Joachim Stiegler und Franz Binder
Grünerle oder Latsche? – Eine Frage des Standorts - LWF-aktuell 108
Die bayerische Hochgebirgslandschaft wird zu großen Teilen von ausgedehnten Latschengebüschen geprägt. Die Latschen-Kiefer kommt mit den schwierigen Verhältnissen in diesen Lagen offensichtlich gut zurecht. Aufgrund der Standortbedingungen in den Bayerischen Hochalpen wird die Latsche langfristig gesehen ihre Vormachtstellung beibehalten. Doch auch die Grünerle trotzt den ungünstigen Bedingungen in dieser Höhe. In der Literatur finden sich widersprüchliche Aussagen zu den Standortansprüchen der Grünerle. Vor einigen Jahren noch als kalkmeidende Baumart beschrieben, sehen dies jüngere Literaturquellen deutlich differenzierter. Demnach ist für das Ankommen und die Vitalität der Grünerle vor allem eine gute Wasserversorgung ausschlaggebend.
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Abbildung 1: Die Latsche - eine ständige Wegbegleiterin in den
Bayerischen Hochalpen. Foto: F. Binder
Das natürliche Verbreitungsgebiet der Latsche (Pinus mugo ssp. mugo) liegt oberhalb der potenziellen Hochwaldgrenze (Autonome Provinz Bozen 2010). In Lawinenbahnen steigt sie bis in die submontanen Lagen herab. Sie ist zusammen mit der Grünerle (Alnus viridis ssp. viridis) eine Baumart des Krummholzgürtels.
Die Grünerle, auch als Laublatsche bezeichnet (Schütt et al. 2006), und die Latschenkiefer finden wir in den gleichen Höhenlagen. Sie treten zuweilen auch gemeinsam bzw. in enger Verzahnung auf (Abbildung 2). Dies ist ein erster Hinweis dafür, dass das Ausgangsgestein kaum Grund für die unterschiedlichen Besiedelungsschwerpunkte sein dürfte.
Nach Reger et al. (2014) hätte der Waldtyp Carbonat-Latschengebüsch von Natur aus in den Bayerischen Alpen einen Anteil von 119,5km², der Waldtyp Silikat-Grünerlen- und Latschengebüsch einen Anteil von 5,0km². Das heutige Verbreitungsgebiet der Latsche und Grünerle unterscheidet sich stark vom potenziellen Verbreitungsgebiet. Vor allem Rodungen für Lichtweidegewinnung haben hierzu beigetragen.
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Beide Arten sind holzwirtschaftlich ohne Bedeutung. Ihr Wert liegt im Schutz des Bodens vor Erosion und macht sie daher besonders wertvoll für die Sanierung von Schutzwaldflächen. Über ihre Ansprüche an den Standort gibt es widersprüchliche Aussagen, denen im Folgenden nachgegangen werden soll.
Vor etwa 20 Jahren beschreiben Schütt und Lang (1996) die Grünerle als Baumart, die frische, kalkarme Standorte in den Hoch- und Mittelgebirgen Zentraleuropas und Südost-Europas besiedelt. »Im Kalkgebirge wird die Besiedelung vergleichbarer Lagen von der Latsche übernommen«. Die Autoren ergänzen, dass die Baumart »auf stark sauren und alkalischen Substraten fehlt«.
Zu dieser Einwertung kommen andere Autoren nicht. Nach Huber und Frehner (2012) hat die Grünerle ein viel breiteres Standortsspektrum als bisher vermutet. Sie ist nicht kalkmeidend, stockt aber weniger oft auf basisch durchlässigen geologischen Unterlagen. Auch laut Ellenberg (2010) werden die Grünerlen auf Kalkgestein meistens von Latschen abgelöst, weil sich diese auf durchlässigen Böden besser entwickeln können.
Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Grünerle kalkmeidend ist und die Latsche kalkliebend. Es sind aber beide Arten gegen den Säuregrad indifferent. So wächst, wo karbonatreiches Gestein genügend wasserhaltende Kraft besitzt, auch die Grünerle. Anders ausgedrückt: In den Kalkgebirgen sind Grünerlengebüsche an das Vorhandensein wasserhaltender Schichten gebunden (Autonome Provinz Bozen 2010).
Die Latsche unbestrittene Throninhaberin auf »trockenen« Kalkstandorten
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Abbildung 2: Grünerle und Latsche treten im Bereich der Waldgrenze häufig gemeinsam auf. Im Vordergrund Grünerlen, im Hintergrund ein ausgedehnter Latschenbestand am Mahnkopf/
Karwendel. Foto: J. Stiegler
Die Latschenkiefer (Abbildung 1) zählt nach Schmidt (2011) zu der formenreichen Artengruppe der Berg-Kiefern – neben Moorkiefer (P. rotundata) und Spirke (P. uncinata). Die Latsche hat ihren Verbreitungsschwerpunkt an der Waldgrenze (1.200–2.100m ü. NN) und gilt als ausgesprochene Lichtbaumart mit sehr geringem Wärmebedarf und geringen Nährstoffansprüchen.
Sie ist ein an die ökologischen Bedingungen der subalpinen Stufe angepasstes Gehölz, das Krummholzbestände an und oberhalb der Waldgrenze bildet. »Sie wächst auf steinigen, neutralen bis mäßig sauren, humosen Lehm- und Tonböden, auf Fels und Schutt, über Kalk, Dolomit oder Silikat. Die Art ist an Extremtemperaturen, kurze Vegetationsperioden, mächtige Schneedecken und Schneeschub sowie kalte Winde angepasst« (Schmidt 2011) und verträgt extreme Trockenheit (StMELF 1997).
Der Wuchs ist überwiegend strauchförmig mit mehreren niederliegenden bis bogig aufsteigenden, elastischen Stämmen. Dadurch sind sie sehr gut dem winterlichen Schneedruck in den Hochlagen angepasst (Schmidt 2011). Unter hohen Schneeauflagen, zum Beispiel in schneereichen Muldenlagen oder auf Schattseiten, kann es zu Schäden durch Schneeschimmel kommen. Infolgedessen sterben die lange vom Schnee bedeckten Triebe ab (Autonome Provinz Bozen 2010).
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Die Latsche verfügt über ein extensives, flachstreichendes und weitreichendes Wurzelsystem, das in steilen Lagen zur Bodenbefestigung und Geröllfestlegung beiträgt. Auf Flächen, die nicht vom Hochwald bestockt werden können, leistet die Latsche dadurch einen wichtigen Beitrag zur Bodenbefestigung. Die Wurzeln sind jedoch empfindlich gegen Bodenverdichtung.
Die Art bildet in den Alpen vor allem in kalk- und dolomitreichen Gebieten ausgedehnte Bestände, ist jedoch keineswegs an Kalk gebunden, sondern kommt auf verschiedensten baumfeindlichen Standorten vor (Ellenberg 1996).
In den Krummholz-Beständen erfolgt die Verjüngung überwiegend vegetativ. Durch Schnee oder Geschiebe werden Äste zu Boden gedrückt und bilden sekundäre Wurzeln. Generative Vermehrung ist vor allem dort von Bedeutung, wo offene, konkurrenzfreie, noch nicht von anderen Gehölzen besiedelte Pionierstandorte zur Verfügung stehen (Schmidt 2011).
Latschengebüsche im Gebirge unterbinden die Bodenerosion und mindern Gefahren durch Steinschlag und Rutschungen (Schmidt 2011). Wegen der federnden Wirkung der Latschen können bei vollständiger Schneebedeckung und der dadurch unter Spannung stehenden Latschen allerdings Schneebewegungen ausgelöst werden (Autonome Provinz Bozen 2010). Lärche oder Fichte können im Schutz der Latsche ankommen, sich etablieren und aufwachsen.
In den bayerischen Hochalpen nimmt die Latsche augenscheinlich einen deutlich höheren Flächenanteil ein als die Grünerle. Dies steht im Einklang mit der Ausscheidung der Waldtypen nach dem Waldinformationssystem Nordalpen (Reger et al. 2014).
Die Grünerle – eine Baumart mit viel Durst
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Abbildung 3: Die Grünerle bevorzugt Standorte mit guter Wasserversorgung. Foto: J. Stiegler
Die Grünerle besiedelt in den Bayerischen Alpen Standorte mit einer Höhenlage von bis zu 2.050 Metern (StMELF 1997). Der Schwerpunkt ihrer natürlichen Verbreitung liegt in Bayern auf einer Höhenlage zwischen 1.600 und 1.700m ü. NN (Reger et al. 2014). »Natürliche Standorte der Grünerle sind feuchte und häufig nordexponierte Hänge in der subalpinen Stufe, wo sich der Wald infolge topografischer Ungunst oder regelmäßiger Lawinenniedergänge aufgelöst hat oder nicht auszubilden vermochte« (Rubli 1974) (Abbildung 3).
Aufgrund des hohen Bedarfs an Feuchtigkeit bevorzugt sie daher wenig durchlässige Silikatgesteine und Tonschiefer (Ellenberg 2010). Die Transpirationsmengen der Grünerlenblätter können Werte von etwa 1.000 Litern pro Hektar in einer Stunde erreichen (Rubli 1974).
Der hohe Wasserbedarf kann nach Richard (1969) – zitiert in Huber und Frehner (2012) – im Sommer zum limitierenden Faktor werden und erklärt auch die Vorliebe der Grünerle für Nordhänge der subalpinen Stufe, wo geringere mittlere Temperaturen die Evapotranspiration vermindern und die verzögerte Schneeschmelze die Wasserversorgung sicherstellt. »Auf quell- und sickerfeuchten Standorten in Schattenlage oder in Nordexposition bildet sie annähernd reine Bestände« (Schütt und Lang 1996).
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Hinsichtlich der Lichtansprüche zählt sie zu den Halblicht- bzw. Lichtpflanzen (Ellenberg 1979). Die Grünerle hat eine säbelwüchsige, aufsteigende, strauchförmige und mehrstämmige Wuchsform. Sie weist eine sehr hohe Stammelastizität auf (Huber und Frehner 2012). Ihr rasches Wachstum ermöglicht ihr ein gutes Durchsetzungsvermögen auch bei dichter Bodenvegetation (StMELF, 1997).
Nach Binder (1992), der auf einem Nordhang in 1.400m ü. NN in den Ammergauer Alpen (Hauptdolomit-Plattenkalk-Hangschutt) eine Erstaufforstung untersuchte, nahmen die Sproßlängen der Grünerle auf der Freifläche im Durchschnitt in den ersten fünf Jahren um 17cm zu. Im Vergleich dazu waren es bei der Vogelbeere auf der gleichen Beobachtungsfläche lediglich 7cm.
Infolge ihrer sehr elastischen Beastung und der oft niederliegenden Stämme erträgt sie nach Schütt und Lang (1996) Schneedruck ohne Schaden. Das steht im Widerspruch zur Aussage, dass die Grünerle zwar in besonderer Weise an Schneesetzen, -kriechen und -gleiten angepasst ist, dennoch häufig Schäden aufweist (Autonome Provinz Bozen 2010). Die Grünerle wird durch den hangabwärts wandernden Schnee weniger geschädigt als die Weide und gedeiht besser auf Rohböden als die Vogelbeere (Rubli 1974).
Die Grünerle trägt viel zur Stabilisierung rutschgefährdeter Böden bei (Schütt und Lang 1996) und ist daher von Bedeutung für den Bodenschutz, da laut Rubli (1974) in den Hochlagen nur wenige Laubbaum- und Straucharten zur Sicherung erosionsgefährdeter Hänge zur Verfügung stehen.
Grünerlenbestände können durch ihre Stammelastizität und ihrem schnellen Regenerationsvermögen auch auf steinschlaggefährdeten Hängen überdauern und weisen eine große Resistenz gegen Überschüttung auf (Mürner 1999). Bezüglich Lawinenschutz nimmt die Grünerle eine indifferente Stellung ein, da sie die Schneedecke festigen kann. Vollständig niedergedrückte Grünerlen allerdings können ähnlich wie die Latsche auch Schneebewegungen auslösen (Autonome Provinz Bozen 2010). Benecke (1972) merkt an, dass die Grünerle zwar keinen Lawinenschutz bietet, dafür aber in den Lawinenzügen zum Bodenschutz beiträgt und das Schneegleiten verhindert.
Die Grünerle vermehrt sich ähnlich wie die Latsche: Innerhalb eines bestehenden Grünerlenbestandes vegetativ über Ablegerbildung und in der Pionierphase vor allem über die Samenausbreitung (Schütt und Lang 1996). Nach Michiels (1993) – zitiert in Huber und Frehner (2012) – werden zur Ansamung feuchte, humose Mineralböden bevorzugt. Aufgrund der vegetativen Vermehrung von Grünerlen entstehen nach Rubli (1974) sehr resistente Dauergesellschaften. Nach Störungen wie zum Beispiel Steinschlag schließt sich die Lücke innerhalb kurzer Zeit wieder (Huber und Frehner 2012).
Friede, Freude, Grünerle?
Die Grünerle ist in der Lage, Extremstandorte im Gebirge zu besiedeln, hohe Ansprüche stellt sie lediglich an die Wasserversorgung. Doch ihr starkes Durchhaltevermögen und ihre effiziente Ausbreitungsstrategie können auch nachteilig wirken. Unter Umständen behindert der hohe Dichtschluss andere Gehölzarten am Wachstum. Zudem entwickeln sich auf den mit Stickstoff angereicherten Böden zum Teil üppige Hochstaudenfluren, die das Aufkommen von Baumarten praktisch nicht ermöglichen (Rubli 1974).
Mehrjährige Beobachtungen von Mürner (1999) in der Innerschweiz zeigten, dass Grünerlen sehr viel schneller wachsen als Fichten. Wird ein für beide Sämlinge identisch günstiger Boden gleichzeitig durch beide Arten besiedelt, so hat die Fichte das Nachsehen. Dieses schnellere Wachstum der Grünerle gegenüber Fichte bestätigen auch die Ergebnisse von Binder (1992).
Nach Mössmer und Ammer (1994) ist die Grünerle in der Lage, bodennahe Schneegleitbewegungen zu reduzieren. Sie vermuten, dass sie damit anderen Baumarten, wie etwa der Fichte, das Aufwachsen ermöglichen.
Die Situation in Bayern
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Abbildung 4: Kumulative Häufigkeit der im Rahmen der Schutzwaldsanierung
in Bayern seit 1987 ausgebrachten Latschen und
Grünerlen (Quelle: FSWM 2015)
In den Bayerischen Alpen sind etwa 20.000 Hektar mit Krummholzbeständen aus Latsche oder Grünerle bedeckt (StMELF 2000). Das entspricht einem Anteil von 8% der gesamten Waldfläche im bayerischen Alpenraum. Die Grünerle nimmt dabei flächenmäßig eine eher unbedeutende Rolle ein.
Dies zeigt eine Untersuchung, welche die genetischen Ressourcen seltener Baumarten in Deutschland erfasste und dokumentierte. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden in Bayern lediglich elf sehr große und zusammenhängende Grünerlenbestände mit einer Gesamtfläche von knapp 900 Hektar gefunden (BLE 2013). Kleinere Grünerlenbestände können jedoch fast überall in den Alpen auf geeigneten Standorten vorkommen. Äußerst selten ist sie im Bereich des Karwendel- und Wettersteingebirges (BLE 2013).
In der Schutzwaldsanierung spielen die beiden Krummhölzer Latsche und Grünerle auf flachgründigen erosionsgefährdeten Standorten eine sehr wichtige Rolle. Seit 1987 wurden etwa 700.000 Pflanzen ausgebracht (Abbildung 4). Auch in diesem Zusammenhang wird die führende Rolle der Latsche deutlich. Sie wurde während dieses Zeitraums etwa sechsmal häufiger gepflanzt als die Grünerle.
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Interessant ist auch, dass 63% aller Grünerlen auf Sanierungsflächen im Allgäu (Flächenanteil von 34% aller Sanierungsflächen) gepflanzt und lediglich 37% der Grünerlen auf Sanierungsflächen in Oberbayern ausgebracht wurden. Es liegt nahe, dass die unterschiedliche geologische Situation dafür ausschlaggebend ist. Im Allgäu kommen im Gegensatz zu oberbayerischen Gebirgsstandorten »trockene« Standorte auf Hauptdolomit, Wettersteinkalk und Dachsteinkalk kaum vor. Derartige Standorte werden von der Grünerle gemieden. Ihr sagen »nasse« Standorte zu, wie wir sie in der landschaftsprägenden Helvetikum- und Flysch-Zone der Allgäuer Alpen vorfinden.
Fazit
Die Latsche ist vielerorts standortsbedingt die dominierende Baumart im subalpinen Bereich der Bayerischen Hochalpen, während die Grünerle nur punktuell vorzufinden ist. Beide Baumarten kommen mit den extremen Bedingungen im Gebirge gut zurecht. Die Grünerle wird laut Huber und Frehner (2012) jedoch häufig unterschätzt und zu wenig wahrgenommen, auf gut wasservorsorgten Kalkstandorten könnte sie jedoch zukünftig an Bedeutung hinzugewinnen. Sie eignet sich in Lagen mit langer Schneebedeckung als gute Alternative zur Latsche (Schneeschimmel), wenn auch mit standortsbedingten Einschränkungen. Auch wegen ihrer ökologischen Funktionen und ihrer geringen Verbreitung sollte ihr mehr Aufmerksamkeit zukommen.
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