LWF aktuell 140
Der Große Amerikanische Leberegel im Böhmerwald-Ökosystem
von Frederik Franke, Tomáš Peterka, Pavla Jůnková Vymyslická, Marc Velling, Jan Mokry, Martin Starý, Marco Heurich und Wibke Peters
Abb. 1: Lebenszyklus des Großen Amerikanischen Leberegels: 1. adulter Egel in der Leber eines Endwirts, 2. Ei, 3. Mirazidium, Entwicklung über Sporozyste zu Mutter- und Tochterredien in den Zwischenwirten 4. Alpen-Schlammschnecke oder 5. Kleine Sumpfschnecke, 6. Zerkarie, 7. Metazerkarie. (© P. Procházka)
Der Große Amerikanische Leberegel (GAL) ist ein Plattwurm, der als Endwirt verschiedene Wiederkäuer parasitiert. Während einige dieser Wirtsarten einen Befall mit dem Egel weitestgehend tolerieren, reagieren andere sehr sensibel. Auf bayerischer Seite des Böhmerwald-Ökosystems wurde der GAL erstmals im Herbst 2019 nachgewiesen. Wie sich heute die lokale Häufigkeit und die Verteilung des Parasiten darstellen, zeigen die Ergebnisse des durch die EU geförderten INTERREG-Projekts »Risikoabschätzung für Wildtiere durch den invasiven Parasiten Großer Amerikanischer Leberegel«.
Im Zeitraum April 2021 bis Dezember 2022 untersuchte die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft zusammen mit ihren Projektpartnern, dem Nationalpark Bayerischer Wald, dem Nationalpark Šumava sowie dem assoziierten Partner Forstbetrieb Neureichenau (Bayerische Staatsforsten), die Befallssituation vor Ort.
Im Fokus stand dabei die Erhebung der aktuellen Infektionsraten bei Rotwild, Reh und Wildschwein. Zudem wurde die Verbreitung der Zwischen- und Endwirte erhoben, um mögliche Infektionshotspots des Großen Amerikanischen Leberegels zu lokalisieren.
Eingeschleppt durch Wildtierimporte
Bereits in den 1930er Jahren wurden einzelne Funde des GAL auch aus Deutschland gemeldet. Ab dem Jahr 2000 gab es vermehrt Nachweise des Parasiten in Südwestböhmen (Tschechien) und seit 2010 häufen sich Funde im Nordosten Bayerns. Der erste Nachweis auf deutscher Seite des Böhmerwald-Ökosystems stammt von einem Rothirsch, der im Herbst 2019 im Nationalpark Bayerischer Wald erlegt wurde.
Die ursprünglich auf dem amerikanischen Kontinent befallenen Wirtstierarten wie Weißwedel- oder Wapitihirsch kommen natürlicherweise in Europa nicht vor. Stattdessen befällt der GAL hier heimische Arten – bevorzugt den Rothirsch. Der GAL parasitiert zudem eine Vielzahl anderer freilebender Huftierarten, darunter Dam- und Sikahirsch, Reh, Gams und Wildschwein. Ebenso aber auch Rinder-, Pferde-, Schweine-, Ziegen-, und Schafbestände. Einige dieser Wirte zählen zu den sogenannten Neben- oder Irrwirten (siehe Info-Box). Egel, die einen solchen Wirt nutzen, gelingt in der Regel keine Reproduktion. Der Lebenszyklus des GAL ist komplex und beinhaltet neben dem Endwirt eine semi-aquatische Schnecke als Zwischenwirt.
Der Parasit wechselt seinen Wirt
Abb. 2: Gebiete mit erhöhtem Infektionsrisiko (hellgelb) für Rotwild. Die Karte entstand durch das Verschneiden der modellierten Vorkommens-wahrscheinlichkeiten geeigneter Zwischenwirte mit den modellierten Vorkommens-wahrscheinlichkeiten von Rotwild. (© Marc Velling, NP Bayerischer Wald )
Die Parasitenlarve dringt über die Außenhaut in ihren Zwischenwirt ein und entwickelt sich zu einer Sporozyste. In der Schnecke folgen nun einige Teilungsschritte: Aus einer einzelnen Sporozyste können sich über Mutter- und Tochterredien mehr als 1.000 Zerkarien entwickeln. Diese verlassen die Schnecke und lagern sich als Zyste an Pflanzenbestandteilen an. Niedrige Temperaturen verlangsamen zwar den Entwicklungsprozess, führen aber nicht immer zum Absterben des Parasiten. Deshalb können Parasiteneier oder die Entwicklungsstadien in der Schnecke den Winter überdauern und ihre Entwicklung im nächsten Frühjahr fortsetzen.
Die mikroskopisch kleinen Zysten beinhalten die für den Endwirt infektiösen Metazerkarien. In feuchter Umgebung können diese in der Zyste mehrere Monate überdauern, in trockener Umgebung sterben sie dagegen nach wenigen Wochen ab. Der Endwirt infiziert sich durch die Aufnahme von kontaminiertem Pflanzenmaterial. In seinem Verdauungstrakt verlieren die Metazerkarien ihre Schutzhülle und dringen über die Darmwand in die Bauchhöhle ihres Wirts ein. Von dort aus erreichen sie die Leber, in deren Gewebe der GAL nun wandert und dabei Fraßgänge anlegt – dies führt zu einer Schädigung der Leber. Je nach Intensität des Befalls treten unterschiedlich starke Krankheitssymptome auf. Einige Wirtsarten – wie z. B. das Reh – reagieren besonders sensibel, weshalb diese bereits an einem moderaten Befall verenden können. Das durch den GAL hervorgerufene Krankheitsbild wird als Fascioloidose bezeichnet.
Das Wanderverhalten des GAL in der Wirtsleber endet in der Regel, wenn der Parasit auf Artgenossen stößt. Sobald dies passiert, beginnt das Immunsystem des Wirts eine faserige Gewebehülle, die sogenannte Pseudozyste, zu bilden. Dabei kommt es meist zur gemeinsamen Einkapselung mehrerer Egel. In der Pseudozyste wachsen die Egel auf eine Größe von circa 35 x 100 mm heran und erreichen die Geschlechtsreife. Die zwittrigen Egel reproduzieren sich sexuell und bringen viele Eier hervor. Egel, die in der Leber ihres Wirts auf keinen Artgenossen stoßen, können sich einzeln in eine Zyste einschließen lassen und sich asexuell reproduzieren. In spezifischen Endwirten (siehe Info-Box) sind die Pseudozysten über Gallengänge mit dem Darm des Endwirts verbunden. Über diesen Weg gelangen die Parasiteneier mit dem Kot des Wirts in die Umwelt.
Der Leberegel und seine Wirte unter Beobachtung
Abb. 3: Kartierung von Schnecken: Akribisch wird nach den Zwischenwirten gesucht, um ihre Verbreitung zu untersuchen. (© M. Velling)
Abb. 4: Anteil der Losungsproben aus den Rotwild-Wintergattern, in denen Eier des Großen Amerikanischen Leberegels nachgewiesen werden konnten. (© Marc Velling, NP Bayerischer Wald )
Als zweite Methode diente die Untesuchung der Lebern von erlegtem Rot-, Reh- und Schwarzwild im Jagdjahr 2021/22. Mit Hilfe dieser Methode war es möglich, einen fortgeschrittenen Befall sicher zu diagnostizieren. Die Infektionsrate beim Rotwild aller Altersklassen war mit fast 17,8 % im Nationalpark Šumava am höchsten (Abbildung 5). Im Nationalpark Bayerischer Wald und im Forstbetrieb Neureichenau waren die Infektionsraten mit knapp 14,5 % und 12,4 % etwas geringer. Männliche Tiere waren hier seltener infiziert als weibliche, was eventuell auf Unterschiede im Raumnutzungsverhalten zurückzuführen ist. Mit zunehmendem Alter nahm der Anteil infizierter Rotwild-Individuen zu. Die höchste Befallsrate wiesen mit knapp 35,3 % die weiblichen adulten Individuen aus dem Nationalpark Bayerischer Wald auf. Bei Rotwild-Kälbern ließ sich ein Befall lediglich vereinzelt nachweisen. Lebern von Reh und Wildschwein wurden nur im Nationalpark Šumava und im Forstbetrieb Neureichenau beprobt. Lediglich bei einer der 155 untersuchten Rehlebern wurde ein Befall diagnostiziert. Von den 482 untersuchten Wildschweinlebern war keine befallen.
Weitere Ausbreitung verhindern
Abb. 5: Prozentualer Anteil des durch den Großen Amerikanischen Leberegel befallenen Rotwilds in den einzelnen Teilen des Projektgebiets getrennt nach Geschlecht und Altersklasse. Die Boxen auf den Balken enthalten die Gesamtzahl untersuchter Lebern sowie die Anzahl der vom Großen Amerikanischen Leberegel befallenen Lebern. (© Tomáš Peterka, NP Šumava)
Eine Möglichkeit zum Schutz von Weidetieren ist das Auszäunen von Bereichen, die einen geeigneten Lebensraum für die Zwischenwirte des GAL darstellen. Auch das Errichten von wildtiersicheren Zäunen kann dem Schutz von Weidetieren dienen. Allerdings stellen die Zäune für die Parasitenlarven bzw. befallene Zwi-schenwirte keine Barriere dar und somit eignet sich diese Maßnahme lediglich zur Verringerung des Befallsrisikos. Landwirte und Wildtiermanager können das Befallsrisiko zusätzlich minimieren, indem sie ausschließlich durchgetrocknetes und mindestens einige Wochen eingelagertes Heu an ihre Tiere verfüttern. Eine weitere Möglichkeit zur regionalen Eindämmung des GAL ist eine gründliche tierärztliche Untersuchung von potenziellen Wirtstieren vor einem Transport. Sollte dabei ein Befall festgestellt werden, kann durch Medikamentengabe eine Weiterverbreitung wirkungsvoll unterbunden werden.
Die Eindämmung des GAL-Befalls bei Wildtieren stellt sich dagegen wesentlich schwieriger dar: Eine medikamentöse Behandlung von Tieren in freier Wildbahn ist kompliziert und oft sogar unmöglich. Eine Kontrolle der genauen Medikamentendosis über Futterzugaben ist bei freilebenden und noch dazu rudelbildenden Arten nur eingeschränkt möglich. Obwohl der Nationalpark Šumava an Fütterungen und in den Wintergattern über Jahre Medikamente gegen Fascioloidose verabreichte, konnte damit keine nachhaltige Wirkung erzielt werden und die Medikamentengabe wurde wieder eingestellt. Medikamentenrückstände in den Ausscheidungen behandelter Tiere können sich zudem auf die Bodenfauna auswirken. Solche Maßnahmen sollten deshalb in Schutzgebieten grundsätzlich nicht zur Anwendung kommen.
Abb. 6: Rotwild im Wintergatter: Hier wurde Losung beprobt, um die Infektionsraten der Tiere im Projektgebiet zu erfassen. (© W. Peters, LWF)
Die Projektergebnisse stellen eine Momentaufnahme der Infektionslage dar. Da sich die Ausbreitung des Parasiten vermutlich in einer dynamischen Phase befindet, ist ein weiteres Monitoring des Infektionsgeschehens unabdingbar. Ein solches Monitoring sollte sich aber nicht nur auf eine Wildart fokussieren, sondern alle potenziellen Wirtstierarten einbeziehen. Insbesondere das Reh, welches sehr sensibel auf den Befall mit dem GAL reagiert, sollte hierbei Berücksichtigung finden.
Endwirte des Großen Amerikanischen Leberegels (GAL)
Spezifische Endwirte
- Reproduktion des GAL möglich
- In Europa Vertreter der Cervidae: Rothirsch (Cervus elaphus), Damhirsch (Dama dama), Sikahirsch (Cervus nippon)
- Befall durch einzelne Parasiten meist symptomlos, bei starkem Befall Gewichtsabnahme und bei männlichen Wirten Einschränkung der Geweihbildung möglich; Tod nur bei äußerst massivem Befall
Nebenwirte
- Immunsystem bildet in der Leber Pseudozysten, die aber dickwandig und selten über Gallengänge mit dem Darm verbunden sind; produzierte Parasiteneier können die Pseudozyste folglich nicht verlassen
- Beispiele: Hausrind (Bos taurus), Hauspferd (Equus caballus), Hausschwein (Sus scrofa f. domestica), Wildschwein (Sus scrofa)
- Ähnliche Krankheitssymptome wie die spezifischen Endwirte, Infektionen beim Rind fast immer klinisch unauffällig
Irrwirte
- Keine Bildung von Pseudozysten
- Reh (Capreolus capreolus), Hausziege (Capra aegagrus f. hircus), Hausschaf (Ovis gmelini f. aries), Gams (Rupicapra rupicapra)
- Besonders durch einen Befall gefährdet, da das andauernde Wanderverhalten des Egels in der Leber diese in besonderem Maße schädigt; auch geringer Befall kann unbehandelt innerhalb weniger Monate zum Tod führen