LWF Wissen 87
Die Moorbirke (Betula pubescens) – Verbreitung, Variabilität und Ökologie
von Gregor Aas
Die Moorbirke (Betula pubescens, Betulaceae) ist eine im borealen Nordeuropa und Asien weit verbreitete Baumart. In Mitteleuropa kommt sie auf nassen Standorten und insbesondere in Mooren vor. Dargestellt werden die Morphologie der Art, die Abgrenzung zur Hängebirke (B. pendula), ihre Ökologie und Reproduktionsbiologie. Die hohe Variabilität der Moorbirke ist auch die Folge von introgressiver Hybridisierung mit anderen Betula-Arten, insbesondere mit B. pendula. Artbestimmung und intraspezifische taxonomische Differenzierung sind dadurch erschwert.
Abb. 1a: Die Zwergbirke (Betula nana) ist ein höchstens 1 m hoher Zwergstrauch mit nur 0,5 bis 1,5 cm großen, rundlichen Blättern. (© G. Aas)
Gattung
Abb. 1b: Die Strauchbirke (B. humilis) kann 3 m hoch werden und hat eiförmige, bis 4 cm lange Blätter. (© Gregor Aas)
Morphologie
Abb. 2: Mehrstämmig und »tortuos« wachsende Moorbirke in der subalpinen Stufe der Alpen (A, Nauders). (© G. Aas)
Die Moorbirke ist der bei uns viel häufigeren Hängebirke morphologisch ähnlich (Tabelle). Die Abgrenzung beider Arten und insbesondere die sichere Bestimmung von B. pubescens bereitet oft Probleme, da in der Literatur unterschiedliche Merkmale zur Artdifferenzierung und insbesondere zur intraspezifischen Variation relevanter diagnostischer Merkmale angegeben sind (Amphlett 2021). Habituell ist für beide typisch, dass sie eher schlanke Kronen bilden mit mehr oder weniger spitzwinklig aufsteigenden Ästen. Namensgebend für die Hängebirke sind die, vor allem bei älteren Bäumen, zur Spitze hin fast peitschenförmig überhängenden Zweige (Abb. 3). Im Unterschied dazu stehen die Zweige bei der Moorbirke starr aufrecht oder zur Seite ab.
Abb. 3: Moorbirke (links) und Hängebirke (rechts) lassen sich im Freistand gut an ihrem Habitus unterscheiden. (© O. Holdenrieder (links), G. Aas (rechts))
Moor- oder Haarbirke | Hänge oder Warzenbirke | |
---|---|---|
Habitus | Äste spitzwinklig bis waagrecht abstehend, Zweigspitzen nicht überhängend | Äste spitzwinklig aufsteigend, die Zweigspitzen mit dem Baumalter zunehmend überhängend |
Rinde | nicht so hell wie bei der Hängebirke; matt weiß bis grau, seltener bräunlich; kaum Borkenbildung | weiß, an stärkeren Stämmen mit längsrissiger, dunkler Borke |
Sprossachse | ± dicht behaart; mit ovalen Lentizellen, aber ohne oder nur wenigen warzigen Drüsen | kahl, mit ovalen Lentizellen, v. a. an kräftigen Langtrieben ± viele, helle, warzige Drüsen |
Laubblätter | Stiel ± behaart; Spreite zumindest unterseits und an den Nerven behaart; eiförmig, mit kurzer Spitze, ihre Basis abgerundet bis fast herzförmig, seltener keilförmig, am Rand meist einfach gesägt | kahl; Spreite ei- bis rautenförmig, meist lang zugespitzt, Basis gestutzt bis keilförmig, am Rand meist doppelt gesägt |
Abb. 4: Die Rinde der Moorbirke (links) ist matt- oder grauweiß, bleibt bis ins hohe Alter glatt und meist ohne Borke. Im Unterschied dazu wandelt sich die anfangs glatte, hellweiße Rinde der Hängebirke (rechts) an stärkeren Stämmen zu einer dunklen, fast schwarzen, tief längs rissigen Borke. (© G. Aas)
Abb. 5: Die Sprosse der Moor- oder Haarbirke sind flaumig behaart (links), worauf auch ihr wissenschaftlicher Artname pubescens (= flaumhaarig) verweist. Die jungen Zweige der Hänge- oder Warzenbirke (rechts) sind kahl mit hellen warzigen Drüsen. (© G. Aas)
Abb.6: Laubblätter der Moorbirke (links) und der Hängebirke (rechts). (© G. Aas)
Verbreitung und Ökologie
Abb. 7: Reinbestand der Moorbirke auf ca. 1000 m Meereshöhe bei Geilo, Südnorwegen. (© G. Aas)
In Deutschland ist Betula pubescens zwar weit verbreitet (Abb. 8), aber eher selten, da nur auf feuchten bis nassen, nährstoffarmen Standorten vorkommend. Schwerpunkte der Verbreitung liegen im Bereich des atlantisch getönten Klimas im nordwestdeutschen Tiefland, in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, in den schneereichen Lagen der Mittelgebirge (z. B. Sauerland, Harz, Rhön, Erzgebirge, Fichtelgebirge, Bayerischer Wald), im Voralpengebiet und in den Alpen. In den nördlichen Kalkalpen kommt sie bis zur Baumgrenze auf Höhen von ca. 1900 m vor, in den Zentralalpen bis 2200 m. Betula pubescens besiedelt Moor- und Bruchwälder, Hochmoorränder und Quellsümpfe sowie in höheren Lagen der Gebirge Blockhalden und bodensaure Fichtenwälder. Sie wächst auf feuchten bis staunassen, nährstoffarmen bis mäßig nährstoffreichen, humosen Sand- oder Torfböden.
Abb. 8: Verbreitung der Moorbirke in Deutschland. (© www.floraweb.de)
Reproduktionsbiologie
Abb. 9: Die hängenden männlichen Kätzchen und darüber die aufrechten grünen, weiblichen Blütenstände (links). Weibliche Blütenstände; von der Einzelblüte sind nur die Spitzen der rötlichen Narben sichtbar (rechts). (© G. Aas)
Die Intensität der Fruchtproduktion variiert von Jahr zu Jahr, wobei es unter mitteleuropäischen Bedingungen nur selten Jahre mit ausbleibender Fruktifikation gibt. Die kleinen, gut flugfähigen Früchte (sog. Segelflieger, Abb. 11) werden durch den Wind ausgebreitet (Anemochorie). Dies geschieht unmittelbar nach der Samenreife im Spätsommer oder Herbst, aber auch noch den Winter über bis ins kommende Frühjahr. Die Ausbreitungsdistanzen variieren je nach Windverhältnissen, Geländetopografie und Bestandesstrukturen und können mehrere hundert Meter betragen (bei Betula pendula wurden mittlere Distanzen von bis ca. 380m ermittelt, (Tiebel et al. 2020). Sekundär können Birkenfrüchte auch auf der Schneedecke gleitend und im abfließenden Regen- und Schmelzwasser verfrachtet werden.
Abb. 10: Mitten im Winter finden sich bei der Moorbirke nebeneinander noch Fruchtkätzchen aus der zurückliegenden Vegetationszeit und die nackt überwinternden, noch geschlossenen männlichen Infloreszenzen für die kommende Blühsaison. (© G. Aas)
Moorbirken können sich gut durch den Austrieb schlafender (proventiver) Knospen regenerieren. Ihre Fähigkeit zu Stockausschlägen ist stärker ausgeprägt als bei B. pendula (Hynynen et al. 2010) und hat vor allem im borealen Bereich für die natürliche Verjüngung von Birkenwäldern, aber auch für ihre Bewirtschaftung als Niederwald große Bedeutung.
Abb. 11: Die nur einige Millimeter langen Nussfrüchte der Moorbirke haben an beiden Seiten einen häutigen Flügel. An ihrer Spitze sind oft noch die Reste der beiden Narben zu sehen. Zwischen den Früchten die dreilappigen Fruchtschuppen, die beim Zerfallen der Fruchtstände auf den – hier schneebedeckten – Boden fallen. (© G. Aas)
Hybridisierung und Introgression fördern die Variabilität der Moorbirke
Abb. 12: Die fast ganz kahlen Blätter einer Moorbirke in der Hohen Tatra (Karpaten). (© G. Aas)
Betula pubescens ist tetraploid (2n = 56), B. pendula hingegen diploid (2n = 28). Häufig wird unterstellt, dass die unterschiedlichen Ploidiestufen Introgression zwischen beiden Arten verhindern. B. pendula und B. pubescens sind aber kreuzbar (Eifler 1958). Unter natürlichen Bedingungen findet man primäre, mehr oder weniger intermediäre F1-Hybriden (= Betula × aurata) aber nur selten. Da triploid (3n = 42), sind sie normalerweise auch nicht zur sexuellen Reproduktion und damit zur Rückkreuzung mit B. pendula oder B. pubescens befähigt, was den Genfluss (Genintrogression) zwischen den Arten verhindert.
Abb. 13: Moorbirken in den Hochlagen der Vogesen, die hier je nach taxonomischer Auffassung als Karpatenbirken gelten. (© A. Reif)
Die Karpatenbirke (Betula carpatica, B. pubescens subsp. carpatica)
Die Krummbirke (B. pubescens subsp. tortuosa, B. tortuosa)
Steckbrief Moorbirke (Betula pubescens)
Gestalt
Bis 20 (max. 30) m hoher, sommergrüner Laubbaum, Brusthöhendurchmesser (BHD) bis 70 cm, selten bis 1 m; Äste meist schräg nach oben gerichtet, zur Spitze hin aufrecht oder zur Seite abstehend
Junge Sprossachse und Knospen
Junge Sprossachse dicht samtig bis locker behaart,
± verkahlend, ohne oder nur zerstreut helle, warzige Drüsen; Knospen spiralig oder seltener zweizeilig angeordnet; länglich eiförmig, mit 4 – 8 bräunlichen, im unteren Teil meist grünlichen Schuppen
Blätter
Spiralig oder seltener zweizeilig angeordnet; Blattstiel 1 – 3 cm lang, zumindest anfangs behaart; Spreite 3 – 7 cm lang, eiförmig mit abgerundeter bis fast herzförmiger Basis, unterseits behaart, aber meist bis auf die Nerven verkahlend, am Rand einfach oder seltener doppelt gesägt
Rinde
Matt weiß bis grau, gelblich oder bräunlich, nicht so hell wie bei der Hängebirke, Lentizellen deutlich als kurze, schmale horizontale Bänder; Rinde (Periderm) blättert waagrecht mit dünnen Streifen ab; keine oder nur selten am Stammfuß Bildung einer Borke
Blüten
April bis Anfang Mai, mit dem Laubaustrieb; eingeschlechtig und einhäusig verteilt; männliche Blüten überwintern nackt in länglich-walzenförmigen Kätzchen; zur Blütezeit schlaff hängend; weibliche Blüten in gestielten, anfangs aufrechten, dünnen, 2 – 4 cm langen, grünlichen Kätzchen an diesjährigen Trieben; Bestäubung durch den Wind
Früchte
Reife im August und September; Fruchtstände (»Zäpfchen«) walzenförmig, hängend, zerfallen zur Reife in die dreilappigen, braunen Fruchtschuppen und die einsamigen, zu beiden Seiten geflügelten Nussfrüchte, jeder Flügel etwa 1 – 2× so breit wie die Nuss; Ausbreitung durch den Wind
Bewurzelung
Je nach Standort ± flaches Herzwurzel- oder Senkerwurzelsystem
Höchstalter
80 bis 100 Jahre
Chromosomenzahl
2n = 56 (tetraploid)
Literatur
- Amphlett, A. (2021): Identification and taxonomy of Betula (Betulaceae) in Great Britain and Ireland. British & Irish Botany 3: 99-135.
- Ashburner, K.; McAllister, H.A. (2013): The genus Betula. A taxonomic revision of birches. Kew 432 S.
- Eifler, I. (1958): Kreuzungen zwischen Betula verrucosa und Betula pubescens. Der Züchter 28: 331-336.
- Holm, S.-O. (1994): Reproductive patterns of birches (Betula spp.) in northern Sweden. Doctoral Dissertation, Umeå.
- Hynynen, J.; Niemistö, P.; Viherä-Aarnio, A.; Brunner, A.; Hein,S. (2010): Silviculture of birch (Betula pendula Roth and Betula pubescens Ehrh.) in northern Europe. Forestry 83, doi:10.1093/forestry/cpp035
- Jonsell, B. (ed.) (2000): Flora Nordica. Vol. 1. Stockholm, 344 S.
- Kuneš, I.; Linda, R.; Fér, T.; Karlík, P.; Baláš, M.; Ešnerová, J. et al. (2019): Is Betula carpatica genetically distinctive? A morphometric, cytometric and molecular study of birches in the Bohemian Massif with a focus on Carpathian birch. PLoS ONE 14(10): e0224387. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0224387
- Liu, Z.; Evans, M. Effect (2021): Tree density on seed production and dispersal of birch (Betula pendula Roth and Betula pubescens Ehrhs). Forests 12, 929. https://doi.org/10.3390/f12070929
- Müller, F.; Ritz, C.; Wesche, K. (2021): Rothmaler – Exkursionsflora von Deutschland. Gefäßpflanzen: Grundband. 22. Aufl. Springer, 944 S.
- Perala, D.A.; Alm, A.A. (1990): Reproductive ecology of birch: a review. Forest Ecology and management 32: 1-38.
- Tiebel, K.; Huth, F.; Frischbier, N.; Wagner, S. (2020): Restrictions on natural regeneration of storm-felled spruce sites by silver birch (Betula pendula Roth) through limitations in fructification and seed dispersal. European Journal of Forest Research 139:731-745.
- Tiebel, K. (2023): Verjüngung auf Störungsflächen. Teil 3: Bodensamenbankpotenzial. AFZ/Der Wald 78 (5): 37-41.
- Zohren, J. (2016): Introgression in Betula species of different ploidy levels and the analysis of the Betula nana genome. PhD London, 139 S.