Alexander Rumpel, Volker Binner, Mirjam Gindele-Glasl und Jörg Müller
Neue Impulse für den Waldnaturschutz - LWF-aktuell 130
Förderung für Privat- und Kommunalwaldbesitzer wird weiter flexibilisiert und an den aktuellsten waldökologischen Erkenntnissen ausgerichtet
Im Januar 2021 ist das neue Bayerische Vertragsnaturschutzprogramm Wald (VNP Wald) in Kraft getreten. Es richtet sich an die privaten und kommunalen Waldbesitzer Bayerns. Die »aktualisierte« Richtlinie greift unter anderem neues Wissen rund um Wald- und Störungsökologie und die Totholzforschung auf. Ziel ist auch, die Waldflächen für den Vertragsnaturschutz deutlich zu steigern. Die notwendigen Haushaltmittel für den Waldnaturschutz stehen bereit.
Abb. 1: Aufgeklappter Wurzelteller – neu im Förderkatalog des VNP-Wald aufgenommen. Ist das Erdreich größtenteils aus dem Wurzelteller ausgespült, dann ist das freigelegte Wurzelwerk ein wertvoller Kleinlebensraum. (Foto: M. Mößnang)
Auch im Rahmen des Volksbegehrens »Rettet die Bienen« und dem begleitenden Versöhnungsgesetz wurde dieser kooperative Ansatz mit den Waldbesitzern gestärkt. In der Begründung zum Begleitgesetz wurde das Ziel formuliert, den Vertragsnaturschutz im Wald bayernweit auf sechs Prozent der Fläche des Privat- und Körperschaftswaldes auszudehnen. Das entspricht rund 100.000 Hektar. Derzeit werden in etwa zwei Prozent der Fläche des Privat- und Körperschaftswald über das Vertragsnaturschutzprogramm Wald gefördert.
Um diese Zielsetzung gerecht zu werden, wurde die VNP Wald-Richtlinie überarbeitet und trat zu Beginn diesen Jahres in Kraft. Um die Waldbesitzer bei der Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen im Wald noch besser unterstützen zu können, wurden die Fördersätze neu kalkuliert und in vielen Fällen erhöht, die ökologisch wertvollen Flächen, in denen das Programm zum Einsatz kommen kann, überarbeitet und erweitert sowie die Umsetzung weiter flexibilisiert.
Darüber hinaus wurden zielgerichtet neue Fördermaßnahmen ergänzt, bei deren Konzeption aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur ökologischen Funktion von Störungsereignissen und Totholz in mitteleuropäischen Wäldern aufgegriffen wurden.
Biodiversität in Wäldern und Handlungsbedarf
Obwohl vom Artenschwund vor allem landwirtschaftliche Flächen betroffen sind und Wälder als vergleichsweise naturnahe Lebensräume mit vielfach stabilen oder sogar zunehmenden Anteilen an waldassozierten Lebensgemeinschaften eingestuft werden, konnte regional und lokal auch in Wäldern ein Rückgang der Arten nachgewiesen werden (Roth et al. 2021).
Die Ursachen für diesen Trend sind zum Teil noch nicht vollständig geklärt und teilweise wohl auch auf Übertragungseffekten aus der umliegenden Landnutzung zurückzuführen. Auch die Bundeswaldinventur zeigt grundsätzlich eine erfreuliche Zunahme von Totholzmengen, Laubholzanteilen und Beständen über 100 Jahre in den Wäldern Bayerns auf.
Totholz – Hotspot der Biodiversität
Abb. 2: Kommen mindestens fünf Biotopbäume oder stehendes Totholz konzentriert in einem Altbestand vor, ist eine Förderung als Altholzinsel möglich. (Foto: A. Rumpel)
Diese Vielfalt spiegelt sich in den unterschiedlichen Baumarten, Zersetzungsstadien und Dimensionen wider, aber auch in den vorzufindenden Makro- und Mikroklimaten und vieles mehr. Gerade bei starkem, stehendem oder besonntem Laubtotholz ist nach entsprechenden Erkenntnissen der Wissenschaft vielfach noch eine Mehrung anzustreben.
Darüber hinaus lassen sich auch regionale Unterschiede in der Totholzausstattung erkennen. Insbesondere in laubholzdominierten Wälder der tieferen Lagen sind Chancen für eine Anreicherung von Totholz weiter konsequent zu nutzen. Neben der Bedeutung der Alters- und Zerfallsphasen in reifen Wälder sind insbesondere frühe Sukzessionsphasen sehr artenreich, weshalb auch das Potenzial von natürlichen Störungsflächen (wie z. B. Windwurfflächen) und ihrer Totholzvielfalt gezielt für Wald-Naturschutzmaßnahmen genutzt werden sollte.
Da die mitteleuropäische Forstwirtschaft multifunktional handelt und die gleichzeitige Erfüllung zahlreicher Waldfunktionen anstrebt, findet bei der konkreten Bewirtschaftung vor Ort im Waldbestand vielfach eine Abwägung zwischen den teils auch konkurrierenden Waldfunktionen statt. Angesichts zahlreicher Herausforderungen wie Klimawandel, Holzpreisentwicklung und intensiver Erholungsnutzung der Wälder stehen die Waldbesitzer stark unter Druck.
Um dennoch auch im Privatwald einen ausreichenden Anreiz für eine naturschutzorientierte Bewirtschaftung von Wäldern über die gesetzlichen Anforderungen hinaus zu geben, müssen ausreichend Mittel bereitgestellt werden, um die Leistungen der Waldbesitzer entsprechend honorieren sowie die Biodiversitätsziele im Wald mit effizienten Maßnahmen umsetzen zu können.
Hier wurde das bisherige Maßnahmenangebot im Vertragsnaturschutz anhand der Forschungsergebnisse aus der Totholzforschung bzw. der Störungsökologie erweitert. Neben dem gezielten Management von Waldtypen, die aus historischen Waldnutzungsformen entstanden sind und vielfach hochangepasste Lebensgemeinschaften beherbergen (z. B. Mittelwälder, Flechten-Kiefernwälder), der Pflege von Waldbiotopen, dem Erhalt von Waldbeständen mit ununterbrochener Habitattradition und einer grundsätzlichen Nutzungsvielfalt auf Landschaftsebene (inkl. nutzungsfreien Schutzgebieten, wie Nationalparks und Naturwäldern) kommt dem aktiven Aufbau vielfältiger Wälder im Rahmen der regulären Bewirtschaftung eine zentrale Rolle im praktischen Waldnaturschutz zu.
Die neue Förderrichtlinie zum Vertragsnaturschutzprogramm Wald bietet dem interessierten Waldbesitzer ein differenziertes Förderangebot für Biotopbaum und Totholzstrukturen und nutzt dabei erstmals auch das Potenzial natürlich entstandener Störungsflächen. Das Programm bündelt in der Umsetzung die Kompetenzen zweier Verwaltungen: Die fachliche und finanzielle Zuständigkeit für das Förderprogramm liegt bei der Naturschutzverwaltung, während die Abwicklung einschließlich Antragstellung über die Forstverwaltung erfolgt. Zudem hat das Umweltministerium die Mittel für das VNP Wald in den letzten Jahren wesentlich auf aktuell rund 8 Mio. € pro Jahr erhöht.
Neues aus der Forschung: Störungsereignisse …
Während für mitteleuropäische Buchenwirtschaftswälder bis vor kurzem kaum großflächige Störungen bekannt waren, kann in Nadelwäldern durch großflächige Strörungsereignisse oder -kaskaden, wie beispielsweise auf Sturmwürfe folgende Borkenkäferausbrüche, in kurzer Zeit auf großer Fläche die Totholzmenge die lebende Biomasse deutlich übersteigen.
Studien aus den Karpaten-Urwäldern, aber auch Störungsereignisse in Buchenwälder Deutschlands in den letzten Jahren zeigen, dass auch in Laubwäldern flächigere Störungen auftreten können. Dabei entstehen entweder kleinere Öffnungen im Kronendach oder auch großflächige Freiflächen mit großen Totholzmengen und vielfältigen Totholz- und Biotopbaumstrukturen und einem speziellen Mikroklima, die in der Folge jeweils andere Habitatbedingungen für Pflanzen, Tiere und Pilze bieten als der umliegende, weitgehend geschlossene Wald.
… und ihre großflächigen und vielfältigen Folgen
Typisch für die frühe Waldentwicklungsphase ist neben dem hohen Licht- und Wärmeangebot ein vielfach räumlich kleinteiliger und heterogener Wechsel von verjüngungs- und strauchreicheren Partien, kraut- und blütenreichen Ruderalflächen, Bodenblößen und – sofern nicht geräumt – liegendem und stehendem Totholz sowie weitgehend freistehenden Restbestände in besonnter Lage.
Über die Wiederbewaldung mit Pionierbaumarten, die als kurzlebige Baumarten oft sehr schnell Biotopbaummerkmale entwickeln, gleichzeitig aber von geringem wirtschaftlichen Interesse für den Waldbesitzer sind, entstehen im Schutz des vorhandenen Totholzes unter günstigen Ausgangsbedingungen Waldbestände mit weitgehend standortheimischer Baumartenzusammensetzung und hoher horizontaler und vertikaler Strukturvielfalt, die sich resilienter gegenüber künftiger Störung oder extremen Wetterbedingungen erweisen.
Totholz-Management: Totholz ist nicht gleich Totholz
Abb. 3: Totholz- und Biotopbaum-Strukturen nach einem Störungsereignis (Sturm) bereichern den Auwald. (Foto: A. Rumpel)
Heute akzentuieren aktuelle Untersuchungen ergänzend zum rein quantitativen Blick zudem stark die Rolle von vielfältigen Totholzstrukturen und -habitaten. Auch wenn mit der Erhöhung der Totholzmenge im Regelfall auch die Totholzdiversität indirekt gefördert wird, sollte bei der laufenden Anreicherung von Totholz gezielt die komplette Bandbreite an Totholznischen mitberücksichtigt werden. Dabei kommt neben der Baumart mit ihren spezifischen holzanatomischen und physisch-chemikalischen Eigenschaften auch dem Grad an Zersetzung, der Dimension und der Vielfalt der mikroklimatischen Verhältnisse eine entscheidende Bedeutung zu. Auch aktiv geschaffenes Totholz, zum Beispiel durch Köpfen bzw. Umschieben mit Harvester oder Ringeln von Bäumen, wurde in eine Förderung integriert.
Wie es möglich ist, auch im Rahmen einer nachhaltigen und pfleglichen Waldbewirtschaftung insbesondere an Totholz gebundene Lebensgemeinschaften gezielt und effizient zu fördern, konnte jüngst auch durch eine umfassende wissenschaftliche Begleitung der Totholzanreicherungsstrategie der Bayerischen Staatsforsten gezeigt werden (Dörfler et al. 2019), was bereits in den Totholzexperimenten gezeigt werden konnte. Von besonders hoher praktischer Bedeutung sind diese Erkenntnisse insbesondere dort, wo noch unmittelbarer Handlungsbedarf besteht, beispielsweise wenn es darum geht, Totholzmengen in Natura 2000-Lebensraumtypen zu erhöhen oder Habitate zu vernetzen.
Schlüsselstruktur Biotopbäume
Je zahlreicher und vielfältiger das Angebot an Baummikrohabitaten ist, desto mehr verschiedene Arten finden im Waldbestand einen geeigneten Lebensraum und desto leichter gelingt diesen Arten die Besiedelung neuer Habitate. Ein besonders großes Potenzial für die Entstehung von Biotopbäumen bieten natürliche Störungen oder auch Verletzungen, die im Rahmen der Waldbewirtschaftung enstehen, wie abgerissene Kronenzwiesel oder Streifschäden. Auch wenn bereits relativ junge Biotopbäume spezifische Habitatfunktionen erfüllen können, steigt dennoch tendenziell die Bedeutung mit dem Alter und der Dimension des Baumes bzw. seltenen Mikrohabitaten (Courbaud et al. 2017).
Um ein ausreichendes und kontinuierliches Angebot an Biotopbäumen in unseren Wäldern zu sichern, ist es wichtig, dass der Waldbesitzer bereits sogenannte Biotopbaumanwärter oder potenzielle Biotopbäume erkennt und bei der Durchforstung belässt. Mit Wuchsformen wie Tief- und Druckzwiesel oder Grobformen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer späteren Verletzung und der Entwicklung von Biotopbaumstrukturen (Mergner & Bussler 2007). Gerade Pionierbaumarten wie Weiden und Pappeln entwickeln früh diese wertvollen Kleinstlebensräume.
In vielen Fällen können diese hier kurz dargestellten fachlichen Empfehlungen einfach und ökonomisch – unterstützt durch das Vertragsnaturschutzprogramm Wald – im Zuge einer Bewirtschaftung umgesetzt werden und die biologischen Vielfalt im Wald weiter stärken. Insbesondere die Integration kleiner Störungsflächen bietet ein hohes Potenzial für effiziente Naturschutzmaßnahmen im bewirtschafteten Wald bei gleichzeitiger Vermeidung der unfallträchtigen Aufarbeitung von Windwürfen. Je nach Ausgangssituation kann der Waldbesitzer zudem eine Förderung von Altholzinseln bzw. die unterschiedlichen Förderoptionen für Totholz, Biotopbäume und Bäume mit hohem Biotopbaumpotenzial abschließen.
- Erhalt und Wiederherstellung von Stockausschlagswäldern
- Erhalt von Biberlebensräumen
- Nutzungsverzicht
- Erhalt von Altholzinseln (Neu)
- Erhalt vielfältiger Biotopbaum-, Totholz- und Lichtwaldstrukturen nach Störungsereignissen (Neu)
- Belassen von Totholz (Neu: ganzer Baum und Baumkrone)
- Erhalt von Biotopbäumen
- Erhalt von Bäumen mit hohem Biotopbaumpotenzial in Natura 2000-Gebieten (Neu)
- Freistellen von Biotopbäumen in Natura 2000-Gebieten (Neu)
Zusammenfassung
Störungen durch Trockenheit, Stürme oder Insektenbefall müssen grundsätzlich als natürliche Ereignisse betrachtet werden, an die die Waldökosysteme evolutionär angepasst sind. Unter ökologisch tragfähigen Wilddichten würde die Wiederbewaldung früher oder später auch ohne menschliches Zutun einsetzen.
Wie schnell und in welche Richtung sich der Wald dabei entwickelt, d. h. mit welchen Baumarten und mit welcher Struktur, hängt von einer Vielzahl von Aspekten ab, die bei der Entscheidung zum Belassen einer Störungsfläche naturschutzfachlich und forstfachlich im transparenten Dialog mit den Waldbesitzenden angesprochen werden müssen.
Literatur
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Weiterführende Informationen
Autoren
- Alexander Rumpel
- Volker Binner
- Mirjam Gindele-Glasl
- Jörg Müller