Hannes Lemme, Gabriela Lobinger und Stefan Müller-Kroehling
Schwammspinner-Massenvermehrung in Franken – LWF aktuell 121
Prognose, Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Naturschutzaspekte
Seit 2018 erfährt der Schwammspinner aktuell nach 2010 wieder eine Massenvermehrung in weiten Teilen Frankens, die einen bestandsbedrohenden Befall von Eichenwäldern auf erheblicher Fläche befürchten lässt. Wie kommt es zu dieser Entwicklung, was kann unternommen werden und was gilt es dabei zu beachten? In diesem Beitrag wollen wir einen Überblick über die vielfältigen Aktivitäten der LWF rund um Prognose, Begleitforschung sowie die Vermeidung von Auswirkungen auf Nichtzielorganismen geben.
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Abb. 1: Im Stadtwald von Gunzenhausen kahlgefressene Eichen. (Foto: H. Lemme, LWF)
Der Schwammspinner (Lymantria dispar) ist ein Schmetterling, der im Nordafrika, Europa und nördlichen Teil Asiens bis nach Japan an einer Vielzahl von Laub- und Nadelgehölzen lebt. In Sibirien und dem Fernen Osten bevorzugt er Lärchen, in Europa Eichen. In Jahren der Massenvermehrung (der so genannten Gradation) werden in unseren Breiten auch Nadelhölzer wie Fichte, Kiefer, Lärche und Douglasie und selbst zahlreiche Sträucher und die krautige Vegetation nicht verschmäht, wenn alles andere bereits kahlgefressen ist.
Die bis zu 7,5 cm große Raupe hat eine deutlich längere Fraßzeit als andere Mitglieder der »Eichenfraßgesellschaft «. Je nach Temperaturen und Nahrungsbedingungen kann sie bis weit in den Juni hinein fressen. Bei kühler Witterung und sehr hohen Dichten kann damit auch der Johannistrieb (Regenerationstrieb der Eiche nach Blattverlust im Frühjahr) befressen werden.
Die Gelege des stattlichen, aber unscheinbar gefärbten Nachtfalters enthalten je nach Phase der Massenvermehrung bis zu 1.000 Eier, werden mit Haaren vom Körper des Falters bedeckt (Abbildung 2) und ähneln so ein wenig einem Schwamm (daher der Name Schwammspinner).
Massenvermehrungen des Schwammspinners in Bayern
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Abb. 2: Puppen und Schwammspinnerweibchen bei der Eiablage an einer Hainbuche (Foto: H. Lemme, LWF)
Mit forstlich relevanten Schäden trat diese Art erst in den letzten drei Jahrzehnten in Mitteleuropa in Erscheinung. In den forstentomologischen Klassikern wie Ratzeburg (1840), Nüsslin & Rhumbler (1927) oder den inzwischen zu den modernen Klassikern zählenden Schwerdtfeger (1981) sowie Schwenke (1978) wird die Art für Mitteleuropa noch als forstlich unbedeutend eingestuft. Massenvermehrung dieser Art waren bis in die 1990er Jahre in Mitteleuropa sehr selten und von geringer Ausdehnung.
Erst mit der großen Massenvermehrung in Mitteleuropa in Eichenwäldern Anfang der 1990er Jahre trat die Art in Erscheinung. In Europa waren 80.000 ha und davon 40.000 ha allein in Bayern betroffen. Seither folgten Massenvermehrungen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen. Der Schwammspinner durchlief in Bayern Massenvermehrungen in den Jahren 1993/94 und 2004/2005. Über die exakten Ursachen für diese Änderung kann nur spekuliert werden, doch kann angenommen werden, dass der Schwammspinner von der Klimaerwärmung in den letzten Jahrzehnten profitiert hat.
Die Dichtenentwicklung des Schwammspinners verläuft in Mitteleuropa zyklisch. Gegenspieler sind bei geringen Dichten nicht in der Lage, die Art zu kontrollieren bzw. zu regulieren (Berryman 1987; Johnson et al. 2005), obwohl eine Vielzahl natürlicher Gegenspieler des Schwammspinners bekannt sind.
Welche Wirkung hat ein Kahlfraß?
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Abb. 3: Zeitlicher Verlauf der Einflussfaktoren, die die Prognose beeinflussen, und die in unterschiedlichem Umfang zum Prognosezeitpunkt ermittelt und eingeschätzt werden können. (Grafik: LWF)
Kahlfraß schwächt die Bäume und erhöht ihre Anfälligkeit für nachfolgenden Befall durch weitere Schadorganismen wie Pilze und rindenbrütende Käfer. In der Folge können Eichen absterben. Solche Schäden werden seit den 1980er Jahren europaweit immer wieder beobachtet und unter dem Begriff »Eichensterben« beschrieben. Einigkeit herrscht darüber, dass maßgebliche Auslöser dieser Eichensterben- Phasen Kahlfraßereignisse durch blattfressende Insekten der genannten »Eichenfraßgesellschaft« sind (Wago 1996; Führer 1998; Thomas et al. 2002; Elling et al. 2007).
Art und Ausmaß der Schäden nach einer Entlaubung der Eiche durch Raupenfraß werden durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren im Fraßjahr und in den darauffolgenden Jahren bestimmt. Hierbei spielt nicht nur die Ausgangsvitalität der Eichen eine Rolle, sondern vor allem Witterungsbedingungen nach dem Fraß (Blank 1997), das Auftreten weiterer Fraßereignisse und der Befall durch »sekundäre Schadorganismen« wie pathogene Pilze Echte Eichenmehltau (Erysiphe alphitoides) und Eichenprachtkäfer in den Folgejahren (Hartmann & Blank 1995). Genau in diesem Punkt liegt die Schwierigkeit in der Prognose des weiteren Schadgeschehens.
Mit der Überwachung und Prognose des Schwammspinners können wir das Risiko eines Kahlfraßes abschätzen, die nachfolgende Schadentwicklung über die Jahre kann nicht abgeschätzt werden.
Überwachung des Schwammspinners und Pflanzenschutzmittel-Einsatz
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Abb. 4: Der Große Puppenräuber und seine Larve können eine erhebliche Zahl von Raupen und Puppen vertilgen. (Foto: G. Lobinger, LWF)
Das Ziel des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln ist nicht die Verhinderung des Dichteanstiegs in allen Eichenbeständen, sondern lediglich die Verhinderung eines Bestandes bedrohenden Kahlfraßes von Eichenbeständen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind eine intensive Überwachung der Art und eine exakte Prognose unerlässlich.
Der Schwammspinner wird alljährlich in dauerhaft eingerichteten Weiserflächen mit Pheromonfallen überwacht. Wird die Warnschwelle in den Fallen überschritten, folgen Gelegesuchen im Herbst. Hierbei wird im Herbst/Winter in allen gefährdeten Eichen- und Eichenmischbeständen je nach Größe der Waldbestände eine repräsentative Anzahl von Suchtrakten aus jeweils zehn Bäumen gelegt, die dann auf frische und vorjährige Eiablagen kontrolliert werden. Zusätzlich werden Eiablagen an den unteren Astanläufen erfasst. Für die spätere Einschätzung der Gefährdung werden zudem Bestandesalter, Waldstruktur, Vitalität der Bestände und die Schwammspinner-Dichte im Vorjahr dokumentiert (Abbildung 3).
Im Herbst 2018 erfolgte in Franken eine Gelegesuche an über 2.800 Flächen zu je zehn Eichen. Der personelle und zeitliche Aufwand war erheblich. Bei niedriger Gelegedichte kann Kahlfraß ausgeschlossen werden, mit zunehmender Dichte wird dieser wahrscheinlicher, muss jedoch nicht zwingend eintreten. Die Gelegesuchen bilden die Grundlage für die nachfolgende Abgrenzung von Gefährdungsflächen. Derzeit (1. März 2019) liegt eine Gefährdungsfläche durch den Schwammspinner von zusammen etwa 3.700 ha auf 168 Teilflächen vor.
Ein hohes Risiko für einen Kahlfraß zieht nicht zwingend eine Behandlung des betroffenen Waldbestandes mit Pflanzenschutzmitteln nach sich. Kriterium ist ausschließlich eine bestandesbedrohende Gesamtsituation. Es werden zahlreiche Kriterien in die Bewertung einer Bestandesbedrohung und damit die Entscheidung für oder gegen eine Pflanzenschutzmaßnahme einbezogen:
- Vitalität des Eichenbestandes
- Waldstruktur
- waldbauliche Ziele
- besonderer ökologischer Wert als Lebensraum für seltene oder charakteristische Arten
- erkennbarer Einfluss durch natürliche Gegenspieler des Schwammspinners
Nach diesen Bewertungen der Flächen obliegt es dem Waldeigentümer zu entscheiden, ob eine Flächen behandelt wird oder ob er das Risiko eines Fraßes eingeht. Ausschließliches Kriterium für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist eine durch eine Prognose und Gefährdungsabschätzung festgestellte Bestandesbedrohung.
Der Einsatz von Luftfahrzeugen zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist grundsätzlich verboten (§ 18 PflSchG). Allerdings sieht der Gesetzgeber Ausnahmen für die Bekämpfung von Schadorganismen im Weinbau in Steillagen und im Kronenbereich von Wäldern vor. Hierfür bedarf es einer gesonderten Genehmigung. Des Weiteren dürfen nur Pflanzenschutzmittel mit Luftfahrzeugen ausgebracht werden, die für diese Anwendung zugelassen bzw. genehmigt worden sind (Abbildung 5).
Nach Abgrenzung dieser Gefährdungsflächen verringert sich die Behandlungsfläche noch um sogenannte pflanzenschutzrechtliche (Abstandsauflagen zum Waldrand, Oberflächengewässern, Gebäuden) und naturschutzrechtliche (Naturschutzgüter) Herausnahmeflächen.
Aktuell zugelassene Mittel sind die Präparate Mimic, Karate sowie XenTari. Von den aktuell für den Einsatz gegen frei fressende Schmetterlingsraupen im Forst mit Luftfahrzeug zugelassenen Pflanzenschutzpräparaten (s. Kasten) kommen aus Sicht der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) nur solche in Betracht, die eine möglichst spezifische, aber ausreichende Wirkung und geringstmögliche Nebenwirkungen auf Nichtzielorganismen besitzen. Diesen Anspruch erfüllt für die aktuellen Maßnahmen nur das zugelassene Präparat »Mimic«. Biologische Präparate auf der Basis von Polyederviren (z. B. GYPCHEK, USA), welche bereits öfter in der Presse erwähnt wurden, haben in Deutschland keine Zulassung.
Oberziel: Artenreiche Eichenmischwälder
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Abb. 5: Laufzeit der bis zum Stichtag berücksichtigten Untersuchungen zum Einfluss von Pflanzenschutzmitteln auf Nichtzielartorganismen. (Grafik: LWF)
Oberstes Ziel der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist es, bestandesbedrohenden Kahlfraß zu verhindern und somit die vorhandenen Eichenwälder in ihrem Bestand zu erhalten. Von Eichen geprägte Wälder gehören zu den artenreichsten Wäldern überhaupt, darunter eine besonders große Zahl von Arten, die ausschließlich an Eichen vorkommen. Dennoch gilt es natürlich auch zu vermeiden, dass Verwendung von Pflanzenschutzmitteln negative Auswirkungen auf Arten hat, die mit der Bekämpfung nicht gemeint sind, also die sogenannten »Nichtzielorganismen« (NZO).
Über die mutmaßlichen Folgen des Pflanzenschutzmittel (PSM)-Einsatzes für die Wälder wird zum Teil heftig spekuliert und dabei zum Teil auch Schreckensszenarien von »leergespritzten« und »totgespritzten Wäldern« an die Wand gemalt. Auch wurde wiederholt die Aussage in den Raum gestellt, dass über die Auswirkungen auf die Lebensgemeinschaften der Wälder »nichts bekannt« sei. Wäre dies so, dann wären Anwendungen von Pflanzenschutzmittel tatsächlich in Bezug auf diesen wichtigen Aspekt regelrecht fahrlässig. Tatsache ist aber, dass wir aus einer großen Zahl von Begleitstudien sehr wohl einiges über die Auswirkungen der verschiedenen Wirkstoffe auf die verschiedenen Gruppen von Nichtzielorganismen in den Wäldern wissen.
Eine umfassende, wissenschaftliche Literaturstudie der LWF trägt seit 2018 dieses Wissen aus veröffentlichten und nichtveröffentlichten Untersuchungen zusammen. Die hier mitgeteilten, vorläufigen Ergebnisse aus der aktuell noch laufenden Studie basieren auf bisher 214 (Stand 21.02.2019) ausgewerteten Arbeiten, wovon 112 Arbeiten sich auf Eichenwälder und die heute üblichen PSM-Wirkstoffgruppen beziehen. Untersuchte Nichtzielorganismen sind dabei natürlich besonders oft Arthropoden, besonders Lepidoptera und die Bodenfauna, aber auch Gruppen der Wirbeltiere wie vor allem die Vögel und Fledermäuse, sowie ferner auch aquatische Organismen sowie die Flora. Die Studien stellen demnach einen breiten Querschnitt über die Lebensgemeinschaft der Wälder und die dort vorhandenen Nahrungsnetze auf verschiedenen trophischen Ebenen dar. Zur Versachlichung der Diskussionen wollen wir an dieser Stelle den aktuellen Auswertungsstand darstellen und so auf diese laufende Studie hinweisen. Ferner teilen wir hier ergänzend auch Ergebnisse eigener Beobachtungen und Begleiterhebungen mit.
Aus Abbildung 5 wird ersichtlich, dass die Mehrzahl der Studien einen kurzfristigen Fokus hatte, während Arbeiten, die die mittel- und langfristigen Auswirkungen betrachtet haben, erheblich seltener durchgeführt wurden.
Kurzfristige Auswirkungen bestehen
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Abb. 6: Kahlgefressene Eichen mit ersten Blättern des Johannistriebes (Foto: H. Lemme, LWF)
Über die kurzfristigen Auswirkungen wissen wir also schon recht viel und über eine breite Auswahl verschiedener Artengruppen hinweg, vom Boden bis in die Krone. Was uns die ausgewerteten Arbeiten dazu sagen, lässt sich grob so zusammenfassen: Je nach Wirkstoffgruppe und deren Wirkpfad sind die Artengruppen unterschiedlich stark betroffen. Manche davon können von dem Einsatz der Pflanzenschutzmittel in ihrer Abundanz und Artenzahl betroffen sein, während andere gar nicht tangiert sind, oder in manchen Fällen sogar profitieren (was sich z. B. durch die Verringerung von Konkurrenz erklären kann). Wenn Breitbandinsektizide wie beispielsweise Karate oder Pyrethroide zum Einsatz kommen (was in bayerischen Eichenwäldern nicht in Betracht kommt), sind wesentlich mehr Artengruppen negativ betroffen als bei die Häutung betreffenden Mitteln wie »Dimilin « (Wirkstoff Diflubenzuron) oder »Mimic « (Wirkstoff Tebufenozid).
Neben den Nichtzielorganismen, die direkt betroffen sind, können auch wirbellose Artengruppen indirekt (also mittelbar) beeinträchtigt werden, die sich von jenen Nichtzielorganismen bevorzugt ernähren. Diese Wirbeltiere werden nicht vergiftet, sondern ihre Nahrungstiere vorübergehend reduziert, je nach Ernährungsweise und Spezialisierungen und Mobilität der Arten in unterschiedlichem Umfang. Andere Wirbeltiere wie manche Horst- oder Bodenbrüter können durch den Überflug des Helikopters beim Brutgeschäft gestört werden. Es macht also Sinn, zwischen unmittelbar und mittelbar betroffenen Nichtzielorganismen zu unterscheiden und beide Wirkungsweisen differenziert zu berücksichtigen.
Die Häutungshemmer senken dabei auch im Jahr der Behandlung die Populationsdichten der betroffenen Arten keineswegs auf null, sondern reduzieren diese. Danach lässt der Effekt wieder nach, und die Bestände erholen sich wieder. Bereits Hacker (2000) stellte für die potenziell besonders betroffene Gruppe der Schmetterlinge fest, dass nach einem Rückgang der Arten im Jahr der Bekämpfung und im folgenden Jahr, »bereits im 3. Jahr und noch mehr im 4. eine deutliche Erholung eintrat«. Allgemein sehen auf die mittelfristigen Auswirkungen angelegte Studien (3–5 Jahre) überwiegend im 3. oder 4. Jahr nach der Applikation eine Erholung der untersuchten Arthropodengruppen. Spätestens danach sind dann keine Effekte der Behandlung mehr nachweisbar, da Arten und Abundanzen sich nicht mehr von denjenigen vor der Behandlung unterscheiden.
Kahlfraß und Biodiversität
Relevant sind neben den Auswirkungen der Pflanzenschutzmittel auf die Nichtzielorganismen aber auch die Effekte durch den Kahlfraß. Auch hierzu gibt es Studien, wenn auch leider relativ wenige (12, Stand 21.02.19). Hierbei muss unterschieden werden zwischen den direkten Auswirkung des Kahlfraßes und den langfristigen. Zu den ersteren gehört der Verlust eines schützenden Kronendaches oder von verwertbarer Pflanzennahrung, denn in Kahlfraßbeständen kann der Schwammspinner in Gradationsjahren praktisch die ganze Vegetation einschließlich Bodenvegetation und selbst Buchen und Douglasien vollständig vernichten. Auch davon können andere Tierarten erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden.
Hinzu kommen die langfristigen Auswirkungen, und diese können in einem mehr oder weniger raschen oder auch chronisch werdenden Auflösungsprozess der Bestände und vor allem einer schleichenden Reduktion der Eichen-Anteile bestehen. Diese können durch FolgeschadorFläganismen zunehmend in ihrer Vitalität geschwächt werden, so dass in solchen Beständen andere Baumarten sukzessive die Vorherrschaft erlangen und der Charakter von Eichenmischwäldern verloren geht. Da diese Waldtypen besonders artenreich und auch besonders reich an Eichen- Spezialisten sind, ist dies ein durchaus relevanter Vorgang.
PSM-Einsatz und Vogelwelt
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Abb. 7: Wenn Schwammspinner- Raupen Nistkästen besetzen, sind diese häufig nicht mehr für brutwillige Vögel oder auch Fledermäuse nutzbar. (Foto: S. Thierfelder)
Aufgegebene Vogelbruten waren in 2018 in der Presse ein Thema, das mutmaßlich die Schädlichkeit der Pflanzenschutzmaßnahmen auf die Nichtzielorganismen oder das Ökoystem Wald als Ganzes darlegte. Allerdings sind die Zusammenhänge durchaus komplexer. Wenn über die Auswirkungen der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf die Vogelfauna berichtet wird, müssen bereits bei den kurzfristigen und unmittelbaren Auswirkungen alle Seiten der Medaille betrachtet werden.
Mitarbeiter des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Schweinfurt kontrollierten 2018 zusammen mit einem örtlichen Betreuer zahlreiche Nistkästen sowohl innerhalb der Behandlungsfläche (Häutungsbeschleuniger Mimic) als auch außerhalb. Innerhalb der behandelten Flächen war auffallend, dass in der überwiegenden Anzahl der Bruthilfen zu Beginn der Brutzeit Nistmaterial eingebracht, die Nester jedoch nicht fertig gebaut oder nach der Eiablage aufgegeben wurden. Auch fanden sich in wenigen Fällen tote Jungvögel in den Kästen. Die Erklärung lag nahe, dass für die Aufzucht der Bruten die Nahrungsgrundlage durch die Behandlung weggebrochen war. An keinem Kasten konnte die Anlage einer Zweitbrut festgestellt werden.
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Zum Vergleich wurden in unbehandelten Eichenbeständen mit Schwammspinnerdichten deutlich unterhalb eines Kahlfraßes Nistkästen kontrolliert. Hier war in mehr als der Hälfte der Nistkästen der Boden vollflächig mit Schwammspinnerraupenkot bedeckt, es fanden sich Raupen und Puppen darin. Die Kästen wurden im August zudem stark von Faltern angeflogen (Abbildung 7). Nur wenige Kästen ließen auf eine erfolgreiche Kohl- und Blaumeisenbrut schließen. Der überwiegende Teil der Nistkästen ist offensichtlich durch Störungen durch den Schwammspinner aufgegeben worden. Es ist bekannt, dass Schwammspinnerraupen zur Häutung und zur Verpuppung geschützte Stellen aufsuchen, wobei Nistkästen sehr willkommen sind. Auch bei der Massenvermehrung des Schwammspinners 2003 in der Fränkischen Platte wurde auf Lichtfraß- und Kahlfraßflächen des Schwammspinners ein Ausfall der Bruten von Meisen in Nistkästen beobachtet (2 Flächen, je Fläche 25 Nistkästen). Alle Kästen waren vollgestopft mit Raupenhäuten und Gespinsten des Schwammspinners. Diese Beobachtungen zeigen, dass bereits bei relativ geringer Populationsdichte Schwammspinnerraupen den Bruterfolg von höhlenbrütenden Singvögeln sehr stark beeinträchtigen können. Dasselbe war auch in den vorhandenen natürlichen Baumhöhlen zu verzeichnen (Skatulla, mündliche Mitteilung).
Die Reaktion von Brutvogelzonösen auf einen experimentellen Pflanzenbehandlungsmitteleinsatz mit Dimilin wurde von Schönfeld im Rahmen eines Projektes 2004/2005 untersucht. Hierzu wurden Eichenbestände mit geringen Schwammspinnerdichten behandelt bzw. als unbehandelte Kontrolle verwendet. Im Gegensatz zu den nicht behandelten Flächen konnte in den behandelten Flächen ein steter Rückgang der Raupennahrung festgestellt werden, der durch andere Insekten und Spinnen kompensiert wurde. Der Bruterfolg lag in der behandelten Fläche um 10 % niedriger als in der Nullfläche. In der behandelten Fläche wurde in 15 % die Erstbrut abgebrochen, in der Nullfläche nur in 4 %. Bei Kohlmeisen fielen Zweitbruten auf der behandelten Fläche aus.
Im Unterschied dazu zeigte sich in den kontrollierten Nistkästen auf den 2018 behandelten und nicht behandelten Flächen ein deutlich drastischeres Bild (siehe oben). Die Beobachtungen von 2018 verdeutlichen insofern, dass bei wissenschaftlichen Untersuchung zur Bewertung von Pflanzenschutzmitteln nicht »Birnen mit Äpfeln« (niedrige Schwammspinnerdichte ohne und mit PSM) verglichen werden dürfen, sondern ein Vergleich des Bruterfolgs zwischen hohen Schwammspinnerdichten mit und ohne PSM (=Kahlfraß) herangezogen werden muss.
Auch die Literaturstudie zeigt auf, dass auch Kahlfraß negative Effekte auf den Bruterfolg von Vögeln haben. So führt der Verlust der Beschattung bei Kahlfraß zu Brutausfällen bei Freibrütern, was schon Grossmann (1910) berichtete, ebenso wie das massive Eindringen der haarigen Raupen des Schwammspinners in Naturhöhlen und Nistkästen (s. auch- Abbildung 7) zu erheblichen Brutausfällen. Eine Studie mit Nistkästen in Kiefernforsten aus dem Jahr 2018 (Sedlaczek 2018) ergab, dass die Sterblichkeit von Vögeln (Kohlmeise) auf den Fraßflächen höher war als auf der Pflanzenschutzmittel- Fläche oder der Kontrollfläche, und dass manche Waldvogelarten wie der Trauerschnäpper deutlich stärker auf den Behandlungsflächen auftraten als auf den Kahlfraßflächen. Auch der indirekte negative Einfluss eines Kahlfraßes durch den Schwammspinner auf freibrütende Vogelarten durch verstärkte Prädation wurde bereits beschrieben (Thurber et al. 1994). Auf Kahlfraßflächen des Kehrenbergs in Mittelfranken im Jahr 1993 wurde beobachtet, dass Krähen und Elstern aus den durch die Entlaubung deckungslosen Nestern die Jungvögel systematisch geplündert haben (Skatulla, mündliche Information).
Manche Vogelarten können Gradationsbereiche zwar als besonders günstige Nahrungsressource nutzen (Bosch 1994). Vögel sind ebenso wenig wie andere »Prädatoren « der Raupen in der Lage, deren Bestände in Jahren einer Massenvermehrung zu kontrollieren (z. B. Patocka 1999), aber natürlich wollen wir das Potenzial aller »Nützlinge« in gesunden und stabilen Mischwäldern so gut wie möglich erhalten.
Puppenräuber & Co – Fressen und gefressen werden
Laufkäfer sind eine wichtige räuberisch lebendende Gruppe in Wäldern. Sie sind dort individuenreich vorhanden ist und auch im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln schon recht gut untersucht, zumal sie als wichtige »Nützlinge« gelten. Größere nachtaktive Laufkäfer stellen ihrerseits eine wichtige Nahrungsgrundlage mancher Fledermausarten wie speziell des Großen Mausohrs (Myotis myotis) dar.
Eine kleine Begleitstudie der Schwammspinner-Bekämpfung 2018 im Bereich des AELF Schweinfurt ergab, dass die Aktivitätsdichten der bodenbewohnenden Laufkäfer in den behandelten Flächen gegenüber der unbehandelten Fläche relativ gesehen geringer waren. Allerdings profitierten auf den unbehandelten Flächen auch einige Arten wie vor allem der Hainlaufkäfer (Carabus nemoralis) von dem stark erhöhten Nahrungsangebot an Schmetterlingsraupen. Die Artenzahlen in allen Flächen waren weitgehend vergleichbar, und auch in den behandelten Flächen traten die typischen Arten der Eichen-Hainbuchenwälder auf, zum Teil auch in hohen Dichten. Quintessenz: In gewissem Umfang war eine reduzierte Aktivität bzw. Biomasse der Laufkäfer feststellbar, aber keineswegs der Verlust der gesamten Biomasse im Behandlungsjahr, was sich auch sehr gut mit den Ergebnissen aus der Literatur deckt (Klenner 1996; Schanowski 1999).
Wir werden in den kommenden Jahren beobachten, wie sich die Bestände weiter entwickeln, und auch die Auswirkungen auf die beiden heimischen Puppenräuber- Arten (Calosoma sycophanta und C. inquisitor) untersuchen. Diese beiden seltenen Arten sind dafür bekannt, in Gradationsjahren stark gehäuft aufzutreten und dann einen erhebliche Menge der Schwammspinner-Raupen zu vertilgen. Für die Meldung von Sichtungen der beiden Arten – bitte unbedingt mit Belegbild und genauer Lokalität – haben wir eine Funktions-Mailadresse puppenraeuber@lwf.bayern.de eingerichtet (Müller-Kroehling 2018 und LWF-Faltblatt).
Schonung der Schutzgüter
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Abb. 8: Absterbende Eiche im August 2010 nach einmaligem Kahlfraß durch den Eichenwickler im Juni 2009. (Foto: R. Petercord)
Einerseits geht es bei den Eichenwäldern Frankens um den Erhalt eines halbnatürlichen Waldtyps und damit letztlich eines menschengemachten Ökosystems (Müller- Kroehling 2014). Andererseits sollen mögliche Auswirkungen auf die Artenvielfalt, die die ergriffenen Maßnahmen haben könnten, soweit möglich vermieden werden. Im Sinne eines Vermeidungsansatzes werden daher die Vorkommen von einer Reihe von Arten als sogenannte »Herausnahmeflächen« aus den Bekämpfungsflächen ausgenommen. Dies betrifft zum einen die in den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie genannten sowie weitere streng geschützte Arten, soweit sie unmittelbar oder unmittelbar betroffen sein könnten.
Ferner werden auch Vorkommen einiger Schmetterlingsarten und anderer Wirbelloser wie des in temporären Waldgewässern stark wechselfeuchter Standorte lebenden, 35 mm großen Frühjahrs-Feenkrebses (Eubranchipus grubii) herausgenommen, weil sie durch ihre Bindung an Eichenwälder potenziell von einer Bekämpfung betroffen sein könnten. Diese Arten wie die Ockerbraune Herbsteule (Agrochola laevis) stehen zwar nicht selbst unter Schutz, sind aber als »charakteristische Arten« der Eichen- Hainbuchenwälder auch solche, die zu dessen »günstigem Erhaltungszustand« gehören.
Zwar sieht bereits das Pflanzenschutzrecht vor, dass maximal 50 % der Waldfläche eines Gebietes behandelt werden dürfte und erhebliche Abstände zu Waldrändern eingehalten werden müssen (je nach Wirkstoff bis zu 125 m), und es werden ja auch nur Eichen-dominierte Bestände behandelt, für die eine Kahlfraßprognose vorliegt. Die allermeisten Arten werden daher immer »Refugien« oder Ausweichhabitate an Waldrändern, in nicht befallenen Eichenbeständen, in anderen Mischwaldtypen oder zum Teil auch außerhalb des Waldes haben, je nach dem Habitatspektrum jeder Art. Dennoch ist für die ganz speziellen Arten der Eichen-Hainbuchenwälder und die Kernhabitate der streng geschützten Arten, die von ihrer Lebens- und Ernährungsweise betroffen sein könnten, in unserem Vorgehen immer besondere Vorsicht angezeigt.
Forschungsbedarf
Der Schwammspinner gehört zu den gut untersuchten Insektenarten. Eine Vielzahl von Fragen, die die Überwachung und letztendlich die Entscheidungsfindung zum Pflanzenschutzmittel-Einsatz direkt betreffen, müssen besser verstanden werden. Dazu gehört die Entwicklung einer besseren Prognose der Dichte– Schadbeziehung unter Einbeziehung von Parameter der Bestandesstruktur, Verfahren einer schnellen Dichtebestimmung nach dem Schlupf und vor dem Pflanzenschutzmittel-Einsatz. Diese Themen werden in einem Forschungsprojekt an der LWF derzeit angegangen. Das grundsätzliche Problem – welche Schadfaktoren treten nach dem Fraß hinzu und bestimmen letztendlich das Schadausmaß wird jedoch unlösbar bleiben.
In Bezug auf die Nichtzielorganismen sind ergänzende notwendige Forschungsfelder die »Persistenz im Boden« sowie die »Erholungschancen aller Arten« einschließlich von kleinräumig verbreiteten und solchen mit geringen Aktionsradien. Auch hierbei bedarf es jedoch aus den genannten Gründen eines Vergleichs auch mit der Nullvariante des Kahlfraßes. Auch bei einem Medikament kann man sich nicht nur auf die Nebenwirkungen fokussieren, sondern muss natürlich in die Betrachtungen einbeziehen, was bei Verzicht auf eine Medikamentengabe passieren kann.
Der größte Forschungsbedarf besteht in Zusammenhang mit den Nichtzielorganismen jedoch hinsichtlich Langzeitstudien (> 5 Jahre), um die langfristigen Auswirkung und die Vollständigkeit der Erholung der Bestände auch von Arten mit starken Populationsschwankungen und mit natürlicherweise geringen Abundanzen besser abschätzen zu können (Hacker 2000).
Ausblick
Wir wollen die Schadensprognose verbessern und noch besser verstehen lernen, welche Auswirkungen die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, aber auch deren Nichtanwendung im Kalamitätsfalle kurz- und mittelfristig haben. Dabei gilt es seriöser Weise, nicht das Rad neu zu erfinden, sondern auch die große Zahl bereits geleisteter Arbeiten voll und ganz zu berücksichtigen. Ein Forschungsbedarf besteht vor allem bei den langfristigen Auswirkungen. Deren Erforschung muss allerdings zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem das Thema bereits wieder an Brisanz verloren hat, sprich »nach der Kalamität «. Aber »nach der Kalamität« ist »vor der Kalamität«, was im Klimawandel umso mehr gilt.
Und es wird immer Grenzen der Prognose geben, solange diese die Zukunft betreffen. Auch dies gilt im Klimawandel umso mehr, der uns in nicht bekannte Bereiche vorzudringen zwingt, in denen unsere Erfahrungen versagen. Etwas anderes zu versprechen, wäre ebenfalls nicht serös.
Eine Rückkehr zu auf Fakten basierten Diskussionen auf Basis eines allseits verbesserten Verständnisses der Tatsachen und Zusammenhänge (Hacker 2000) wäre ein wichtiger Schritt für die weitere Behandlung des Themas.
Zusammenfassung
Der Schwammspinner durchläuft seit 2018 eine Massenvermehrung in Franken. Der Höhepunkt dieser Gradation wird mit Kahlfraßereignissen in Eichenbeständen einhergehen. In Abhängigkeit von der Vitalität der Eichen vor dem Fraß und dem Witterungsverlauf nach dem Kahlfraß sowie dem Auftreten von Sekundärschadorganismen können Folgeschäden bis zur Bedrohung des Bestandes auftreten. Daher erfolgt ein intensives, gestaffeltes Monitoring zur Dichteentwicklung der Schwammspinnerpopulation.
Ein hohes Risiko für einen Kahlfraß zieht nicht zwingend eine Behandlung des betroffenen Waldbestandes mit Pflanzenschutzmitteln nach sich. Kriterium ist ausschließlich eine bestandesbedrohende Gesamtsituation. Es obliegt in dieser Situation dem Eigentümer zu entscheiden, ob dann ein Pflanzenschutzmitteleinsatz durchgeführt wird. Zudem werden die Belange des Naturschutzes berücksichtigt, um die Auswirkungen des Pflanzenschutzmitteleinsatzes auf Nichtzielorganismen zu minimieren.
Je nach Art der Betroffenheit und Biologie der Nichtzielorganismen werden jene Flächen aus der Bekämpfungskulisse herausgenommen, von denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sonst zu einer Verschlechterung des Zustandes der betroffenen Art käme.
Mail-Adresse für Meldungen: puppenraeuber@lwf.bayern.de
Literatur
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- Hartmann, G.; Blank, R. (1995): Winterfrost, Kahlfrass und Prachtkäferbefall als Faktoren im Ursachenkomplex des Eichensterbens in Norddeutschland. Forst und Holz 47, S. 443–452
- Johnson, D. M.; Liebhold, A. M.; Bjørnstad, O. N.; McManus, M. L. (2005): Circumpolar variation in periodicity and synchrony among gypsy moth populations. J. Anim. Ecology 74, S. 882–892
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- Nüsslin, O.; Rhumbler, L. (1927): Forstinsektenkunde. 4. Auflage. Berlin: Paul Parey Verlag
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