Nicolas Cybulska, Klaus Hackländer und Stéphanie Schai-Braun
Der Feldhase in der Kulturlandschaft – LWF aktuell 129

Wissenschaftler nehmen den Feldhasen und die Ursachen seines Rückganges ins Visier

Heute ist der Feldhase (Lepus europaeus) eine der Charakterarten unserer Agrarlandschaft. Ursprünglich stammt er jedoch aus den Grassteppen Eurasiens, in denen er mit Dichten von zwei Individuen/100ha vergleichsweise selten anzutreffen ist. Erst durch die Rodungstätigkeiten des Menschen und der Öffnung der Landschaft entstand ein idealer neuer Lebensraum für den eigentlichen Steppenbewohner.
Als Kulturfolger breitete sich der Feldhase in Europa erfolgreich mit Dichten von mancherorts bis zu 160 oder mehr Hasen/100ha aus. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Besätze jedoch rückläufig, was ebenfalls in Zusammenhang mit menschlich bedingten Lebensraumveränderungen zu sehen ist.

Rückgangsursachen

Ein Feldhase sitzt auf einem gemähten FeldZoombild vorhanden

Abb. 1: In der modernen Kulturlandschaft hat es der Feldhase nicht leicht. (Foto: N. Cybulska)

Aus einer Metaanalyse, welche 77 Veröffentlichungen aus zwölf europäischen Ländern vergleicht, geht hervor, dass die Hauptursache für den Rückgang in der Intensivierung der Landwirtschaft zu sehen ist (Smith et al. 2005). Der Bezug zwischen den Rückgangsursachen und den Folgen der Intensivierung der Landwirtschaft wurde jedoch bis heute nur teilweise aufgedeckt.

Allgemein wird die Dichte einer Feldhasenpopulation von mehreren Faktoren und deren Wechselwirkungen bestimmt. Zörner (1996) gibt hierfür das Klima, den Standort, Krankheiten, Feinde und den menschlichen Einfluss (Landwirtschaft, Straßenverkehr und Jagd) an. Ein länger anhaltender starker Rückgang müsste allerdings durch eine verringerte Fruchtbarkeit und/oder erhöhte Sterblichkeit hervorgerufen werden.

Verringerte Fruchtbarkeit

Balkendiagramm mit zwei niedrigeren roten Balken und zwei höheren grünenZoombild vorhanden

Abb. 2: Mittlere Überlebensrate von Junghasen bis zur Herbstjagd in vier Untersuchungsgebieten in Niederösterreich. (Grafik: LWF)

Untersuchungen von Gebärmutternarben als Indikator der Fruchtbarkeit von Häsinnen stellten keinen Unterschied in der Geburtenrate zwischen Gebieten mit hohen und niedrigen Dichten fest (Hackländer et al. 2001).
In Gebieten mit geringeren Dichten ist jedoch der Anteil der Junghasen der im Herbst erlegten Tiere niedriger (Abbildung 2). Der Grund für die unterschiedlichen Dichten scheint daher also eher eine erhöhte Sterblichkeit der Junghasen als eine verringerte Fruchtbarkeit der Häsinnen zu sein.

Verringerte Überlebensrate

Diagramm das den Zusammenhang von Frühjahrsdichte und Überlebensrate zeigtZoombild vorhanden

Abb. 3: (a) Frühjahrsdichte und (b) Überlebensrate von Junghasen bis zur herbstlichen Jagd in Abhängigkeit vom Brachflächenanteil. Die jeweils statistisch signifikaten linearen Zusammenhänge (α < 0,05) der Variablen wird durch eine Regressionsgerade dargestellt. (Grafik: LWF)

Die Überlebensrate der Jungtiere steuert entscheidend die Populationsdichte der Feldhasen (Marboutin et al. 2003). Eine dänische Studie verweist auf eine hohe Sterblichkeit von Junghasen (68,0 – 80,6 %) bis zur herbstlichen Jagdzeit und einen Zusammenhang zwischen den Methoden der modernen Landwirtschaft und einem Mangel an geeigneten Nahrungsquellen (Hansen 1992). Pépin (1989) fand bei seinen Untersuchungen im Pariser Becken heraus, dass es Abweichungen im Überleben von Junghasen durch unterschiedliche landwirtschaftliche Anbaumethoden gibt.

Analysen von Mageninhalten zeigen, dass Hasen bei der Nahrungsaufnahme stark selektieren (Reichlin et al. 2006), speziell auf Pflanzen mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren und Rohprotein (Schai-Braun et al. 2015). Diese energiereiche Nahrung spielt bei der Versorgung und Entwicklung der Junghasen eine entscheidende Rolle. Häsinnen, denen Nahrung mit einem hohen Fettgehalt zur Verfügung steht, können nicht nur mehr Milch pro Jungtier produzieren, sondern auch energiereichere Milch (Hackländer et al. 2002b).

Basierend auf der Reproduktions-Strategie, bei welcher die Junghasen ungeschützt vor Umweltbedingungen nahezu das ganze Jahr über frei abgesetzt werden, ist eine hohe Energiezufuhr durch die Milch für das Durchkommen entscheidend (Hackländer et al. 2002a). Moderne intensiv bewirtschaftete Agrarlandschaften weisen jedoch vielerorts eine reduzierte Pflanzenvielfalt auf, welche eine nahrungsbedingte Veränderung der Laktationsleistung und eine daraus resultierende verringerte Überlebensrate der Junghasen begünstigen.

Intensivierung der Landwirtschaft

Getreidefeld nach der ErnteZoombild vorhanden

Abb. 4: Weite, offene Agrarlandschaften bieten zu wenig geeignete Feldhasen-Habitate. (Foto: Naturschutzfonds Wetterau e.V.)

Flächen brach lag, verschwand und mit ihr viele extensive Strukturen. Die in den 1960er Jahren folgende Flurbereinigung verringerte abermals den verbleibenden Anteil. Gerade nicht bewirtschaftete Flächen wie Hecken, Ackerrandstreifen und besonders Brachen stellen für den Feldhasen bevorzugte Lebensräume dar. Diese bieten Deckung, energiereiche Äsung und wertvollen Rückzugsraum, wodurch zum Beispiel Verluste durch landwirtschaftliche Bewirtschaftungsmaßnahmen verringert werden können.

Darüber hinaus wird der Effekt von Witterungsbedingungen und Beutegreifern durch den Verlust von Deckung und Äsung verstärkt. Wie wichtig diese Strukturen sind, unterstreicht eine niederösterreichische Untersuchung, bei welcher die Feldhasendichte positiv mit dem Brachflächenanteil korreliert (Abbildung 3a). Auch die Überlebensrate von Junghasen wird positiv von dem Brachflächenanteil beeinflusst (Abbildung 3b; Schai-Braun et al. 2020).

Weitere Begleiterscheinungen der Intensivierung sind die Vergrößerung von Bewirtschaftungseinheiten, eine schnellere Bearbeitung und monotone Fruchtfolgen. So kann angenommen werden, dass Ernteprozesse in einer modernen Agrarlandschaft zu einer Lebensraumveränderung innerhalb einer kurzen Zeit führen und dadurch die Raumnutzung von Feldhasen merklich beeinflussen.

Verbleibende geeignete Lebensräume sind häufig weiter voneinander entfernt, was zu einem erhöhten Energieaufwand führen kann. Spezielle Untersuchungen zeigen, dass die Getreideernte zu einer signifikanten Vergrößerung der wöchentlichen Streifgebiete führt (Schai-Braun et al. 2014). Die verbliebenen und damit bevorzugt genutzten Habitate dienen darüber hinaus möglicherweise als Anziehungspunkt für eine Vielzahl von Feldhasen mit dem potenziellen Risiko von sozialem Stress und einem erhöhten Prädationsrisiko.

Bedeuten Erntevorgänge Stress?

Punktediagramm das den Einfluss des Stoppelanteils zeigtZoombild vorhanden

Abb. 5: Einfluss des Stoppelfeldanteiles innerhalb der Feldhasen-Streifgebiete auf die fGCM-Konzentrationen während der Wintergetreideernte. Die Regressionsgerade ist statistisch signifikant (α < 0,05) und beruht auf linearen gemischten Modellen. (Grafik: LWF)

Um zu überprüfen, ob und gegebenenfalls welchen Einfluss Erntevorgänge auf die Gesundheit von Feldhasen haben, wurden in einer weiteren Studie die Glukokortikoid-Metaboliten im Kot (fGCM) gemessen. Diese Metaboliten ermöglichen eine Bewertung des Stressniveaus der Feldhasen. Ausgewertet wurde dabei auch unter anderem, ob das Vorhandensein von durch die Ernte unbeeinflussten Habitaten, wie zum Beispiel Brachen, einen möglichen negativen Effekt abschwächen.

Mit einem zunehmenden Anteil an Stoppelfeldern im Streifgebiet wurden höhere fGCM-Konzentrationen bei den Hasen gefunden (Abbildung 5). Eine allgemeine Erhöhung der fGCM-Konzentrationen durch die Wintergetreideernte im Untersuchungsgebiet blieb jedoch aus. Die Ergebnisse werden dahingehend interpretiert, dass Erntevorgänge in einer klein strukturierten Landschaft wie dem Untersuchungsgebiet, wo viele extensive Strukturen wie Brachen und Hecken weiterhin zur Verfügung stehen, keinen Stress bei Feldhasen erzeugen (Cybulska et al. 2020).

Jedoch kann durch diese Studie nicht ausgeschlossen werden, dass bei größeren Bewirtschaftungseinheiten und einem geringeren Anteil an extensiven Strukturen die Ernte zu einer Erhöhung des Stressniveaus führen kann. Hierfür wären weitergehende Studien notwendig.
Fördermöglichkeiten in Bayern
In den letzten Jahren wurden in Bayern zur Förderung der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft verschiedene Maßnahmen ergriffen. Hier wäre zum Beispiel das Projekt zur Wildlebensraumberatung, bei welchem gemeinsam mit Landwirten und Jägern Lebensraumverbesserungen zur Erhöhung der Strukturvielfalt umgesetzt werden, zu erwähnen. Als wichtige Werkzeuge sind Agrarumweltmaßnahmen in Form des Bayerischen Kulturlandschaftsprogrammes (KULAP), das Vertragsnaturschutzprogramm (VNP) und das Greening zu nennen.

Positive Beispiele, bei denen durch das Engagement von zum Beispiel Landwirten, Jägern, Imkern und Naturschützern Akzente gesetzt werden, können so gefördert werden und dazu beitragen, dass sich die Bestände von wichtigen Tierarten der Feldflur lokal erholen. Für den Erfolg bezüglich des Feldhasen wird es aber entscheidend darauf ankommen, dass die besondere Lebensweise und die speziellen Lebensraumansprüche der Feldhasen dabei entsprechend berücksichtigt werden. Untersuchungen, wie sich die getroffenen Agrarumweltmaßnahmen auf die Bestandesentwicklung der Feldhasen in Bayern auswirken, fehlen aber noch.

Zusammenfassung

Ein Feldhase duckt sich in einem SojafeldZoombild vorhanden

Abb. 6: Habitate mit einer energiereichen Äsung sind für den Feldhasen in der modernen Kulturlandschaft entscheidend. (Foto: N. Cybulska)

Die durch den Menschen über Jahrhunderte in Europa geschaffenen vielfältigen und strukturreichen Kulturlandschaften boten dem Feldhasen über lange Zeit sehr günstige Lebensbedingungen. Die Populationsdichten lagen sogar deutlich über denen seines ürsprünglichen Verbreitungsgebietes, den Grassteppen Eurasiens.

Durch den intensiven Wandel der Kulturlandschaften während der letzten Jahrzehnte haben sich allerdings auch die Lebensraumbedingungen für den Feldhasen grundlegend verändert und sind nach den bisherigen Erkenntnissen als der Hauptfaktor für den Rückgang der Populationen anzusehen.

Neben dem Verlust zentraler Habitatstrukturen tragen insbesondere auch Veränderungen in der Bewirtschaftungsweise und -intensität ganz entscheidend zu dem Rückgang bei. Inwieweit die verschiedenen, bisher ergriffenen Agrarumweltmaßnahmen der letzten Jahre zu einer Erholung der Feldhasenbestände beitragen können, sollte entsprechend wissenschaftlich begleitet werden.
Literatur
  • Cybulska, N.; Hackländer, K.; Palme, R.; Frey-Roos, A.; Schai-Braun, S. C. (2020): Influence of cereal harvest on adrenocortical activity in Europeanhares (Lepus europaeus). European Journal of Wildlife Research 66:95
  • Hackländer, K.; Frisch, C.; Klansek, E.; Steineck, T.; Ruf, T. (2001): Die Fruchtbarkeit weiblicher Feldhasen (Lepus europaeus) aus Revieren mit unterschiedlicher Populationsdichte. Zeitschrift für Jagdwissenschaft 47, S. 100–110
  • Hackländer, K.; Arnold, W.; Ruf, T. (2002a): Postnatal development and thermoregulation in the precocial European hare (Lepus europaeus). Journal of Comparative Physiology B 172, S. 183–190
  • Hackländer, K.; Tataruch, F.; Ruf, T. (2002b): The effect of dietary fat content on lactation energetics in the European hare (Lepus europaeus). Physiological and Biochemical Zoology 75, S. 19–28
  • Hansen, K. (1992): Reproduction in European hare in a Danish farmland. Acta Theriologica 37, S. 27–40
  • Marboutin, E.; Bray, Y.; Péroux, R.; Mauvy, B.; Lartiges, A. (2003): Population dynamics in European hare: breeding parameters and sustainable harvest rates. Journal of Applied Ecology 40, S. 580–591
  • Pépin, D. (1989): Variation in survival of brown hare (Lepus europaeus) leverets from different farmland areas in the Paris Basin. Journal of Applied Ecology 1, S. 13–23
  • Reichlin, T.; Klansek, E.; Hackländer, K. (2006): Diet selection by hares (Lepus europaeus) in arable land and its implications for habitat management. European Journal of Wildlife Research 52, S. 109–118
  • Schai-Braun, S. C.; Hackländer, K. (2014): Home range use by the European hare (Lepus europaeus) in a structurally diverse agricultural landscape analysed at a fine temporal scale. Acta Theriologica 59, S. 277–287
  • Schai-Braun, S. C.; Peneder, S.; Frey-Roos, F.; Hackländer, K. (2014): The influence of cereal harvest on the home-range use of the European hare (Lepus europaeus). Mammalia 78, S. 497–506
  • Schai-Braun, S. C.; Reichlin, T. S.; Ruf, T.; Klansek, E.; Tataruch, F.; Arnold, W.; Hackländer, K. (2015): The European hare (Lepus europaeus): a picky herbivore searching for plant parts rich in fat. PLoS ONE, 10: e0134278
  • Schai-Braun, S. C.; Ruf, T.; Klansek, E.; Arnold, W.; Hackländer, K. (2020): Positive effects of set-asides on European hare (Lepus europaeus) populations: Leverets benefit from an enhanced survival rate. Biological Conservation 244, S. 108518
  • Smith, R. K.; Jennings, N. V.; Harris, S. (2005): A quantitative analysis of the abundance and demography of European hares Lepus europaeus in relation to habitat type, intensity of agriculture and climate. Mammal Review 35, S. 1–24
  • Zörner, H. (1996): Der Feldhase. 2. unveränderte Auflage, Nachdruck. Westarp Wissenschaften, Magdeburg, 172 S.

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