Olaf Schmidt
Vielfalt unter’m Blätterdach – LWF aktuell 129

Pestwurz-Fluren aus der ökologischer Perspektive

Pestwurzfluren an den Oberläufen unserer Bäche und Flüsse werden oft von Naturfreunden aus Artenschutzgründen gering geschätzt. Man sieht häufig diese eintönigen Pflanzenbestände aus nur einer dominanten Art, der Roten Pestwurz, als nicht besonders schutzwürdig an. Dies ist jedoch ein gravierender Trugschluss.

Bachlauf mit Weiden und PestwurzZoombild vorhanden

Abb. 1: Ausgedehnte Pestwurzbestände vermitteln auf den ersten Blick einen dunklen und wenig attraktiven Lebensraum. (Foto: Vojce)

Die Rote Pestwurz (Petasites hybridus), auch Gewöhnliche oder Bach-Pestwurz genannt, bildet auf sickerfeuchten, nährstoffreichen Schwemmböden in feuchten Talauen oft ausgedehnte reine Bestände, die »Pestwurzfluren« (Abbildung 1). Die Pflanze zählt zu der Familie der Korbblütler (Asteraceae) und erreicht zur Fruchtreife bis zu 120 cm Höhe.

Spektakulär sind aber ihre riesigen, rundlichen Blätter, die Durchmesser von bis zu 70 cm erreichen können und damit die größten Blätter unserer heimischen Flora (Abbildung 2) sind. Die Blütenstände erscheinen März/April und setzen sich aus bis 200 Blütenkörbchen in einer ovalen Traube zusammen. Der Blütenstand kann zur Fruchtzeit bis 100 cm Höhe erreichen. Die rötlich-weißen bis rötlich-violetten Blüten werden von Insektenbestäubt.

Die Pestwurz zählt zu den ersten Frühjahrsblühern. Der Name kommt aus historischen Zeiten, wo die Menschen die Pestwurz als Heilkraut gegen Geschwüre, so auch gegen die Pest, einsetzten. Auf den ersten Blick wirken Pestwurzfluren als natürliche Monokulturen sehr eintönig und aus Artenschutzgesichtspunkten wenig interessant. Erst bei genauer Betrachtung stellen sich vielfältige Beziehungen der Pestwurz zu Tierarten dar.

Pestwurzeule und weitere Schmetterlinge

Ein Mann steht neben dem Pestwurz und fasst ein Blatt anZoombild vorhanden

Abb. 2: Die Pestwurz hat die größten Blätter unserer heimischen Flora. (Foto: Andreas Strandt)

Ein besonderes Insekt ist die seltene, oft auch übersehene, Pestwurzeule (Hydraecia petasites), ein Schmetterling aus der Gruppe der Eulenfalter. Dieser Schmetterling verbringt seine gesamte Raupenzeit endophag im Stängel und im Rhizom der Pestwurz. Im Frühjahr bohrt sich die Raupe, nachdem sie als Ei überwintert hat, in die hohlen Blütenstiele der Pestwurz und frißt diese von oben herab aus. Später geht die Raupe in die Blattstiele und schließlich in das Rhizom der Pestwurz. Im Erdreich um den Wurzelstock findet dann die Verpuppung statt.

Die Falter schlüpfen im Spätsommer und fliegen meist von Ende August bis Mitte September. Ihre unauffällige Lebensweise, aber auch der Rückgang natürlicher Pestwurzfluren durch wasserbauliche Verbauungen, haben dazu geführt, dass die Pestwurzeule selten beobachtet wird und in einigen Regionen als bedroht gilt.

Ebenfalls in Stängeln der Pestwurz frißt die Raupe der Kletteneule (Gortyna flavago), die sich aber auch in anderen Pflanzen wie Kletten, Braunwurz, Wasserdost und Kratzdisteln entwickeln kann.
Ein roter kleiner Schmetterling sitzt an einem PflanzenstengelZoombild vorhanden

Abb. 3: Jabokskrautbär: Falter (Foto: VBrockhaus)

Die Pestwurz ist auch eine Fraßpflanze des Jakobskrautbärs (Tyria jacobaeae), der auch Karmin- oder Blutbär genannt wird (Abbildungen 3 und 4). Der Falter selbst spannt circa 32–45 mm und ist auf den Vorderflügeln schwarz und rot und auf den Hinterflügeln rot gefärbt. Die Raupe ist auffällig schwarz-gelb gefärbt.

Beide Färbungen werden als Warntrachten verstanden, denn durch das Befressen des giftigen Jakobskreuzkrautes nehmen die Raupen die Giftstoffe auf, lagern sie ein und werden so selbst für andere Tiere giftig. Man hat auch versucht, den Blutbär als biologische Bekämpfung gegen das sich ausbreitende Jakobskreuzkraut einzusetzen.

Als Besonderheit ist noch die Pestwurz-Federmotte (Buszkoiana capnodactylus) mit nur ganz wenigen Nachweisen in Bayern an Pestwurz zu erwähnen.

Pestwurz»käfer«

Eine gelb-schwarz gestreifte Raupe sitzt auf gelben BlütenZoombild vorhanden

Abb. 4: Jabokskrautbär: Raupe; (Foto: VBrockhaus)

Häufig ist an Pestwurz im Frühjahr dagegen der Große Pestwurz-Rüssler (Liparus glabrirostris) zu sehen, der oft rittlings auf dem Blattrand der Pestwurz-Blätter hockt und sich bei der kleinsten Erschütterung sofort fallen läßt. Mit bis 20 mm Länge zählt diese Art zu den größten einheimische Rüsselkäferarten. Der Käfer selbst ist tiefschwarz gefärbt und besitzt gelbe Flecken auf den Flügeldecken und am Halsschild (Abbildung 5).

Seine Larven entwickeln sich in den Wurzelstöcken von Pestwurz, aber auch in denen des Bärenklau (Heracleum). Eine sehr ähnliche, etwas kleinere Art ist der Deutsche Trägrüssler oder Kleine Pestwurz-Rüssler Liparus germanus. Beide Arten können durch die Ausprägung des Halsschildes unterschieden werden. Außerdem sind bei L. germanus die Seitenbinden auf Flecken reduziert.

Hohe Luftfeuchte unter Pestwurzblättern – ideal für Schnecken

Ein schwarzer Käfer mit gelben Sprenkeln auf dem Hinterleib sitzt auf einem BlattZoombild vorhanden

Abb. 5: Der Große Pestwurz-Rüssler ist einer unserer größten heimischen Rüsselkäferarten. (Foto: Michael Münch)

Unter den großen Pestwurz-Blättern hält sich die Luftfeuchtigkeit lange, so dass feuchtigkeitsliebenden Arten wie Amphibien und Landschnecken sich hier wohlfühlen. Häufig ist in Pestwurz-Beständen daher die Gefleckte Schnirkelschnecke (Arianta arbustorum) zu finden. Das kugelige, meist kastanienbrauen Gehäuse mit gelben Flecken und einem dunklen Band, kann bis 20 mm Höhe und 28 mm Breite erreichen.

Der Körper der Schnecke ist schwarz. Die Gefleckte Schnirkelschnecke spielt als Konsument der Pestwurzblätter eine nicht zu unterschätzende Rolle. In seiner Diplomarbeit »Produktionsökologische Analyse eines Bestandes der Bach-Pestwurz Petasites hybridus (Asteraceae) in der Lunzer Seeau NÖ« schreibt Traxler (2008, Universität Wien), dass die Gefleckte Schnirkelschnecke eine der wichtigsten Pflanzenfresser an Pestwurz darstellt, die bis in den September circa elf Prozent der Gesamtblattfläche der Pestwurz verzehrte.
Eine Schnecke mit transparantem gelben Haus sitzt auf einem BlattZoombild vorhanden

Abb. 6: Bernsteinschnecke mit Parasit Leucochloridium paradoxum. (Foto: aleoks)

Ebenfalls von der feuchten Umwelt unter Pestwurz-Beständen profitieren auch Bernsteinschnecken (Succinea putris). Sie erreichen etwa eine Gehäusegröße von 10 bis 15 mm, die Schale ist durchscheinend und relativ dünn.

Bernsteinschnecken werden als Zwischenwirt von unter anderem von dem Saugwurm Leucochloridium paradoxum parasitiert. Den Endwirt stellen Vögel dar. Um die Aufmerksamkeit der Vögel zu wecken, schwellen durch die sog. Fühlermaden des Saugwurms die Fühler der Schnecke stark an und beginnen zu pulsieren (Abbildung 6). Vögel fressen dann die Schnecken und im Körper des Vogels pflanzen sich die Parasiten geschlechtlich fort.

Versteckmöglichkeiten für Wasseramseln

An kleineren Bächen, vor allem an Oberläufen in den Mittelgebirgen, können die großen Pestwurzblätter oftmals den ganzen Bachlauf abdecken. Das hat zum Beispiel für die Wasseramsel, die in diesen Lebensräumen gerne vorkommt, eine große Bedeutung. Während der Mauserzeit von Ende Juni bis Anfang September ist die Wasseramsel auf Versteckmöglichkeiten am Ufer angewiesen. Diese können Pestwurzfluren sehr gut erbringen und sollten als ungestörte Rückzugsgebiete unbedingt erhalten werden.

Fazit

Das Beispiel der Pestwurz und ihrer nur auf den ersten Blick eintönigen Bestände zeigt wiederum, dass sich bei genauerer Betrachtung auch bei so häufigen und eher unbeachteten Pflanzen vielfältige Beziehungen zur Tierwelt verbergen. Es gilt, diese ökologischen Beziehungen durch genaues Beobachten in der Natur zu entdecken.

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Weiterführende Informationen

Autor

  • Olaf Schmidt
  • Er leitete bis zum 31. Juli 2020 die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft.