Vielseitige Wälder für mehr Artenvielfalt - LWF aktuell 134
von Sebastian Kienlein, Jan Leidinger, Anton Fischer, Reinhard Mosandl, Wolfgang W. Weisser
Jede Baumart trägt zur Biodiversität im Wald bei und Naturwaldparzellen fördern Arten, die im Wirtschaftswald seltener werden.
Wälder beherbergen einen großen Teil der biologischen Vielfalt Deutschlands (Schmidt 2015). Vor dem Hintergrund des weltweiten Rückgangs der Biodiversität, verursacht durch menschliche Aktivitäten, ist deshalb die Bewahrung dieser Vielfalt eine wesentliche Aufgabe der Forstwirtschaft.
Bei der Waldbewirtschaftung muss die Holzproduktion mit der Erhaltung der biologischen Vielfalt verbunden werden. Neben den Großschutzgebieten (Nationalparks) soll die biologische Vielfalt in Bayern durch eine integrative Forstwirtschaft sichergestellt werden.
Wesentliche Bausteine der integrativen Waldwirtschaft sind kleinflächige Schutzgebiete (»Naturwaldparzellen«), die in den Wirtschaftswald integriert werden, sowie die Förderung von Mischbaumarten und von biologisch wertvollen Strukturelementen wie Totholz und Mikrohabitaten auf der gesamten Waldfläche. Obgleich diese Strategie weitgehend akzeptiert und umgesetzt wird, haftet ihr doch der Makel an, dass über die Auswirkung der einzelnen Massnahmen auf die Artenvielfalt viel zu wenig bekannt ist. In einem interdisziplinären Projekt mehrerer Professuren der Technischen Universität München (TUM) wurde deshalb der Frage nachgegangen, wie sich Naturwaldparzellen und Mischbaumarten innerhalb der integrativen Waldwirtschaft konkret auf die biologische Vielfalt auswirken.
Der Weg zur Multifunktionalität im Wald
Zoombild vorhanden
Abb. 2: Schematische Darstellung der Beimischungsgradienten im Projekt L057.
Die erste wichtige Entscheidung bei der Waldbewirtschaftung ist die Wahl der Baumart. In Deutschland wäre unter bisherigen Klimabedingungen von Natur aus in weiten Bereichen die Buche dominant, bis hin zu Beständen reiner Buche. Der forstwirtschaftlich aktive Mensch hat lange Zeit vorwiegend auf die Fichte gesetzt, die, in Reinkultur angebaut, den höchsten monetären Ertrag versprach. Allerdings ist die Fichte nicht mehr zukunftsfähig, weil ihr Trockenheit, Stürme und Insektenkalamitäten (z. B. Borkenkäfer) zunehmend zusetzen. Waldbesitzer stehen deshalb vor der schwierigen Frage, welche Baumarten sie unter diesen Vorzeichen wählen sollen. Der zukünftige Wald soll, angepasst an die klimatischen Bedingungen, auch in Zukunft verschiedene Leistungen wie Holzproduktion bereitstellen und gleichzeitig seinen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisten. Daher ist es wichtig zu verstehen, inwieweit sich unterschiedliche Baumartenmischungen im Hinblick auf die biologische Vielfalt unterscheiden. Es geht um die zentrale Frage, ob ein Schutz der natürlichen Biodiversität unserer Wälder mit einer – angepassten – Nutzung realisiert werden kann.
In Naturwaldparzellen innerhalb des Wirtschaftswaldes findet keine wirtschaftliche Nutzung statt, die Waldentwicklung kann also ohne menschliches Zutun ablaufen. Diese Parzellen sind verhältnismäßig klein, deutlich kleiner als Nationalparke. Da sie für den Waldbesitzer eine Nutzungsaufgabe und einen Einkommensverzicht bedeuten, stellt sich die Frage, ob diese Beschränkung der Bewirtschaftung tatsächlich eine Erhöhung der biologischen Vielfalt und damit einen ökologischen Nutzen zur Folge hat.
Darüber hinaus ist die Frage, ob mittels des zentralen forstlichen Regulierungsinstrumentariums – der Baumwartenwahl – nicht eine Kombination von Nutzung und Biodiversitätsschutz auf großer Fläche realisiert werden kann. Hierzu gibt es bisher keine systematisch angelegten Versuche, zumindest nicht in Mitteleuropa.
Beide Fragenkomplexe auf Basis reproduzierbarer wissenschaftlicher Daten zu beantworten und daraus waldbauliche Empfehlungen zur Verbindung von Nutzung einerseits und Biodiversitätsschutz andererseits in Wäldern abzuleiten, war die Aufgabenstellung eines interdisziplinären Forschungsprojekts in Bayern.
Die integrative Waldwirtschaft auf dem Prüfstand
Zoombild vorhanden
Abb. 3: Untersuchungsfläche: Buchen-Kiefernbestand im Winter (© S. Kienlein)
Im nördlichen Steigerwald, genauer gesagt im Forstbetrieb Ebrach der Bayerischen Staatsforsten (BaySF), wurde ein geeignetes Untersuchungsgebiet gefunden, um die Auswirkungen von Naturwaldparzellen und Baumartenmischungen auf die biologische Vielfalt zu untersuchen. Aufgrund einer langen Bewirtschaftungstradition finden sich hier Buchen-Reinbestände neben verschiedenen Buchen-Mischbeständen. Die Anteile der auch natürlich beigemischten Eiche wurden durch forstliche Tätigkeit erhöht, Kiefer, Fichte und Douglasie waren in der Vergangenheit an anderer Stelle künstlich eingebracht worden. Zudem wurden hier relativ früh Naturwaldresevate ausgewiesen, und es wurde auf großer Fläche mit dem Fokus auf die Förderung der biologischen Vielfalt gewirtschaftet. So wurde der Betrieb zu einer wesentlichen Keimzelle des BaySF-Naturschutzkonzeptes, einem Vorzeigebetrieb für die integrative Forstwirtschaft und zu einem idealen Forschungsobjekt.
Der Untersuchung liegen zwei zentrale Forschungsfragen zu Grunde:
- Welchen Beitrag leisten Naturwaldparzellen zur biologischen Vielfalt?
- Welchen Effekt hat die Beimischung von Eiche/Fichte/Kiefer auf die Artenvielfalt in bewirtschafteten Buchenbeständen?
Zur Klärung dieser Fragen wurden anhand eines auf Inventurdaten basierenden Kriterienkatalogs (Leidinger et al. 2020) und zahlreichen Ortsbesichtigungen 66 Untersuchungsflächen mit jeweils 0,36 ha (60 m x 60 m) ausgewählt (Abbildung 1): zehn Flächen mit reiner Buche, zehn Flächen in Buchen-Eichen-Beständen mit Eichenanteilen von 10 bis 90 % und nach gleichem Muster Flächen in Buchen-Mischbeständen mit Kiefer, Fichte und Douglasie. Bei der Douglasie konnten allerdings nur sechs Flächen gefunden werden, die weitere Auswahlkriterien wie zulässige maximale Hangneigung und ein Mindest-Bestandesalter erfüllten. Hinzu kommen jeweils zehn Flächen mit reiner Buche und in Buchen-Eichen-Mischbeständen verteilt über vier verschiedene Naturwaldreservate, die zum Zeitpunkt der Feldaufnahmen seit 6 bis 38 Jahren aus der Nutzung genommen waren (Abbildung 2).
Naturwaldparzellen als Orte erhöhter biologischer Vielfalt
Beim Vergleich von Wirtschaftswald- und Naturwaldparzellen war die Artenzahl bei Vögeln (Abundanz) und Fledermäusen (Aktivität und Artenzahlen) auf den unbewirtschafteten Flächen höher, während sie bei Pflanzen und Käfern im Wirtschaftswald höher lag; Pilze zeigten keine signifikanten Unterschiede (Abbildung 4). Die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften unterschied sich zwischen den Naturwaldparzellen und den bewirtschafteten Flächen für Pflanzen, holzzersetzende Pilze, Käfer und Vögel. Die Naturwaldparzellen wiesen 17 Indikatorarten für unbewirtschaftete Wälder auf, davon drei Rote-Liste-Arten, der Wirtschaftwald 34 für bewirtschaftete Wälder, inklusive einer Rote-Liste-Art. Gängige Biodiversitätsindikatoren zeigten Unterschiede zwischen bewirtschafteten und unbewirtschafteten Beständen – sowohl für reine Buchen-, als auch für Buchen-Eichen-Mischbestände.
Unsere Ergebnisse zeigen damit, dass Naturwaldparzellen und artenschutzorientiert bewirtschaftete Wälder unterschiedliche Artengemeinschaften beherbergen und sich deshalb ergänzen. Höhere Zahlen von Pflanzen und Käfern gingen mit mehr Licht in bewirtschafteten Beständen einher. Die »Naturwälder« in unserer Untersuchung befanden sich größtenteils in der Optimalphase mit hohen Schlussgraden und wenig Totholz, ausgeprägte Effekte auf die Artenvielfalt sind hier mit zunehmendem Alter und durch natürliche Störungen zu erwarten.
Die Mischung macht’s
Zoombild vorhanden
Abb. 5: Unterschiede zwischen reinen Buchenbeständen sowie Beständen mit Buche und je einer weiteren beigemischten Baumart
Auf Bestandesebene spielte der Mischungsanteil vor allem bei Eiche und Kiefer eine Rolle. Zunehmende Eichenanteile wirkten sich positiv auf Vögel, Wanzen und pflanzenfressende Käfer aus (Abbildung 5). Zunehmende Anteile der Kiefer beinflussten Wanzen und Bodenvegetation positiv, räuberische Wanzen, Fledermäuse und streuzersetzende Pilze dagegen negativ. Höhere Fichtenanteile förderten Totholzkäfer und Vögel. Auf Landschaftsebene ist die Artenvielfalt von Bodenvegetation, Mykhorrhizapilzen, Streuzersetzern und Käfern in Mischbeständen im Allgemeinen höher.
Die Beimischung von Baumarten veränderte im Vergleich zu reinen Buchenbeständen die Artenzusammensetzung für 6 der 13 untersuchten taxonomischen Gruppen. Indikatorarten wurden in allen Mischungsvarianten gefunden. Sieben Arten kommen nur in Buchen-Reinbeständen vor.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass waldbauliche Entscheidungen hinsichtlich der Baumartenwahl die Biodiversität aller trophischen Ebenen bestimmen. Dabei spielen Effekte der Habitat-Heterogenität sowie der Vergesellschaftung einer Baumart mit anderen Organismen eine Rolle. Selbst geringe Mischungsanteile wirken sich bereits auf die Artenvielfalt und auf die Lebensgemeinschaften in Wäldern aus. Indem einige Arten verschwinden und andere hinzukommen, beeinflusst die Baumartenmischung die Zusammensetzung der örtlichen Lebensgemeinschaft deutlich. Auch reine Buchenbestände beherbergen bestimmte Arten, die in Beständen mit Mischbaumarten nicht vorkommen.
Damit zeigt die Untersuchung den Weg auf, wie zukünftig waldbauliche Entscheidungen von Waldbesitzenden wie Baumartenwahl und örtlicher Nutzungsverzicht auch mit konkreten Auswirkungen auf die Artenvielfalt begründet werden können.
Ausblick
Zoombild vorhanden
Abb. 6: Mikrohabitatstrukturen sind ein Anker der Biodiversität (© S. Kienlein)
Der Erhalt der biologischen Vielfalt in unseren Wäldern ist erst in den letzten Jahrzehnten als wichtige Waldfunktion realisiert worden und in das forstlichen Handeln eingeflossen. Wir konnten zeigen, dass integrative Ansätze der Waldbewirtschaftung helfen, die Biodiversität zu erhöhen.
Konsequente Totholzziele und regelmäßige Eingriffe können in bewirtschafteten Beständen unter anderem für höhere Totholzmengen und mehr Licht als in jungen »Naturwäldern« sorgen, die erst in Jahrzehnten ökologisch wertvolle Zerfallsphasen erreichen. Einige Arten profitieren allerdings auch schon frühzeitig von den stillgelegten Naturwaldparzellen, die einen festen Platz in der integrativen Forstwirtschaft verdienen.
Die Baumartenwahl ist ein mächtiges Werkzeug des Waldbaus auch im Hinblick auf die Biodiversität des Bestandes, da sie sehr stark die Diversität und Zusammensetzung der Waldzönosen beinflusst. Mischungsanteile wirken sich direkt auf die Biodiversität aus und ermöglichen so die zielgerichtete Steuerung der Biodiversität. Kurz: Vielfalt ermöglicht Vielfalt. Nicht vergessen werden darf, dass auch Reinbestände zu dieser Vielfalt gehören. Man sollte also das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Ganz kurz gesagt: Ein vielfältiges und kleinteiliges Mosaik verschiedener Nutzungsintensitäten und unterschiedlichster Baumarten scheint geeignet, ein breites Spektrum der Artenvielfalt zu sichern. Wirtschaftende können die biologische Vielfalt aktiv steuern. Unsere dynamische Umwelt lädt dabei ein, kleinteilig und differenziert ans Werk zu gehen.
Zusammenfassung
Mehrere Professuren der Technischen Universität München untersuchten im Rahmen des interdisziplinären Projekts »Management von Artenvielfalt in der integrativen Waldwirtschaft«, wie sich unbewirtschaftete Naturwaldparzellen und Mischbaumarten innerhalb der integrativen Waldwirtschaft auf die biologische Vielfalt auswirken. Die Ergebnisse zeigen auf, dass das Nebeneinander verschiedener Nutzungsintensitäten und unterschiedlicher Baumarten positive Effekte auf die Biodiversität hat. Unter Berücksichtigung der Erkenntnis »Vielfalt ermöglicht Vielfalt« kann der Waldbewirtschaftende die Artenvielfalt aktiv steuern.
Projekt
Das interdisziplinäre Projekt »Management von Artenvielfalt in der integrativen Waldwirtschaft« (L57) liefert wissenschaftliche Grundlagen für Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Artenvielfalt im Zuge der Bewirtschaftung von Wäldern haben. Das Projekt hatte eine Laufzeit von 1. Februar 2016 bis 31.Januar 2019. Von 1. April 2020 bis 30. September 2021 wurde im Projekt »Skalierung der Effekte von Waldbewirtschaftung auf Biodiversität auf Landschaftsebene« (L60) untersucht, wie sich die gewonnenen Erkenntnisse auf höhere räumliche Skalen extrapolieren lassen. Finanziert wurden die Projekte vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie von den Bayerischen Staatsforsten.
Literatur
Beitrag zum Ausdrucken
Weitere Informationen
Autoren
- Sebastian Kienlein
- Prof. Dr. Wolfgang W. Weisser
- Prof. i.R. Dr. Anton Fischer
- Prof. i.R. Dr. Reinhard Mosandl
- Dr. Jan Leidinger