LWF aktuell 141
Freizeitnutzung und Wildtiere
von Juliane Warger, Anika Gaggermeier, Nicolas Cybulska und Wibke Peters
Abb. 1: Eine der besenderten Gämsen im Projektgebiet Karwendel: Das GPS-Halsband soll unter anderem aufzeichnen, wie das Verhalten von Freizeitnutzern das Verhalten der Gämsen beeinflusst. (© Juliane Warger, LWF)
Der Alpenraum: Auf der einen Seite Lebensraum für Wildtiere, auf der anderen Seite Erholungsraum mit zunehmender Beliebtheit für den Menschen. Eine fortwährende Weiterentwicklung von sportlichem Equipment bei gleichzeitiger Veränderung des Freizeitverhaltens führte in den letzten Jahren vor allem in Bezug auf den Erholungstourismus zu einer deutlich intensiveren Naturnutzung. Doch wenn Mensch und Wildtier aufeinandertreffen, entstehen nicht selten Interessenskonflikte. Die Sensibilisierung von Erholungssuchenden kann dazu beitragen, den Alpenraum als Wildtierlebensraum zu bewahren und potenziell negativen Effekten entgegenzuwirken. Für den Erfolg bedarf es einer genaueren Betrachtung der Freizeitnutzung und ihrer Motivation.
Berge, Wildtiere und Menschen: Der Bayerische Alpenraum weist mit seiner Fülle an kleinräumig variierenden Lebensbedingungen eine große Vielfalt an verschiedensten Lebensgemeinschaften auf. Bergwälder, Felsenbereiche, Latschenfelder und Almflächen prägen das Landschaftsbild. Egal ob Rotwild, Gamswild oder Raufußhuhn – die Bergwelt ist wertvoller Lebensraum für viele, zum Teil auch seltene Tierarten. Aber auch der Mensch hat ein weit zurückreichendes und berechtigtes Interesse an der Nutzung dieser komplexen Landschaft. Neben Forstwirtschaft, Jagd, Schutzwaldpflege oder Weidewirtschaft nimmt vor allem die Nutzung durch den Erholungstourismus an Bedeutung stark zu.
Erforschung der Wechselwirkungen
Abb. 2: Der Alpenraum ist zunehmend beliebt für die Freizeitnutzung und den Erholungstourismus. (© Wenzel Fickert, PantherMedia)
Freizeitnutzung im Fokus
Abb. 3: Vergleich verschiedener Motivationsgründe für einen Aufenthalt der Erholungssuchenden im Gebiet (© LWF)
Vielfalt des Freizeittourismus im Chiemgau und Karwendel
Abb. 4: Einschätzung der Freizeitnutzer, welchen Einfluss sie während ihres Aufenthalts im Projektgebiet auf Wildtiere haben. Links: Geschätzte Beeinträchtigung nach »Art« des Erholungssuchenden, rechts: Geschätzte Beeinträchtigung in Abhängigkeit der ausgeübten Sportart in den Projektgebieten (Wintersport = Schlittenfahren, Schneeschuhwandern, Skitouren, Skifahren). (© LWF)
In einem weiteren Schritt wurden die Freizeitnutzer zu den Hilfsmitteln befragt, die sie für ihre Tourenplanung verwenden. In beiden Projektgebieten gab der Großteil der Befragten an, dass sie das Tourengebiet schon kennen und ihre Ortskenntnisse bei der Planung einsetzen (58 % im Chiemgau, 51 % im Karwendel). Internetportale/Apps nutzten im Vorfeld und im Rahmen der Tour etwas mehr als 30 % der Befragten in beiden Gebieten. Diese Informationsquellen bieten somit potenziell eine Möglichkeit, den Freizeittourismus zu lenken. Wanderkarten wurden im Karwendel (24 %) häufiger verwendet als im Chiemgau (10 %). Die Tourenplanung unterschied sich je nach Art der Erholungssuchenden: Anwohner verließen sich bei der Tourenplanung vor allem auf ihre Gebietskenntnis (91 %), während Tagestouristen und Urlauber häufiger Internetportale/Apps (48 % bzw. 47 %) und Wanderkarten (16 % bzw. 34 %) nutzten.
Welche Freizeitmotive führten die Erholungssuchenden in die jeweiligen Regionen? Unterschiede zwischen den Gebieten gab es bei dieser Frage vor allem hinsichtlich der sportlichen Motivation, etwas für die eigene Gesundheit und Fitness zu tun. Dieser Aspekt fand im Chiemgau mehr Zustimmung, während im Karwendel das Erleben der Landschaft sowie die Erholung stärker im Fokus standen. In beiden Gebieten war das »Aktivsein« den Tagestouristen und Anwohnern wichtiger als den mehrtägigen Urlaubern. Letztere reisten vor allem wegen der Landschaft an und um dem Alltag zu entfliehen (Abbildung 3). Der Beweggrund »Wildtiere erleben« spielte in beiden Projektgebieten – unabhängig von der Art der Erholungssuchenden – nur eine untergeordnete Rolle und war als Motivatonsgrund nicht ausschlaggebend für den Besuch des Projektgebiets.
Freude über eine Tierbeobachtung? Ja, aber…
Abb. 5: Emotionale Stimmungslage zur möglichen Sichtung einer Gams (links) und eines Wolfes/Bären (rechts). Farbliche Anzeige nach Art der Nennung: positiv = grün, negativ = rot, neutral = grau. Wolf, Bär (© LWF)
Eine mögliche Tiersichtung – unabhängig von der Tierart – beurteilten alle Gruppen der Freizeitnutzer mithilfe einer dreistufigen Skala (positiv, neutral, negativ) als positiv (Anwohner 89 %, Tagestouristen und Urlauber 90 %). In Bezug auf die Einstellung gegenüber einer möglichen Begegnung muss jedoch hinsichtlich der Tiergruppe unterschieden werden. Anhand einer weiteren vierstufigen Skala (positiv, neutral, negativ, Zwiespalt) sollte das Empfinden gegenüber einer Gams- oder Wolf- bzw. Bärensichtung eingeschätzt werden. Einer möglichen Gams-Begegnung stehen 84 % der befragten Personen positiv gegenüber, 15 % neutral. Dagegen würden sich nur 21 % der Freizeitnutzer über eine potenzielle Begegnung mit einem Wolf oder Bären freuen (positive Beurteilung), 19 % nahmen eine neutrale Haltung ein und 35 % reagierten negativ auf diese Vorstellung. Weitere 25 % der Befragten waren bezüglich einer möglichen Begegnung verunsichert oder befanden sich im Zwiespalt. Angesichts dieser unterschiedlicher Einstellungen gegenüber Gams- und Wolf-/Bär-Begegnungen wurden Stichworte gesammelt, die die Besucher spontan dazu nannten. Die dabei entstandenen Wortwolken (Abbildung 5) verdeutlichen, welche Emotionen die befragten Personen am häufigsten äußerten (Schriftgröße) und welcher Kategorie (positiv, neutral, negativ) diese angehören (Farbe). Während die Wortwolke mit Bezug auf eine mögliche Gamssichtung von positiven Begriffen geprägt ist (»schön«, »Freude«), sind es vor allem Emotionen wie »Angst« und »Ablehnung«, die das Bild bezüglich eines Großprädatoren bestimmen. Auch Respekt vor einer Tierbegegnung und zwiespältige Empfindungen kamen zum Ausdruck.
Schmaler Grat zwischen »Place to be« für Erholungssuchende und Lebensraum für Wildtiere
Abb. 6: Über Gams-Begegnungen freuen sich zwar die meisten Erholungssuchenden im Alpenraum - dass sie Wildtiere aber in ihrem Lebensraum möglicherweise stören, ist vielen jedoch nicht bewusst. (© 1Tomm, PantherMedia)
Erholungssuchende nutzen Wildtierlebensräume heute vielfältiger und intensiver als früher. Aktivitäten abseits der ausgeschilderten Wege wie z. B. Geocaching nehmen zu. Diese Überlappung des gemeinsamen Nutzungsanspruchs führt nicht selten zu Konflikten (Hirnschall et al. 2012). Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Einfluss der Freizeitnutzung auf die Raumnutzung, das Verhalten und die Lebensbedingungen von Wildtieren liegen aus Einzelstudien außerhalb Bayerns vor. Sie zeigen beispielsweise auf, dass Wildtiere mit einer Verlagerung ihrer Aktivitäten in die Dämmerung und Nachtstunden auf menschliche Einflüsse reagieren (Coppes et al. 2017). Zudem konnte nachgewiesen werden, dass sie von Menschen stark frequentierte Bereiche und Wege meiden (Coulon et al. 2008).
Angesichts dieser Aspekte und in Anbetracht des steigenden Erholungstourismus bedarf es einer guten Balance zwischen dem Bergwald als »Freiheitsraum« und einer aktiven Besuchersensibilisierung und ggf. -lenkung. Im Projektgebiet Chiemgau sind vor allem sportlich aktive Besucher unterwegs, im Karwendel hingegen halten sich insbesondere mehrtägige Urlauber auf, die Ruhe und Entspannung suchen. Allen Kategorien an Erholungssuchenden ist gemein, dass sie in den jeweiligen Gebieten Informationstafeln als Informationsquellen nutzen. Diese Tafeln sind somit ein geeignetes Instrument, um Besucher zu sensibilisieren und durch Wissensvermittlung Akzeptanz und Verantwortungsbewusstsein gegenüber Wildtieren zu schaffen.
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse soll im weiteren Verlauf des Projekts Wissen an die Besucher vermittelt und dadurch an die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen appelliert werden. Im Hinblick auf die Besucheraufklärung wird sich die Projektarbeit daher auf die Entwicklung öffentlichkeitswirksamer und wissensvermittelnder Materialen konzentrieren. Darüber hinaus dienen die Verhaltensexperimente, die mittels Satellitentelemetrie an Gämsen durchgeführt wurden, dazu, die Reaktion der Wildtiere auf menschliche Einflüsse näher zu untersuchen (Abbildung 1). Beide Aspekte – das Verhalten von Menschen sowie der Wildtiere – werden dazu beitragen, im weiteren Verlauf des Projektes Maßnahmen zur Steigerung der Wahrnehmung und der Sensibilität gegenüber Wildtieren durch Freizeitnutzer zu erarbeiten und abzuleiten.
Zusammenfassung
Literatur
Beitrag zum Ausdrucken
Weiterführende Informationen
- ANALOG: Reise in die Klimazukunft - LWF aktuell 141
- Erarbeitung, Umsetzung und Evaluierung von wildökologischen Zonierungskonzepten (Projekt JA 17)
- Raum-Zeit-Verhalten des Schalenwildes unter Berücksichtigung der Anwesenheit des Wolfes und des Menschen im Veldensteiner Forst (Projekt I 043)
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