Hannes Lemme, Christoph Sikora, Ralf Petercord und Andreas Hahn
Nordischer Fichtenborkenkäfer auch in Bayern weitverbreitet
In Folge des Klimawandels können Insektenarten, die als Schadorganismen bisher unauffällig waren, an Bedeutung gewinnen. Die Massenvermehrung des Nordischen Fichtenborkenkäfers (Ips duplicatus) in Tschechien ist ein Beispiel dafür. Ips duplicatus galt bisher in Bayern als ausgestorben oder verschollen. Untersuchungen aus dem vergangenen Jahr zeigen nun, dass die Art auch in Bayern weitverbreitet ist.
Ausbreitungsgeschichte
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Abb.1: Natürliche und anthropogene Verbreitung der Fichte (Quelle: Caudullo et al. (2017)
Das natürliche Verbreitungsgebiet der Gemeinen Fichte ist in einen nördlichen und einen südlichen Teil gegliedert. Dazwischen lag im südlichen Polen ein nahezu fichtenfreies Gebiet, das die natürliche Ausbreitung von Ips duplicatus nach Süden behinderte. Erst mit dem verstärkten Anbau der Fichte außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes kam es zum "Lückenschluss" der getrennten Verbreitungsareale. Erste Funde von Ips duplicatus sind im südöstlichen Polen (Schlesien) aus dem Jahr 1927 bekannt. Seither breitet sich die Art immer mehr nach Süden und Westen aus.
Eine erste Massenvermehrung im Südosten Polens und im angrenzenden Nordosten der Tschechischen Republik wurde in den Jahren 1991 bis 1994 beobachtet. Ab 1997 wird in Tschechien die Verbreitung der Art mit Hilfe eines pheromongestützten Monitorings beobachtet. Die Art ist inzwischen in allen Teilen Tschechiens verbreitet. Schwerpunkt der Verbreitung in Tschechien sind die historischen Regionen Mähren, Tschechisch-Schlesien und nördliche Teile Böhmens. An der bayerisch-tschechischen Grenze wurde der Käfer nur in geringen Dichten festgestellt. Aus Österreich wurde 1990 von der Einschleppung von Ips duplicatus mit Fichtenholzimporten aus der damaligen UdSSR berichtet. Aktuelle Monitoring-Ergebnisse belegen eine Verbreitung der Art in nahezu allen österreichischen Landesteilen. Massenvermehrungen der Art sind in Österreich bisher allerdings nicht dokumentiert worden.
In Deutschland berichtet der Forstentomologe Karl Escherich bereits 1923 von einem Vorkommen von Ips duplicatus, allerdings ohne den Fundort (möglicherweise Alpenraum) konkret zu benennen. Weitere Funde sind um 1950 von Adolf Horion für den Bayerischen Wald erwähnt. Einen faunistischen Nachweis der Art gab es in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten nicht. Die Art wurde daher in der Roten Liste der gefährdeten Borkenkäfer Bayerns als ausgestorben oder verschollen geführt.
Die aktuell Verbreitungskarte der European and Mediterranean Plant Protection Organization (EPPO) zeichnet hingegen ein anderes Bild. Sie führt 15 Mitgliedstaaten der EU auf, in denen Ips duplicatus bisher nachgewiesen wurde: Neben Deutschland sind Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, Kroatien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Slowakei, Tschechien und Ungarn gelistet. Der Fund in Belgien war ein Einzelfund im Zusammenhang mit russischen Fichtenholzimporten im Hafen von Rotterdam. Entsprechend der dargestellten Nachweissituation in Deutschland ist die Verbreitung der Art somit bisher auf die Länder in seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet (skandinavische Mitgliedstaaten) und die mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU beschränkt.
Aktuelle Verbreitung in Bayern
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Abb. 2: Verteilung Standorte mit einem Nachweis in Bayern (Quelle: LWF)
Im Frühjahr 2019 wurde das Bayerische Borkenkäfermonitoring für Buchdrucker (Ips typographus) und Kupferstecher (Pityogenes calcographus) um Pheromonfallen für Ips duplicatus ergänzt, um exaktere Informationen über den Verbreitungsstatus, den Schwärmverlauf und die Generationsabfolge zu bekommen.
Im Rahmen des Bayerischen Borkenkäfermonitorings werden 118, über ganz Bayern verteilte Monitoringstandorte betrieben. Im Zeitraum von April bis Ende Juni 2019 wurden alle Standorte um Fallen mit dem artspezifischen Pheromon von Ips duplicatus erweitert. Nachdem die nahezu flächige Verbreitung von Ips duplicatus bestätigt werden konnte, wurde die Anzahl der Ips duplicatus-Fallen auf 25 Monitoringstandorte in der zweiten Jahreshälfte 2019 verringert. Die Fänge aus den Monitoringfallen werden im Labor nachbestimmt und gelten erst dann als bestätigt.
Bisher konnte an 66 Monitoringstandorten Ips duplicatus bestätigt werden. Damit ist die Art in allen bayerischen Regierungsbezirken vorhanden. Aufgrund der großen Fangzahlen dauern die Auswertungen allerdings noch an, weshalb es sich bei der Verbreitungskarte um ein Zwischenergebnis handelt (Abb. 2). Ein Zusammenhang der Verbreitung mit holzverarbeitenden und holzimportierenden Betrieben konnte nicht festgestellt werden.
Biologie des Nordischen Fichtenborkenkäfers
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Abb. 3: Der Deckenabsturz mit vier Zähnen ist typisch (Foto: Pest and Diseases Image Library, Bugwood.org)
Der Nordische Fichtenborkenkäfer ähnelt dem einheimischen Buchdrucker (Ips typographus) in vielfältiger Weise. Beide Arten gehören zur Gattung Ips und sind morphologisch nur schwer zu unterscheiden. Ips duplicatus ist mit einer Körperlänge von 2,8 bis 4,5 mm etwas kleiner als der Buchdrucker (4,2–5,5 mm). Er ist ebenfalls dunkelbraun und trägt wie der Buchdrucker je vier Absturzzähne auf den Flügeldecken. Entsprechend dieser Ähnlichkeit ist eine makroskopische Unterscheidung der beiden Käferarten unmöglich; es bedarf der mikroskopischen Untersuchung durch entomologisch versierte Fachkräfte. Eine sichere Identifizierung der Art durch Forstpersonal oder Waldbesitzer vor Ort ist ausgeschlossen.
Der Nordische Fichtenborkenkäfer beginnt seinen Schwärmflug im Frühjahr etwa gleichzeitig mit dem Buchdrucker und durchläuft dann in Abhängigkeit von den Witterungsverhältnissen, insbesondere dem Temperaturregime, bis zu drei Generationen im Jahr. In den südlichen Verbreitungsgebieten ist der Vermehrungserfolg damit deutlich größer als im ursprünglichen borealen Verbreitungsgebiet. Grundsätzlich ist von der Befähigung zur Anlage von Geschwisterbruten auszugehen. Die Überwinterung erfolgt wie beim Buchdrucker innerhalb der Rinde oder in der Streuauflage. Die Anteile der rinden- oder bodenüberwinternden Tiere ist für die bayerischen Witterungsbedingungen bisher nicht untersucht worden. Es ist zu vermuten, dass der Anteil entsprechend der Generationenzugehörigkeit und der Beteiligung am Brutgeschäft in der Vegetationszeit sowie dem Witterungsverlauf jährlich differiert.
Einnischung des Nordischen Fichtenborkenkäfers an der Fichte
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Abb. 4: Befall einer Fichte (Foto: Petr Kapitola, Central Institute for Supervising and Testing in Agriculture, Bugwood.org)
Die Einnischung der Borkenkäferarten ist grundsätzlich von der Rindendicke abhängig, daher werden die verschiedenen Altersstadien der Wirtsbäume in Abhängigkeit von der Rindendicke artspezifisch bevorzugt. Bezogen auf die Rindendicke an einer Altfichte lässt sich daher folgende Reihung aufzeigen:
Der Buchdrucker besiedelt die dickrindigen unteren Stammabschnitte; ihm folgt stammaufwärts der Nordische Fichtenborkenkäfer und diesem wiederum der Kupferstecher. Der Nordische Fichtenborkenkäfer befällt typischerweise den Stamm im Kronenbereich von Fichten ab etwa 40 Jahren. Bei jüngeren Bäumen findet man die Art auch in den unteren Stammabschnitten.
Das Brutbild des polygamen Ips duplicatus ähnelt dem des Buchdruckers. Es besteht aus einer Rammelkammer und zwei bis fünf dem Faserverlauf folgenden Muttergängen, von denen die Larvengänge rechtwinkelig abgehen. Die Unterscheidung der beiden Arten anhand ihrer Brutbilder ist daher schwierig bzw. bei hoher Populationsdichte und/oder Mischbefall nahezu ausgeschlossen.
Wirtschaftliche Bedeutung
Die EPPO betrachtet den Käfer entsprechend seines Verbreitungsgebietes nicht als Quarantäne-Schadorganismus und schätzt seine wirtschaftliche Bedeutung als gering ein. Diese Einschätzung orientiert sich vermutlich an seiner Bedeutung im ursprünglichen Verbreitungsgebiet und der retrospektiven Betrachtung des Massenwechselgeschehens. Inwieweit das aktuelle Schadgeschehen in den vergangenen Jahren in Tschechien und Rumänien bereits berücksichtigt wurde, ist unbekannt. Bei einer europaweiten Abfrage zur wirtschaftlichen Bedeutung von Fortschadinsekten Anfang des Jahres 2000 bezeichneten nur Forstentomologen aus Polen und der Slowakei die Art als wirtschaftlich relevant. Grundsätzlich gilt die Art als deutlich weniger aggressiv als der Buchdrucker. In der Fachliteratur sind zahlreiche Hinweise zu finden, die den Nordischen Fichtenborkenkäfer als Sekundärschädling und Begleitart des Buchdruckers beschreiben.
In Tschechien werden derzeit Massenvermehrungen des Buchdruckers und des Nordischen Fichtenborkenkäfers beobachtet. Tschechische Kollegen betonen die dominante Rolle des Buchdruckers in diesen Massenvermehrungen. In der gesamten Tschechischen Republik ist der Schadholzanteil, der nach den Waldschutzmeldungen durch Ips duplicatus verursacht wurde, in allen Jahren bis 2017 nicht über 30 % angestiegen.
Die aktuellen Massenvermehrungen wurden durch die sich verändernden klimatischen Bedingungen insbesondere im Hauptschadensgebiet Nordost-Mähren ausgelöst. Mehrere Jahre mit geringen Jahresniederschlägen gepaart mit hohen Sommertemperaturen haben die dortigen Fichten geschwächt. Die Bäume sind nicht mehr vital genug, um Schadinsekten abzuwehren. Neben dem Befall durch den Buchdrucker kommt es in Tschechien daher zunehmend auch zu Befall durch den Nordischen Fichtenborkenkäfer. Die extremen klimatischen Bedingungen in Tschechien über die vergangenen Jahre hinweg sind ein Grund für die starke Vermehrung des Ips duplicatus. Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt, warum Ips duplicatus als Begleitart des Buchdruckers – profitierend von dessen im Bestand verursachter Vorschwächung der Fichten – sich dort so stark vermehren konnte, schien auch sozioökonomische Ursachen zu haben. Knížek und Liška führen einen Mangel an Arbeitskräften, den Preisverfall auf dem Fichtenholzmarkt und organisatorische Probleme im Zusammenhang mit dem Vergabemodell des Staatsforstbetriebes an.
Gegenmaßnahmen
Zur Vorbeugung des Befalls und zur Bekämpfung sind gegen den Nordischen Fichtenborkenkäfer dieselben Maßnahmen zu ergreifen wie bei andere Borkenkäferarten: Saubere Waldwirtschaft, Entfernen bruttauglichen Materials, Einschlag und schneller Abtransport befallener Bäume, Entrindung befallener Bäume sowie im notwendigem Umfang auch die Behandlung von Holzpoltern mit Insektiziden.
Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft wird den forstlichen Entscheidungsträgern und Praktikern die notwendigen Informationen über diese Art und ihre Bedeutung für die forstliche Praxis bereitstellen. Welche Auswirkungen die natürliche Ausbreitung von Ips duplicatus in der Zukunft vor dem Hintergrund des Klimawandels hinsichtlich eines zukünftigen Gefährdungspotenzials haben kann, wird Gegenstand langfristiger, intensiver Untersuchungen sein.
Wir bedanken uns den Revierleitern der ÄELF und der BaySF für die zusätzliche Arbeit bei der Leerung der Borkenkäferfallen von Ips duplicatus.
Schneller Überblick
- Der Nordische Fichtenborkenkäfer Ips duplicatus, ein Borkenkäfer des borealen Nadelwaldes, tritt zunehmend auch in Mitteleuropa immer häufiger in Erscheinung.
- In der Tschechischen Republik haben die Fichtenborkenkäfer in den letzten zwei Jahren große Schäden verursacht. Dominierende Art ist der Buchdrucker, der Nordische Fichtenborkenkäfer ist jedoch am Schadgeschehen beteiligt.
- Die Ergebnisse des Monitorings 2019 zeigen, dass Ips duplicatus in Bayern weit verbreitet ist.
- Ein Zusammenhang der aktuellen Verbreitung von Ips duplicatus mit holzverarbeitenden und holzimportierenden Betrieben in Bayern konnte nicht festgestellt werden.
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