Hans-Joachim Klemmt und Wolfgang Falk
Hat die Stechpalme eine Bedeutung für den klimagerechten Waldbau in Bayern? - LWF Wissen 85
Abb. 1: Verbreitungsschwerpunkte von Ilex aquifolium
Zusammenfassung:
Die Stechpalme ist eine Baumart, die derzeit in Bayern wenig verbreitet ist und forstwirtschaftlich eine geringe Bedeutung besitzt. Aufgrund sich ändernder Umweltbedingungen wird sich ihr potenzielles Verbreitungsgebiet auch in Bayern im laufenden Jahrhundert erweitern. Auch zukünftig wird ihr Wert eher in der ökologischen Bereicherung zu sehen sein. Forstwirtschaftlich wird ihre Bedeutung kaum wachsen. Im Klimawandel gilt es für die Stechpalme wie für viele andere Baumarten auch, das Ausbreitungsverhalten kritisch zu beobachten und je nach Zielsetzung ggf. waldbaulich steuernd einzugreifen.
Natürliches Vorkommen, Standortsansprüche und Lichtökologie
Was zeigen uns aktuelle Daten zu Vorkommen und Leistung
Stammumfang [m] gemessen zwischen 130 cm und 150 cm über Boden | Höhe [m] | Alter [Jahre] | |
---|---|---|---|
international | 3,10 m Istisighe, Talana Italien | 25,20 m Canon Wood Vereinigtes Königreich | 621 a (+/– 100 a) Arroyo de Mondigo, Chano Spanien |
national (Deutschland) | 2,15 m Haus Rietbroek, Elten | 21,80 m Neuer Tiergarten Kleve | 181 a Hauptstraße, Trösel |
»Laurophyllisierung« und Photosynthesevorteil
Abb. 2: Klimahülle für die Stechpalme in Europa (Klima 1971– 2000) mit Umrissen Bayern (pet-rol Klima 1971– 2000, orange +1,8 °C und violett +3,2 °C).Daten aus Forstinventuren (Mauri et al. 2017) und GBIF (GBIF 2021) (© LWF)
Laurohylle Arten besitzen im Gegensatz zu laubabwerfenden Baumarten den großen Vorteil, dass sie bereits mit Assimilationsprozessen beginnen können, wenn andere Arten noch mit dem Aufbau der Assimilationsorgane (Laubaustrieb bzw. Laubentfaltung) beschäftigt sind. Wachendorf et al. (2019) sowie Veste und Kriebitzsch (2019) haben Fragestellungen in diesem Zusammenhang näher untersucht. Letztere kommen zu dem Ergebnis, dass Wintertemperaturen und hier insbesondere Frost das Verbreitungsgebiet der Stechpalme in Mitteleuropa beschränken. Bei der Untersuchung des Photosyntheseverhaltens in Gewächshäusern ermittelten sie, dass es der Stechpalme gelang ihre Photosynthese bei geeigneten Wintertemperaturen aufrecht zu erhalten und aufgrund der vorhandenen Laubmasse flexibel auf frostfreie Tage zu reagieren. »Damit profitiert die Stechpalme während milder Tage im Winter und Frühjahr von den im Vergleich zu den Sommermonaten hohem Lichtgenuss im Unterwuchs, wenn die sommergrünen Bäume in der Baumschicht unbelaubt sind.«
Abb. 3: Boxplots für die Stechpalme in Europa (Klima 1971– 2000) für drei Klimaparameter (© LWF)
Differenziert betrachtet wird diese aufgrund der relativ hohen Niederschläge und der günstiger werdenden Temperaturen v. a. in Südbayern gegeben sein und sich vor allem auf den Voralpenraum erstrecken (Abbildung 4). Mildere Winter und ggf. trockenere Sommer dürften dabei weniger limitierend sein als zu heiße Sommer in Zukunft (Abbildung 3).
Zusammenfassend lässt sich für die Stechpalme an dieser Stelle festhalten, dass die immergrüne Stechpalme aufgrund des Klimawandels als laurophyllisierende Baumart auch in Bayern zukünftig bessere Lebensbedingungen sowie voraussichtlich eine Arealerweiterung erfahren wird, zu heiße Sommer könnten ein Gegengewicht sein.
Probleme »für« und »durch« die Stechpalme in Wäldern
Abb. 4: Vorkommen der Stechpalme in Bayern. Die violetten Quadrate symbolisieren Aufnahmedaten nach 1983 und sind als sehr vertrauenswürdig anzusehen. Zu erkennen sind die Verbreitungsschwerpunkte von Ilex aquifolium in Südbayern am nördlichen Alpenrand. (nach www.bayernflora.de) (© LWF)
Betrachtet man das rezente Ausbreitungsgeschehen, so finden sich zahlreiche Quellen, die darauf hinweisen, dass sich die Stechpalme verstärkt ausbreitet (z. B. Schulte, 2009). Auf der Grundlage des Schweizer Forstinventars wird von einer Verdoppelung der Stammzahlen zwischen Forstinventar 1 und Forstinventar 2 berichtet. In Nordamerika wird das Ausbreitungsverhalten sowie die Einwanderung in Waldbestände seit längerem als kritisch betrachtet, was ihr dort den Status als invasive Baumart einbringt (Smith, 2013; Church, 2016). Auf Bestandesebene wird hierzulande aus unbewirtschafteten Naturwaldparzellen in NordrheinWestfalen berichtet, dass insbesondere in ehemaligen Mittel und Niederwäldern, in denen neben der Buche auch die Eiche am Bestandesaufbau beteiligt ist, die Stechplame häufig einen dichten und hochwüchsigen Unterstand bildet. »Die Zunahme der Stechpalme in den Naturwaldzellen Steinsieperhöh und Meersiepenkopf zeigt, dass sich das schattentolerante Gehölz auch dann auszubreiten vermag, wenn sich nach Aufgabe der Bewirtschaftung aufgrund der zunehmenden Verdrängung der Traubeneiche aus dem Altbestand die Strahlungsverhältnisse am Waldboden verschlechtern. Auch im dicht geschlossenen Buchenbestand bleibt sie Konkurrenzfähig. (Naturwaldzelle Meersiepenkopf, Kernfläche ohne Zaun). Dabei kommt ihr die Fähigkeit zur intensiven vegetativen Vermehrung durch Bewurzelung und Ausschlag am Boden liegender Zweige sowie der Verbissschutz durch seine stacheligen Hartlaubblätter zugute. In beiden Naturwaldzellen sind in den ungezäunten Kernflächen seit der Erstaufnahme zahlreiche Exemplare in die Strauchschicht eingewachsen.« (Asche et al., 2014).
Konsequenzen aus den ökologischen Artansprüchen für die Zukunft der Baumart im Klimawandel
Summary
Literatur
- Asche, N., Scheible, A, Schulte, U., 2014: Alternativen im Klimawandel? Baumarten aus anderen biogeografischen Regionen – Standorts- und vegetationskundliche Grundlagen des Anbaus. (unveröffentlichte) Zusammenstellung des Landesbetriebs Wald und Holz Nordrhein-Westfalen anlässlich der Jahrestagung der AFSV in Nordrhein-Westfalen vom 15.-17. Oktober 2014, 72 S., URL: https://www.afsv.de/download/literatur/AFSV_2014_Exkursion_1.pdf
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