland beheimateten Tierarten mitzuwirken.

Im Jahre 2009 wurde das Projekt »Barcoding Fauna Bavarica« (BFB – www.faunabavarica.de) als erstes DNA-Barcoding-Großprojekt in Europa ins Leben gerufen.

Bayerns »Tierpark« zur Hälfte eingescannt

Rot und grün markierte Probegläser in Plastegefäß.Zoombild vorhanden

Abb. 4: Einige hundert Proben
warten auf die Analyse des
CO1-Gens (li.). (Foto: ZSM)

Projektkoordinator Dr. Axel Hausmann an der Zoologischen Staatssammlung in München erläutert die Ziele des Projektes: »In Bayern gibt es etwa 35.000 Tierarten, welche wir seit 2009 in einer genetischen Referenzbibliothek Bayerns erfassen wollen. Durch eine zweite, deutschlandweite Kampagne (›German Barcode of Life‹) wurde im Jahr 2012 die genetische Inventarisierung auf alle 40.000 Tierarten Deutschlands erweitert. Mit den beiden Projekten konnten wir in den letzten acht Jahren bereits mehr als 20.000 Tierarten in die Referenzbibliothek aufnehmen. Es ist heute also schon möglich, mehr als die Hälfte der in Deutschland bekannten Tierarten sicher über ihren DNA-Barcode zu identifizieren.

« Bereits vollständig oder nahezu vollständig erfasst werden konnten laut Dr. Axel Hausmann die einheimischen Schmetterlinge, Bienen, Heuschrecken, Netzflügler, Spinnen, Weberknechte, Eintagsfliegen, Steinfliegen, Köcherfliegen, Wanzen, Säugetiere, Fische, Amphibien und Reptilien.

Für viele weitere Gruppen wurden schon mehr als die Hälfte aller bekannten Arten erfasst, dazu zählen insbesondere die Käfer. Somit erlaubt es die derzeitige Referenzbibliothek, bereits alle häufigen und sehr häufigen Arten sicher und eindeutig identifizieren zu können.

Barcoding: schnell, zuverlässig, günstig

Bunter Barcode-AusschnittZoombild vorhanden

Abb. 5: Der Barcode (Ausschnitt) des Gens ist für jede Tierart charakteristisch (ob.). (Foto: ZSM)

Warum aber macht man, um eine Tierart zu bestimmen, diesen Umweg über das DNA-Barcoding? Die Erklärung ist einfach, weiß Morinière: »Immer wieder müssen Tierarten bestimmt werden, sei es im Rahmen naturwissenschaftlicher Forschungen, sei es, weil Tierarten aus fernen Ländern plötzlich bei uns auftreten, von denen man wissen muss, ob sie gefährlich werden könnten, oder sei es, weil es sich um Schädlinge handeln könnte, die bei uns oder in unserer Umwelt Schäden verursachen könnten.

Dann kann man sogenannte Taxonomen fragen, Experten, die in der Lage sind, diese Tierarten zu bestimmen. Aber nicht für alle Tiergruppen gibt es Experten, große Lücken gibt es bei den kleinen, hässlichen, schwarzen oder braunen Arten.

Und: Wenn es schnell gehen soll, um mögliche Schäden zu verhindern, dann kann es bei einem Taxonomen schon mal zu lange dauern. Besonders heikel wird es, wenn es sich bei den Tieren um Eier oder Larven handelt, die man einer bestimmten Tierart gar nicht sicher zuordnen kann, weil sich diese Entwicklungsstadien noch kaum ausdifferenziert haben. Hier ist das DNA-Barcoding unschlagbar: Es geht schnell, ist sehr zuverlässig und von den Kosten her günstig.«

1.000 Arten auf einem Streich: Metabarcoding

Holzschrank mit drei geöffneten Schubladen, in denen Insektenschaukästen gelagert werden.Zoombild vorhanden

Abb. 6: In Bayern gibt es circa
35.000 Tierarten. (Foto: F. Köhler)

Seit wenigen Jahren etabliert sich neben dem klassischen DNA-Barcoding nun auch eine weitere Methode, welche es erlaubt, aus Mischproben die DNA aller darin enthaltenen Arten zu analysieren. Unter Mischproben versteht man etwa Ausbeuten aus Insektenfallen, welche routinemäßig für Monitoringzwecke in unterschiedlichsten Einsatzgebieten eingesetzt werden, um die Diversität flugfähiger Insekten in einem Gebiet zu erfassen.

Diese neue Methode nennt sich Metabarcoding. Anders als beim regulären DNA-Barcoding wird hier das Erbgut aus Gemischen von bis zu zehntausenden Individuen gleichzeitig extrahiert. Durch das sogenannte Next Generation Sequencing (NGS) ist es möglich, aus der »DNA-Suppe« nahezu alle DNA-Barcode-Sequenzen zu vervielfältigen und in einer einzigen Analyse Abermillionen von Einzelsequenzen zu generieren.

Mittels ausgefeilter Programmier- und Computerbefehle kann im Anschluss an die Analyse jeder Barcodesequenz eine Tierart zugewiesen werden. Das funktioniert durch Abgleich mit den Referenzdatenbanken heute bereits sehr gut, und umfassende Artenlisten können bereits heute aus Mischproben erstellt werden. Dr. Axel Hausmann, Projektkoordinator und Leiter der Sektion Lepidotera der Zoologischen Staatssammlung München: »Wir testen an der ZSM gerade ausgiebig das Metabarcoding und versuchen, diese Technologie für weitere Applikationen weiterzuentwickeln. Die DNA-Barcoding-Technologie kann nun nicht mehr nur in Kanada, sondern auch hierzulande im Wissenschaftsnetzwerk der Staatssammlung als Dienstleistung herangezogen und genutzt werden.«

Morinière legt sich mittlerweile einen neuen Käfer unter das Mikroskop und entfernt routiniert wiederum ein Käferbein. »Der Schwarzer Bombardierkäfer Aptinus bombarda fehlt noch in unserer Bibliothek des Lebens. Aber nach und nach schließen sich auch die letzten noch offenen Lücken in unserer Gendatenbank bayerischer Tiere.«

Wissenwertes: Der kleinste Käfer genetisch erfasst

Kleiner Käfer mit Minimaßstab.Zoombild vorhanden

Foto: L. Hendrich

Die kleinste Käferart Europas ist der weniger als einen halben Millimeter messende Zwergkäfer Baranowskiella ehnstromi. Die Art wurde erst 1997 in Schweden entdeckt. Inzwischen gibt es auch Funde unter anderem aus Norwegen, Dänemark, Deutschland, der Schweiz und Österreich. Forscher der Zoologischen Staatsammlung München konnten mehrere Exemplare des Käfers analysieren und sein Genmaterial damit im Internet erstmals verfügbar machen.

Der Zwergkäfer – nur ein zehntel Millimeter breit und damit so dünn wie ein menschliches Haar – lebt in den Poren von Baumpilzen. Er bevorzugt vor allem den muschelförmigen Feuerschwamm, der wiederum parasitisch an der Salweide lebt. Der Käfer ernährt sich von Pilzsporen.

Die Gensequenzierung erfolgte im Rahmen der Projekte »Barcoding Fauna Bavarica« und »German Barcode of Life«. Das Projekt ist Teil des internationalen Barcoding-Projektes iBOL mit Sitz in Kanada, welches das ehrgeizige Ziel verfolgt, alle Tierarten weltweit genetisch zu erfassen.

www.faunabavarica.de

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