Anton Fischer und Reinhard Mosandl
Was bedeutet naturnahe Baumartenzusammensetzung in Zeiten des Klimawandels? - LWF-aktuell 130

Neue dynamische Standortmuster erfordern neue »dynamisch-standortgerechte« Baumartenzusammensetzungen

Die Idee der »naturnahen Baumartenzusammensetzung« erscheint auf den ersten Blick als ein logischer und einfacher Weg in eine »temperatursichere« Waldzukunft. Kompliziert wird es dennoch; denn alle Standorte ändern sich im Klimawandel räumlich und gegebenenfalls inhaltlich. Die bisherigen Vorstellungen von »Naturnähe« und »naturnaher Baumartenzusammensetzung« müssen also weiter gedacht werden, stets mit Blick auf die ständige Veränderung des Standortes (Klima, Boden).

Im Dezember 2020 veröffentlichte das Bayerische Staatsmininisterium für Umwelt und Verbraucherschutz den Klima-Report Bayern 2021 (StMUV 2020). Darin ist dargestellt, dass die Mitteltemperatur Bayerns im Zeitraum von 1951 bis 2019 um 1,9 K zugenommen hat. Ohne effizienten Klimaschutz prognostizieren die meisten Klimamodelle eine Temperaturerhöhung um bis zu 3,8 K gegenüber der Vergleichsperiode 1971–2000 bis zum Ende dieses Jahrhunderts.

Die Temperatur steigt

Nur die Weltgemeinschaft als Ganzes hat die Möglichkeit, den längst angelaufenen Prozess der Temperaturerhöhung zu stoppen. Aber selbst wenn ihr das gelingen würde, wofür es derzeit höchstens sehr schwache Anzeichen gibt, wird das Jahrzehnte dauern. Es ist also zwingend notwendig, sich bereits jetzt auf die Folgen erhöhter Temperaturen einzustellen und zu versuchen, negative Auswirkungen abzumildern. Für die Waldbewirtschaftung empfiehlt der Bayerische Klima-Report im Kapitel 4.3 »Wald und Forstwirtschaft« als eine wichtige Maßnahme der Anpassung angesichts des Klimawandels das Setzen auf eine »naturnahe Baumartenzusammensetzung«.

»Naturnahe« Baumartenzusammensetzung in Zeiten des Standortwandels

Cover einer Broschüre, auf der im oberen Drittel eine Photovoltaik-Anlage, darunter ein blauer Kasten zu sehen istZoombild vorhanden

Abb.1 : Der Klima-Report Bayern 2021. (Grafik: StMUV).

Hier wird also die Natur als Maßstab und geradezu als Zielmarke herangezogen. Tatsächlich hat sich in der Vergangenheit regelmäßig erwiesen: Wenn man »naturnah« arbeitet, geht es auf lange Sicht besser als »gegen« die Natur (Mosandl 1998). Aber was ist unter »naturnaher Baumartenzusammensetzung« zu verstehen?

Bis vor zwei Jahrzehnten wäre die Antwort sehr leicht gefallen: Das, was sich nach der Eiszeit in Mitteleuropa ohne Zutun des Menschen entwickelt hat oder auch entwickelt hätte, im Wesentlichen also von Buche dominierte Wälder, im Gebirge Mischwälder aus Buche, Tanne und Fichte, weiter oben Fichtenwälder, in den Talauen sommergrüne Auwälder mit Eiche, Esche, Ulme und an ein paar exponierten Sonderstandorten Linden-Misch- oder Eichenwälder. Kann das das Ziel waldbaulicher Aktivitäten in Zeiten des Klimawandels sein? Sicher nicht! »Klimawandel« bedeutet ja »Standortwandel«! Das bedeutet, dass sich zunächst das gesamte Muster der für Pflanzenarten und Vegetationstypen wichtigen Standortfaktoren in Bayern räumlich verschiebt und sich dann sogar für Bayern völlig neue Standorttypen einstellen (Fischer et al. 2018).

Einen bestimmten heutigen Standorttyp wird es dann gegebenenfalls nach wie vor in Bayern geben, aber an einer anderen Stelle als bisher. Sich vor Ort gegen diesen Prozess zu stemmen und den bisherigen Zustand aufrecht erhalten zu wollen, ist auf Dauer weder möglich noch »naturnah«.

Den Fokus auf das zukünftige Standortmosaik richten

Naturnahe Baumartenzusammensetzung im Klimawandel kann also definitiv nicht bedeuten, einfach nur im bisher bekannten Standortmosaik auf solche Baumarten zu setzen, die dort – in der Vergangenheit! – von Natur aus durchsetzungsfähig und damit »naturnah« waren. Stattdessen muss man sich das zukünftige Standortmosaik vor Augen halten und diejenigen Baumarten präferieren, die an einem konkreten Ort mit den zukünftig dort »geltenden« Standortbedingungen in Einklang stehen werden. Dabei bleibt allerdings die Frage, welche Zukunft wir denn ins Auge fassen: die mit einem Grad Temperaturerhöhung, mit zwei oder drei? Das Standortmosaik ist immer ein deutlich anderes.

Neue Herkünfte könnten Spielräume schaffen

Immerhin gibt es einen Zeitpuffer: Verwendet man bei der Bestandsverjüngung nicht Saatgut, das von den heimischen, bisher standortgemäßen Baumarten vor Ort stammt, sondern solches von Populationen dieser Arten aus Gegenden mit höheren Temperaturen und mit mehr Trockenheit, so könnte es möglich sein, das bisherige Standortmosaik mit den »bisherigen naturnahen Baumarten« eine Zeit lang fortzuführen, aber eben mit an die zukünftigen Klimabedingungen besser angepassten Genotypen. Dabei könnte es sich um heimische Provenienzen aus wärmeren/trockeneren Gegenden in der Nachbarschaft handeln oder um solche aus südlicheren Teilen des heutigen Verbreitungsgebietes. Vielleicht reicht das für eine Baumgeneration; immerhin würde es das Risiko von Fehlschlägen etwas reduzieren.

Bestände mit (bisher) seltenen heimischen Baumarten ergänzen

Und man kann schon heute heimische Baumarten fördern, die zwar bisher wirtschaftlich weniger relevant sind, mit den Klimabedingungen der Zukunft aber voraussichtlich gut zurechtkommen und dabei gutes Holz liefern, so zum Beispiel Feldahorn, Speierling, Wildbirne, Flaumeiche (LWF 2020). Auch sie sind Teil der (heutigen!) naturnahen Baumartenzusammensetzung. Dazu gehört auch die Birke, die bei angepasster waldbaulicher Behandlung auf geeigneten Standorten innerhalb kurzer Zeit (ca. 40 Jahre) wertvolles, dem Ahorn vergleichbares, hartes Holz liefert.

Was tun, wenn’s so richtig heiß wird?

Cover von zwei LWF-ZeitschriftenZoombild vorhanden

Abb. 2: Praxishilfen »Klima – Boden – Baumartenwahl« (Grafik: LWF)

Wenn es in Bayern aber tatsächlich einmal 2 oder 3 Grad wärmer sein sollte als heute, dann werden auch angepasste Genotypen und bisher seltene, Wärme bzw. Trockenheit besser ertragende heimische Baumarten nicht mehr helfen. Dann könnte »naturnahe Baumartenzusammensetzung« bestenfalls noch bedeuten, die Natur – unter den »neuen Spielregeln« – einfach machen lassen: Diejenigen Baumarten, die irgendwann und irgendwie den Weg in die Region gefunden haben, sollen unter den neuen Standortbedingungen in Konkurrenz zueinander die durchsetzungsfähigste Artenkombination ermitteln. Das wäre dann »naturnah unter den zukünftigen Standortbedingungen«, würde aber die vielfachen weiteren Ansprüche an den Wald weitgehend außer Acht lassen.

Einen ersten wichtigen Schritt bezüglich Klimawandel hat die Gesellschaft, lokal und weltweit, getan, nämlich zu verinnerlichen, dass der Klimawandel Realität ist und wir bereits mittendrin stecken. Der nächste Schritt ist es nun, ebenso zu verinnerlichen, dass sich im Rahmen des Klimawandels ganz neue Standortmuster herausbilden, auf die wir mit herkömmlichen Denkkategorien nur noch eingeschränkt reagieren können; dazu zählen auch die Ideen von »Naturnähe« und »naturnaher Baumartenzusammensetzung«. Es erscheint deshalb sinnvoll, statt auf eine nicht mehr klar greifbare »naturnahe« gleich auf eine »dynamisch-standortgerechte« Baumartenzusammensetzung zu setzen, bei der eine ständige Veränderung des Standortes (Klima, Boden) stets mitgedacht wird.

Literatur

  • Fischer, H.S.; Michler, B.; Fischer, A. (2018): Die zukünftige pnV Bayerns. LWF aktuell 4, H. 119: S. 46–49
  • LWF – Bayer. Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Hrsg.) (2020): Praxishilfe Klima-Boden-Baumartenwahl Band II, 124 S. Mosandl, R. (1998): Die neue Zielbestockung: der naturnahe Wald. Forstl. Schriftenreihe Univ. für Bodenkultur, Wien 12: S. 119–129
  • StMUV – Bayer. Staatsmininisterium für Umwelt und Verbraucherschutz (Hrsg.) (2020): Klima-Report Bayern 2021. Klimawandel, Auswirkungen, Anpassungs- und Forschungsaktivitäten. 196 S.

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