Der Mantingerbos – ein Stechpalmenwald in den Niederlanden - LWF Wissen 85
von Dr. Stefan Müller-Kroehling

urwaldartiger, stechpalmen-dominierter Wald mit Farn als UnterwuchsZoombild vorhanden

Abbildung 1: Der Mantingerbos (© A. Kroehling)

Die Stechpalme tritt in Bayern und in ganz Deutschland wohl nirgends bestandsweise oder bestandsprägend auf, sondern ist eine klassische Mischbaumart, und vielleicht vermutet man dies von dieser »Baumart zweiter Ordnung« auch gar nicht. Man muss jedoch nicht allzu weit reisen, um einen Bestand zu sehen, in dem die Stechpalme das Bestandsbild prägt. Der Mantinger Wald (niederländisch: Mantingerbos) ist ein sehr alter, acht Hektar großer Wald in der Provinz Drenthe im Norden der Niederlande. Der Mantinger Wald gehört, wie vielfach in den Niederlanden im Fall solcher Schutzgebiete und Naturschutzflächen, dem Niederländischen Verband Naturmonumenten. Eine Fläche von 47 Hektar wurde als Natura 2000- Gebiet (NL-2003-031) ausgewiesen, umfasst aber nicht nur Wald, sondern auch Wiesen.

Er liegt auf einer kleinen Sandfläche in der Mitte des Quellgebiets des Baches Oude Diep (»Alte Tiefe«). Das eigentliche Quellgebiet befand sich ursprünglich im östlichen und nun abgebauten Hochmoor zwischen Mantinge und Witteveen. Dieses Quellgebiet liegt an einem der kältesten und feuchtesten Orte der Niederlande, d. h. mit dem größten Niederschlagsüberschuss. Vielleicht erklärt sich so, dass der Wald hier die Jahrtausende überdauerte.

Dennoch ist dieses Gebiet keine »Insel«, sondern unterlag und unterliegt massiven Umwelteinflüssen. So ist die Landschaft der Umgebung landwirtschaftlich genutzt und der Wald entsprechend isoliert. Der im Gebiet entspringende Quellbach ist durch Torfabbau und Bachbegradigung stark verändert worden und wurde erst vor wenigen Jahren renaturiert. Wie in vielen Teilen der Niederlande und angrenzender Regionen ist ein Übermaß an Stickstoff durch die intensive Landwirtschaft ein großes Problem und wird versucht, durch gewisse Pufferzonen zu begrenzen.

Der Mantinger Wald ist als Eichen-Stechpalmen-Wald ausgeprägt, in dessen zentralem Bereich die Stieleiche bestandsprägend ist, an dessen Rändern aber die Stechpalme zum Teil fast reine Bestandsteile bildet. Als LRT ist der Waldtyp dem Atlantischen bodensauren Buchenwald mit Stechpalme (LRT 9120) zugeordnet, der auf das nördliche Mitteleuropa und Westeuropa beschränkt ist. Die Buche ist indes eine der Baumarten, die aus dem kleinen Wald heute fast verschwunden sind, ebenso wie die Winterlinde. Da die Wälder vegetationskundlich als Eichen-Buchenwälder (Fago-Quercetum) eingestuft werden, steht dies einer Zuordnung zum LRT nicht im Wege. Die Stechpalme verhält sich ohnehin relativ boden- und auch gesellschaftsvag (Pott 1990).

Der Mantinger Wald ist ein »historisch alter Wald«, der also auf eine ungebrochene Waldtradition zurückblicken kann. Er gilt sogar als der einzige Wald in den Niederlanden, der nachweislich seit prähistorischer Zeit Wald bewaldet ist. Historisch war die Nutzung sehr unterschiedlich und umfasste auch eine Zeit der Waldweide, die jedoch den Waldcharakter wahrte, trotz phasenweise zunehmender Intensität, und der Niederwaldnutzung. Im Laufe der Jahrtausende mit ihrer unterschiedlichen Waldbehandlung, aber auch Klimatönung, wandelte daher die Waldbestockung immer wieder ihre Zusammensetzung und ihren Charakter, doch die Stechpalme blieb ein konstantes Element. In Zeiten der Naturwaldentwicklung wurde und wird sie zunehmend dominant. Ihre Schattentoleranz und geringe Verbissgefährdung ermöglichen ihr dann eine beständige Zunahme. So geschehen beispielsweise bereits vor 400 Jahren. Der Mantinger Wald unterliegt heute einer Naturwaldentwicklung, so dass die schattenverträgliche Stechpalme aktuell eher in Zunahme begriffen ist.

Pott (1990) sieht die Zunahme der Stechpalme wie jene der Buche in einer Linie mit dem wachsenden Einfluss des Menschen auf die Wälder, eine Interpretation, die für diese beiden schattenliebenden Gehölze zumindest nicht zwingend ist.

Die Dominanz der Stechpalme in manchen Bestandsteilen bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Humusform, die Bodenvegetation und -fauna. In reinen Stechpalmenbeständen ist der Boden übersät mit dem in langsamer Zersetzung begriffenen, knisternden, ledrigen Laub, das ungünstige Humusformen aufbaut.

Stechpalmenreiche Bestände weisen daher eine Artenzusammensetzung auf, die solche Humusformen liebt. Entsprechend ist auch der Faulbaum im Gebiet verbreitet. Wie auch der Adlerfarn zeigt er saure Verhältnisse bzw. schlechte Humusformen an. Die Laufkäferfauna des Gebietes sagt einiges über Waldgeschichte, Landschaftsbezug der Umgebung, Wasserhaushalt, Humusform und den Waldschirm aus und wurde im Laufe der Jahre im Rahmen eines Monitorings recht intensiv untersucht, beginnend mit den Arbeiten von denBoer (1963) und zuletzt von deVries et al. (2019). Humusreiche Wälder mit einem kühl-atlantischen Klima weisen eine Laufkäferfauna auf, die über die Jahre in ihren dominanten Arten recht konstant zu sein scheint. Das Bestandesklima und die humusreichen Böden wirken sicher als Puffer gegenüber den Einflüssen von Klimaextremen. Auffallend ist sogar das regelmäßige, wenn auch nicht individuenreiche Auftreten von Waldmoor- und anderen Feuchtwaldarten neben den dominanten Waldarten humusreicher Wälder.

Durch die bestehende Stichstoff-Problematik, aber auch die Isolation des Waldgebietes, sind manche Pflanzenarten wie bestimmte Moose in dem Gebiet selten geworden oder verschollen. So steht das Gebiet trotz der erfolgreichen Bemühungen zur Bachrenaturierung und trotz der derzeit dort stattfindenden Naturwaldentwicklung stellvertretend für die Erkenntnis, dass der Schutz von Waldlebensräumen und ihren Artengemeinschaften nur in einem Habitatverbund dauerhaft wirkungsvoll gelingen kann. Andernfalls kommt es durch Isolation und genetische Verarmung zu Aussterbeprozessen, selbst wenn die Habitatqualität eigentlich sogar besser wird und keine aktiven Verschlechterungen erfolgen. Ferner zeigt das Beispiel, dass, je nach Beschaffenheit der Umgebung, Schutzgebiete über einen Puffer verfügen müssen.

Von beidem unbeeindruckt und insofern keine Zeigerart für diese kritischen Faktoren ist die Stechpalme. Sie hat, dank des stets erhalten gebliebenen Waldcharakters, in dem Gebiet überlebt und alles andere als ein Schattendasein gefristet. In Zeiten zunehmender »Laurophyllisierung« der Wälder im Zuge des Klimawandels ist dies eine Entwicklung, die auch in deutschen Wäldern stattfinden kann und auch bereits stattfindet. Für Waldbewohner, die auf stabile Habitatbedingungen des Waldinnenklimas angewiesen sind, ist ihr häufigeres Vorhandensein eine gute Entwicklung, denn ihr vermehrtes Vorkommen in unseren Wäldern im Klimawandel kann stabilisierend wirken.

Literatur

  • denBoer, P.J. (1963): Lebeort (Habitat)-Bindung einiger Wald-Carabidenarten in Drente (Holland) in Zusammenhang mit Waldtypus, Boden und Strukturelementen des Waldes. – Mitt. Biol. Station Wijster Nr. 115, 10 S. + Anh.
  • deVries, H., Vermeulen, R., van Klink, R., Woldering, A. & van der Laaken, K. (2019): Tussenrapportage onderzoeksjaar 2019 Veranderingen loopkeverfauna Mantingerbos vanaf 1959. – Unveröff. Bericht, 14 S.
  • Maes, B. (2013): Inheemse bomen en struiken in Nederland en Vlaanderen. – Utrecht, 428 S.
  • Pott, R. (1990): Die nacheiszeitliche Ausbreitung und heutige pflanzensoziologische Stellung von Ilex aquifolium L. – Tuexenia 10: 497-512.
  • Provincie Drenthe (2016): Beheerplan Mantingerbos. Toekomst voor het oudste bos van Nederland. – 116 S. https://www.natura2000.nl/gebieden/drenthe/mantingerbos/mantingerbos-gebiedsanalyse

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