LWF Wissen 88
Mehlbeere & Co.: Vielfalt durch Hybridisierung
von Gregor Aas
Durch Hybridisierung der Mehlbeere (Sorbus aria, Rosaceae) mit Elsbeere (Sorbus torminalis) und Vogelbeere (Sorbus aucuparia) können polyploide Hybridsippen entstehen, die sich ungeschlechtlich (apomiktisch) vermehren. Viele dieser Sippen (Taxa) sind als Kleinarten (Mikrospecies) beschrieben. Kleinarten von Sorbus aria × aucuparia bilden die Sorbus hybrida-Gruppe, die von Sorbus aria × torminalis die Sorbus latifolia-Gruppe. Dargestellt werden die Mechanismen, die zur Diversität der Mehlbeeren und ihrer Hybriden beitragen und einige der in Bayern vorkommenden Taxa. Diskutiert werden die Schwierigkeiten, die komplexe Diversität der Sorbus-Hybridtaxa taxonomisch zu erfassen und im Rahmen von Artenschutzmaßnahmen zu erhalten.
Von der Gattung Sorbus sind in Mitteleuropa einheimisch die Mehlbeere (Sorbus aria), die Vogelbeere (S. aucuparia), die Elsbeere (S. torminalis), die Zwerg-Mehlbeere (S. chamaemespilus) und der Speierling (S. domestica). Diese werden oft als heimische „Hauptarten" der Gattung bezeichnet. Sie sind diploid (2n = 34) und vermehren sich über Samen, die sexuell nach Befruchtung gebildet werden. Daneben gibt es bei uns zahlreiche weitere Sorbus-Sippen (Taxa), viele von ihnen sind auch formal als Arten beschrieben. Wegen abweichender Chromosomenzahl, asexueller Vermehrung und ihrer nur kleinräumigen Verbreitung werden sie als Kleinarten (Mikrospecies) bezeichnet. Viele von ihnen sind seltene Endemiten und stehen deshalb im Fokus des Artenschutzes.
Die Mehlbeere: Zentrale Rolle bei der Entstehung neuer Sorbus-Taxa
Die Gattung Sorbus und insbesondere Sorbus aria, die Mehlbeeren, unterliegen seit der letzten Eiszeit einer dynamischen, evolutiven Entwicklung, die zu einer Diversifizierung geführt hat (Feulner et al. 2017, 2019, Ludwig et al. 2013., Maier 1994). Treibende Kräfte dabei sind die Polyploidisierung (Vervielfachung des Chromosomensatzes), Hybridisierungen zwischen Arten und die Fähigkeit neu entstandener Sippen (Taxa), sich ganz oder teilweise apomiktisch (ungeschlechtlich) zu vermehren. Unter Apomixis (Agamospermie) ist hier die asexuelle Bildung von Samen ohne Befruchtung zu verstehen. So können Nachkommen entstehen, die erbgleich mit der Mutterpflanze sind und zusammen mit ihr einen Klon bilden.
Von zentraler Bedeutung für die Entstehung neuer Taxa ist Sorbus aria. Die Gewöhnliche Mehlbeere ist diploid (2n = 2x = 34). Innerhalb dieser Art sind unabhängig voneinander in verschiedenen Regionen ihres Verbreitungsgebietes durch Verdoppelung des Chromosomensatzes (Autopolyploidisierung) neue Taxa entstanden. Dazu gehören in Bayern die Hügel-Mehlbeere und die Donau-Mehlbeere (siehe Beitrag „Die Mehlbeere (Sorbus aria)" in diesem Heft). Beide sind tetraploid (2n = 4x = 68) und fakultative Apomikten, d. h. sie können sich sowohl sexuell als auch apomiktisch fortpflanzen. Die diploide Gewöhnliche Mehlbeere (Sorbus aria s.str.) und ihre polyploiden Abkömmlinge, u. a. die Hügel- (Sorbus colllina) und die Donau-Mehlbeere (Sorbus danubialis), bilden die Artengruppe Sorbus aria agg..
Mehlbeeren (Sorbus aria agg.) können mit der Vogelbeere und der Elsbeere hybridisieren. Dabei sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden:
- Hybridisiert die Gewöhnliche Mehlbeere mit der Vogel- oder der Elsbeere, so entstehen diploide Hybride. Diese sind phänotypisch mehr oder weniger intermediär zwischen den Elternarten (Abbildung 1, Abbildung 2). Da sie in der Regel sexuell fortpflanzungsfähig sind, können sich Hybriden untereinander paaren, sich aber auch mit Individuen der Eltern rückkreuzen. Durch diesen Prozess der introgressiven Bastardierung entstehen variable Nachkommen, sog. Hybridschwärme, die in ihren Merkmalen mehr oder weniger kontinuierlich zwischen den Eltern stehen.
- Hybridisiert eine tetraploide Sorbus aria (2n = 4x = 68) wie die Hügel- oder die Donau-Mehlbeere mit Els- oder Vogelbeere (2n = 2x = 34), so können triploide Hybriden (2n = 3x = 51) entstehen, wobei zwei Chromosomensätze (2x) von Sorbus aria stammen und ein Satz (1x) vom anderen Elternteil. Diese triploiden Hybriden können auf sexuellem Wege keine Samen bilden, da wegen des ungeradzahligen Chromosomensatzes Unregelmäßigkeiten bei der Meiose (Reduktionsteilung) auftreten. Sie sind aber in der Lage, sich apomiktisch fortzupflanzen. Auf diese Weise können in geeigneten Lebensräumen (siehe hierzu Rudow & Aas 1997) lokal bis regional verbreitet Populationen triploider Sorbus-Hybriden entstehen. Individuen solcher klonaler Populationen sind morphologisch weitgehend einheitlich und bilden, sofern sie sich nur asexuell vermehren, eine Fortpflanzungsgemeinschaft. Damit erfüllen sie die Kriterien, um taxonomisch als Arten bzw. Kleinarten beschrieben zu werden (siehe Hassler et al. 2024).
Abb. 1a: Mehlbeere. (© G. Aas)
Abb. 1b: Bastard-Vogelbeere, Sorbus × pinnatifida (©G. Aas)
Abb. 1c: Vogelbeere. (© G. Aas)
Abbildung 1: Die Bastard-Vogelbeere, Sorbus × pinnatifida (Mitte) ist in der Belaubung intermediär zwischen den Elternarten. Das Blatt der Mehlbeere (links) ist einfach, das der Vogelbeere (rechts) gefiedert. Die Hybriden haben an ihrer Basis mehr oder weniger gefiederte, zur Spitze hin gelappte Blätter. (© G. Aas)
Abb. 2a: Sorbus aria (© G. Aas)
Abb. 2b: Sorbus × decipiens (© G. Aas)
Abb. 2c: S. torminalis (© G. Aas)
Abbildung 2: Die Bastard- oder Täuschende Mehlbeere, Sorbus × decipiens (Mitte). Ihre Blätter sind morphologisch intermediär zwischen den Eltern-Arten Sorbus aria (links) und S. torminalis (rechts). (© G. Aas)
Abb. 3a: Sorbus aria × aucuparia(© G. Aas)
Abb. 3b: Sorbus aria × torminalis(© G. Aas)
Abbildung 3: Unterschied in den Blättern der Kleinarten der Sorbus hybrida-Gruppe (Sorbus aria × aucuparia, links) und der Sorbus latifolia-Gruppe (Sorbus aria × torminalis, rechts). Beide sind am Rand eingeschnitten bis schwach gelappt. Bei Sorbus aria × torminalis sind die Lappen stets spitz, was auf die Elternschaft der Elsbeere zurückgeht, bei denen von Sorbus aria × aucuparia hingegen eher abgerundet. (© G. Aas)
Die meisten dieser Kleinarten sind triploide Apomikten. Morphologisch sind sie oft Sorbus aria viel ähnlicher als Sorbus aucuparia bzw. Sorbus torminalis (Abbildung 3), da zwei Drittel ihres Genoms von Sorbus aria stammen. Daneben existieren aber auch tetraploide Kleinarten. Entstanden sind sie mutmaßlich durch sehr seltene sexuelle Vorgänge triploider Hybriden, bei denen durch Bestäubung unreduzierter Eizellen (2n = 3x = 51) mit haploidem Pollen (1n = 1x = 17) einer anderen Mehlbeere einzelne tetraploide Nachkommen (2n = 4x = 68) gebildet werden. Kann sich solch eine Pflanze ihrerseits apomiktisch vermehren, entsteht eine Population tetraploider Individuen. Meist können sich diese sowohl sexuell als auch ungeschlechtlich vermehren (fakultative Apomikten).
Hybriden und Kleinarten, die auf die Bastardierung gleicher Elternkombinationen zurückgehen, werden zu einer Artengruppe zusammengefasst, die von Sorbus aria × auc uparia zur Sorbus hybrida-Gruppe, die von Sorbus aria × torminalis zur Sorbus latifolia-Gruppe (Hassler et al. 2024). Die in Bayern vorkommenden Sorbus-Kleinarten sind bei Meyer et al. (2005) ausführlich dargestellt. Allerdings sind in den letzten Jahren vor allem in Nordbayern zahlreiche neue Taxa entdeckt und einige davon auch neu als Kleinarten beschrieben worden. Eine gute Übersicht über die nach derzeitigem Kenntnisstand in Bayern und darüber hinaus vorkommenden Sorbus-Taxa findet sich bei Hassler et al. (2024). Im Folgenden können beispielhaft nur einige wenige vorgestellt werden.
Aus Sorbus aria wird Aria edulis: Namensänderungen bei Mehlbeeren und ihren Hybriden
Neuerdings gibt es Bestrebungen, die Taxonomie und wissenschaftliche Nomenklatur von Arten der Gattung Sorbus zu ändern. Da sich dieses neue System noch nicht voll durchgesetzt hat und weitere Änderungen zu erwarten sind, werden in diesem Beitrag das bisherige System und die etablierten Artnamen beibehalten. Wichtige Neuerungen sind (Sennikov et al. 2017, POWO 2024):
• Mehl- und Elsbeere werden jeweils neuen Gattungen zugeordnet. Die Mehlbeere ist demnach Aria edulis, die Elsbeere Torminalis glaberrima. Die Vogelbeere bleibt Sorbus aucuparia.
• Die Hybriden zwischen Mehl- und Vogelbeere (bisher Sorbus hybrida-Gruppe) bilden die neue Gattung Hedlundia. So wird z. B. die bisherige Sorbus mougeotii (Vogesen-Mehlbeere) zu Hedlundia mougeotii.
• Die Hybriden zwischen Mehl- und Elsbeere (bisher Sorbus latifolia-Gruppe) bilden die neue Gattung Karpatiosorbus. So wird z. B. die bisherige Sorbus cordigastensis (Kordigast-Mehlbeere) zu Karpatiosorbus cordigastensis.
Die Sorbus hybrida-Gruppe
Die Bastard-Vogelbeere (Sorbus × pinnatifida, syn. Sorbus × hybrida) ist die Hybride zwischen Sorbus aria und Sorbus aucuparia (Abbildung 1). Sie kommt nur sehr vereinzelt im Süden Deutschlands, in den Alpen, im Alpenvorland, in der Schwäbischen Alb, der Frankenalb und der Rhön vor.
Neben der meist diploiden und sexuell fortpflanzungsfähigen Bastard-Vogelbeere bilden ca. 50 polyploide Kleinarten die Sorbus hybrida-Gruppe. Neun dieser Taxa kommen in Bayern und im angrenzenden Baden-Württemberg vor (Tabelle 1), sechs davon als Endemiten lokal oder regional in der Frankenalb. Dazu zählt die nur an den Hängen des Bärentals in der Nähe von Weismain im oberfränkischen Landkreis Lichtenfels vorkommende Sorbus harziana (Abbildung 4).
Wiss. Name | Trivialname | Verbreitung |
---|
Sorbus gauckleri | Gauckler-Mehlbeere | Frankenalb östl. Nürnberg |
S. harziana | Weismain-Mehlbeere | nördl. Frankenalb südöstl. von Weismain |
S. hohenesteri | Hohenester-Mehlbeere | nordwestl. Frankenalb östl. von Forchheim |
S. pseudothuringiaca | Hersbrucker Mehlbeere | nördl. Frankenalb zwischen Hersbruck und Betzenstein |
S. pulchra | Gößweinsteiner Mehlbeere | Fränkischen Schweiz um Gößweinstein |
S. schwarziana | Schwarz-Mehlbeere | mittlere Frankenalb |
S. lonetalensis | Lonetal-Mehlbeere | östl. Schwäbische Alb |
S. austriaca | Berchtesgadener Mehlbeere | nordöstl. Kalkalpen |
S. mougeotii | Vogesen-Mehlbeere | Allgäuer Alpen (und westl. davon weit verbreitet) |
Tabelle 1: Kleinarten aus der Sorbus hybrida-Gruppe (Sorbus aria × aucuparia) in Bayern und dem angrenzenden Baden-Württemberg. (nach Hassler et al. 2024)
Den sechs triploiden Lokalendemiten in der Frankenalb (Tabelle 1) stehen zwei tetraploide Hybridtaxa in den Alpen mit deutlich größerer Verbreitung gegenüber. Dies trifft insbesondere auf die Vogesen-Mehlbeere, Sorbus mougeotii, zu (Abbildung 5), die in Bayern im Allgäu vorkommt, darüber hinaus im Schwarzwald, in den Vogesen und vom Schweizer Jura bis zu den Pyrenäen.
Abbildung 4: Sorbus harziana, die Weismain- oder Harzsche Mehlbeere. (© G. Aas)
Abbildung 5: Sorbus mougeotii, die Vogesen-Mehlbeere. (© G. Aas)
Die Sorbus latifolia-Gruppe
Bastard- oder Täuschende Mehlbeeren (Sorbus × decipiens, Abbildung 2, Abbildung 7) sind Hybriden zwischen diploider Sorbus aria und Sorbus torminalis. Da die Hybriden sexuell fortpflanzungsfähig sind, können sie sich untereinander, aber auch mit den Elternarten und bevorzugt mit der Mehlbeere paaren. Dadurch entstehen variable Hybridschwärme, darunter häufig auch Rückkreuzungsformen, die der Mehlbeere mehr oder weniger ähnlich sind und leicht mit dieser verwechselt werden können (Feulner et al. 2023).
Zoombild vorhanden
Abb. 6: Verbreitung von Kleinarten der Sorbus latifolia-Gruppe in der Frankenalb.
Sorbus latifolia-Taxa treten vor allem in Gebieten mit Vorkommen polyploider Mehlbeeren auf, z. B. der Hügel-Mehlbeere (Sorbus collina). Sie sind meist tri-, seltener tetraploid. In Europa sind bislang 100 Kleinarten dieser Gruppe mit lokaler oder regionaler Verbreitung beschrieben. 22 (!) dieser Endemiten kommen in Nordbayern und dem angrenzenden Baden-Württemberg vor. Beide Gebiete sind ein Diversitätszentrum dieser Gruppe (Tabelle 2). Abbildung 6 zeigt die Verbreitung diverser Kleinarten in der Frankenalb. Nur wenige der Arten haben ein größeres Areal (sog. Regionalendemiten), wie beispielsweise die Fränkische Mehlbeere (Sorbus franconica), die in der Wiesent- und der Pegnitzalb auf Felskuppen, Traufkanten und an steinigen Steilhängen in größerer Zahl vorkommt (Abbildung 8).
Wiss. Name | Trivialname | Verbreitung |
---|
Sorbus adeana | Ade-Mehlbeere | nördliche Frankenalb östl. von Weismain |
S. badensis | Badische Mehlbeere | Mainfranken |
S. carolipolitana | Karlstädter Mehlbeere | Mainfranken und Taubertal |
S. cordigastensis | Kordigast-Mehlbeere | nördl. Frankenalb am Kordigast bei Weismain |
S. eystettensis | Eichstätter Mehlbeere | südl. Frankenalb rund um Eichstätt |
S. franconica | Fränkische Mehlbeere | Frankenalb im Bereich der Wiesent- und Pegnitzalb |
S. fischeri | Ries-Mehlbeere | Südrand vom Nördlinger Ries |
S. griseotormaria | Graue Mehlbeere | Mainfranken beiderseits des Mains, Taubertal |
S. haesitans | Thüngersheimer Mehlbeere | Mainfranken bei Thüngersheim |
S. herbipolitana | Würzburger Mehlbeere | Mainfranken und Taubertal |
S. hoppeana | Kallmünzer Mehlbeere | Frankenalb, unteres Naabtal südlich von Kallmünz |
S. latisedes | Gambacher Mehlbeere | Mainfranken bei Karlstadt |
S. meierottii | Wellheimer Mehlbeere | südl. Frankenalb, Wellheimer Trockental |
S. meyeri | Meyer-Mehlbeere | Mainfranken |
S. moenofranconica | Mainfränkische Mehlbeere | Mainfranken und Taubertal |
S. mergenthaleriana | Mergenthaler-Mehlbeere | südöstl. Frankenalb, unteres Vilstal bis unteres Naabtal |
S. perlonga | Langblättrige Mehlbeere | Mainfranken nordwestl. Würzburg |
S. puellarum | Mädchen-Mehlbeere | Mainfranken nördl. Würzburg |
S. ratisbonensis | Regensburger Mehlbeere | südöstl. Frankenalb, unteres Naabtal |
S. schnizleiniana | Schnizlein-Mehlbeere | Oberpfälzer Jura, Hartenfels bei Neukirchen |
S. schuwerkiorum | Gredinger Mehlbeere | südl. Frankenalb bei Greding |
S. seyboldiana | Seybold-Mehlbeere | südwestl. Mainfranken |
Tabelle 2: Kleinarten der Sorbus latifolia-Gruppe (Sorbus aria × torminalis) in Bayern und dem angrenzenden Baden-Württemberg. (nach Hassler et al. 2024)
Ganz am Nordrand der Frankenalb kommen eng benachbart die zwei Lokalendemiten Sorbus cordigastensis und Sorbus adeana, die Kordigast- und die Ade-Mehlbeere, vor. Erstere (Abbildung 9) wächst nur am Kordigast, einem Zeugenberg des Oberen Jura in der Weismainalb auf einer Fläche von etwa 120 ha zusammen mit beiden Elternarten, der Hügel-Mehlbeere (Sorbus collina) und der Elsbeere. In einer Studie konnten im Jahr 2009 insgesamt noch 115 Individuen der Art mit einer Höhe über 1,3 m festgestellt werden (Aas & Kohles 2011). Der höchste und dickste Baum der Art war 15 m hoch und hatte einen Stammdurchmesser (BHD) von 46 cm. Bemerkenswert ist, dass Sorbus cordigastensis in diesem Gebiet häufiger ist als die Elternarten und sich reichlich sowohl durch Samen als auch durch Wurzelbrut verjüngt (Abbildung 10).
Die der Kordigast-Mehlbeere sehr ähnliche Sorbus adeana (Abbildung 11, Abbildung 12) kommt östlich von Weismain vor, nur wenige Kilometer vom Kordigast entfernt. Ade-Mehlbeeren wachsen am Rande des Bärentals an den sonnenexponierten Hangoberkanten und auf Dolomitfelsen und sind vergesellschaftet mit der tetraploiden Hügel-Mehlbeere (Sorbus collina) und mit Sorbus harziana, einer Kleinart aus der Sorbus hybrida-Gruppe.
Abb. 10a: ein dreijähriger Keimling der Kordigast-Mehlbeere (Sorbus cordigastensis). (© G. Aas)
Abb. 10b: mehrjährige Jungpflanzen der Kordigast-Mehlbeere (Sorbus cordigastensis) am Waldboden. (© G. Aas)
Abbildung 10: Naturverjüngung der Kordigast-Mehlbeere (Sorbus cordigastensis): links ein dreijähriger Keimling, rechts mehrjährige Jungpflanzen am Waldboden. Dieser Endemit der Weismain-Alb verjüngt sich gut durch Samen, aber auch durch Wurzelbrut. Hoher Rehwildverbiss und die Umwandlung der ehemals beweideten und streugenutzten, lichten Kiefernwälder hin zu naturnäheren, laubbaumreicheren Beständen verhindern weitgehend die Etablierung der Naturverjüngung. (© G. Aas)
Abb.11a: Sorbus franconica. (© G. Aas)
Abb. 11b: Sorbus cordigastens. (© G. Aas)
Abb. 11c: Sorbus adeana. (© G. Aas)
Abbildung 11: Typische Blätter von Sorbus franconica (links), Sorbus cordigastens (Mitte) und Sorbus adeana (rechts). Die Blätter dieser drei Arten sowie teilweise die anderer Kleinarten der Sorbus latifolia-Gruppe sind sich sehr ähnlich. Anhand morphologischer Merkmale lassen sich diese Taxa nur schwer und oft nicht sicher bestimmen. (© G. Aas)
Problematisch: Taxonomie der Mehlbeeren-Vielfalt
Die komplexe Vielfalt der Mehlbeere (Sorbus aria agg.) und ihrer Hybriden adäquat taxonomisch zu erfassen, ist bislang nicht vollständig und befriedigend gelungen (siehe hierzu Hassler et al. 2024). Viele Taxa unterscheiden sich morphologisch nur geringfügig oder fast gar nicht (Abbildung 11). Ihre sichere Bestimmung ist deshalb schwierig oder nur durch Spezialisten und mit Hilfe zytologischer und / oder genetischer Analysen möglich.
Abbildung 7: Früchte der Mehlbeere (links), der Elsbeere (rechts) sowie oben in der Mitte diejenigen der Bastard- oder Täuschenden Mehlbeere (© G. Aas)
Abbildung 8: Die Fränkische Mehlbeere (Sorbus franconica.)(© H. Steinecke)
Abbildung 9: Reich fruchtende Kordigast-Mehlbeere, Sorbus cordigastensis. (© M. Kohles)
Abbildung 12: Fruchtende Sorbus adeana am Rande des Bärentals nahe Weismain. (© G. Aas)
Ein grundsätzliches Problem in der Taxonomie der Sorbus-Vielfalt besteht darin zu entscheiden, ob eine gegebene Population oder Gruppe von Populationen die Kriterien für den Status einer Art (Kleinart) erfüllt. Dies erfordert die Klärung, ob die Individuen dieser Population(en) tatsächlich polyploid und erbgleich (klonal) sind und sich obligat oder zumindest überwiegend apomiktisch fortpflanzen. Zudem sollte ein solches Taxon eine gewisse Mindestzahl an Individuen haben und ein Gebiet mit einer gewissen Mindestgröße (Minimumareal) besiedeln. Klare Kriterien, wie hier zu verfahren ist, gibt es für die Gattung Sorbus nicht. Vorgeschlagen wird, dass eine Kleinart mindestens 15 oder 20 Individuen umfassen soll (Hassler et al. 2024), was zwar eine mehr oder weniger willkürlich festgelegte Untergrenze ist, aber einer „inflationären" Beschreibung neuer Arten einen gewissen Einhalt bieten kann.
Zu Schwierigkeiten beim Erkennen und der Abgrenzung von Kleinarten führt ferner, dass vielerorts gehäuft diploide, sexuelle Hybriden zwischen Mehl- und Elsbeere (Sorbus × decipiens) vorkommen. Solche Hybridschwärme täuschen oft apomiktische Sippen vor bzw. können mit solchen verwechselt werden. Zudem vermehren sich Mehl- und Elsbeeren und ihre Hybriden intensiv durch Wurzelsprosse (Hoebee et al. 2006). Auch auf größeren Flächen können dadurch homogene, klonale Populationen entstehen, die apomiktischen ähneln, aber keine Kleinarten sind. So musste in Thüringen die Einstufung dortiger Populationen als Art Sorbus thuringiaca zurückgenommen werden, da sich herausstellte, dass es sich nicht um einen polyploiden Apomikten, sondern um diploide Bastard-Mehlbeeren handelt (Feulner et al. 2023).
Es ist deshalb zu erwarten, dass in den nächsten Jahren neue Erkenntnisse gewonnen werden, die zu Änderungen in der Taxonomie der Mehlbeeren führen werden. Auffallend ist ohnehin, dass es deutliche Unterschiede in der räumlich-geografischen Verteilung von Sorbus-Kleinarten gibt. Einen Schwerpunkt der Artendiversität bilden die nordbayerischen Kalkgebiete. Dies beruht neben der hier tatsächlich vorhandenen Vielfalt auch darauf, dass in diesem Raum die Erforschung der Mehlbeeren-Vielfalt durch die gründlichen Arbeiten von Norbert Meyer und anderen Botanikern intensiv betrieben wurde (z. B. Meyer et al. 2005). In anderen Regionen, z. B. in Rheinland-Pfalz, in Südbaden oder in der Nordschweiz, ist dies bislang weit weniger erfolgt. Vielleicht sind auch oder gerade deshalb Kleinarten aus diesen Gebieten weit weniger bekannt (vgl. hierzu Aas et al. 1994, Hassler et al. 2014).
Schutz der Sorbus-Vielfalt
Ungeachtet der taxonomischen Gliederung und Bewertung der Mehlbeeren-Vielfalt stellt sich die Herausforderung, wie diese Diversität zu erhalten und ggf. zu fördern ist. Verantwortung für den Schutz dieser endemisch lokal oder regional verbreiteten Taxa tragen neben Naturschutzverwaltungen auch Waldbesitzende und die Forstwirtschaft.
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Abbildung 13: Aussaaten verschiedener Sorbus-Kleinarten im Ökologisch-Botanischen Garten der Universität Bayreuth im Rahmen von ex-situ-Erhaltungsmaßnahmen. (© G. Aas)
Allerdings offenbaren nötige Schutzmaßnahmen im Wald ein gewisses Dilemma. Alle diese Mehlbeeren-Taxa sind mehr oder weniger konkurrenzschwach, weil sie als Bäume nicht sehr hoch werden und wenig schattentolerant sind. Deshalb kommen sie vermehrt in lichten Wäldern, an Waldrändern, an Steilhängen und auf Felskuppen vor. Profitiert haben sie in den letzten Jahrhunderten von der traditionellen Nieder- und Mittelwaldwirtschaft, von Waldweide und Streunutzung, letztlich also von Störungen, die lichte Waldstrukturen geschaffen und erst dadurch konkurrenzschwachen Baumarten günstige Lebensbedingungen ermöglicht haben. Das seit vielen Jahrzehnten andauernde Ausbleiben dieser Störungen dürfte sich in vielen Regionen nachteilig auf das Vorkommen von Mehlbeeren ausgewirkt haben. Verstärkt wird dieser Effekt in den letzten Dekaden durch das selbst gesetzte Ziel der Forstwirtschaft, Wälder naturnäher zu gestalten. In der Folge werden diese Standorte laubbaum- und vor allem buchenreicher und deshalb dichter (dunkler) – sehr zum Nachteil der lichthungrigen, konkurrenzschwachen Sorbus-Arten.
Neben Schutzbemühungen am natürlichen Standort gibt es auch ex-situ-Maßnahmen zum Erhalt gefährdeter Taxa (Abbildung 13). So werden in Kooperation mit Naturschutzbehörden in diversen Botanischen Gärten Jungpflanzen relevanter Arten aus Samen angezogen und mit dem Ziel kultiviert, das drohende Aussterben zu verhindern und gegebenenfalls durch Ausbringung an den Naturstandorten Populationen zu stärken.
Aus evolutionsbiologischer Sicht steht der Erhalt der Vielfalt an Mehlbeeren-Taxa aber vor einem ganz anderen Problem. Da diese Taxa meist klonale Populationen sind, die keine oder nur eine geringe genetische Variation aufweisen, können sie sich an ändernde Umweltbedingungen nur schlecht oder gar nicht anpassen, was unter Umständen zum Aussterben führen kann. Letztlich sind sie eine „Sackgasse" der Evolution.
Insofern ist es auch fraglich, ob es auf Dauer sinnvoll ist, wenig vitale, individuenarme Kleinarten aufwendig zu erhalten. Mindestens ebenso wichtig wie Erhaltungsmaßnahmen für einzelne Taxa wäre es, die Bedingungen so zu erhalten, dass sich rezent und zukünftig evolutiv neue Formen der Mehlbeeren bilden können. Das würde erfordern, auf geeigneten Standorten dauerhaft offene, lichte Waldstrukturen zu schaffen, die Mehl-, Els- und Vogelbeeren in ausreichenden Populationsdichten günstige Lebensbedingungen bieten, damit der evolutive Prozess zur Erhöhung der Diversität durch hybridogene Sippenbildung auch zukünftig ablaufen kann. Dies steht möglicherweise aber im Gegensatz zu waldbaulichen, aber auch zu anderen Natur- und Artenschutzzielen im Wald.
Literatur
- Aas, G.; Kohles, M. (2011): Verbreitung, Häufigkeit und Verjüngung von Sorbus cordigastensis (Kordigast-Mehlbeere) in der nördlichen Frankenalb. Tuexenia 31:59 - 71.
- Aas, G.; Maier, J.; Baltisberger, M.; Metzger, S. (1994): Morphology, isozyme variation, cytology, and reproduction of hybrids between Sorbus aria (L.) Crantz and S. torminalis (L.) Crantz. Bot. Helv. 104: 195 - 214.
- Feulner, M.; Weig, A.; Paule, J.; Gregor, T.; Schott, L.F.; Aas, G. (2017): Genetic variability and morphology of tri- and tetraploid members of the Sorbus aria complex in northern Bavaria. Preslia 89: 275 - 290.
- Feulner, M.; Weig, A.; Voss, T.; Schott, L.F.; Aas, G. (2019): Central European polyploids of Sorbus subgenus Aria (Rosaceae) recurrently evolved from diploids of central and south-eastern Europe: evidence from microsatellite data. Botanical Journal of the Linnean Society 191: 315 - 324.
- Feulner, M.; Aas, G.; Urbon, T.; Caré, O.; Kuchma, O.; Hosius, B.; Kahlert, K.; Leinemann, L. (2023): Low rates of apomixis and polyploidy in progeny of Thuringian [i9Sorbus subgenus Tormaria[/i]. Plant Systematics and Evolution: https://doi.org/10.1007/s00606-023-01850-6.
- Hassler, M.; Meyer, N.; Hammel, S. (2024): Die Sorbus-Gruppe (Mehlbeeren, Elsbeeren, Ebereschen und der Speierling). – S. 631- 678 in: Hassler, M. (Hrsg.): Flora Germanica. Alle Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands in Text und Bild; Band 3 (Kritische Gattungen 1). Ubstadt-Weiher (Verlag Regionalkultur).
- Hoebee, S.E.; Menn, C.; Rotach, P.; Finkeldey, R.; Holderegger, R. (2006): Spatial genetic structure of Sorbus torminalis: The extent of clonal reproduction in natural stands of a rare tree species with a scattered distribution. Forest Ecology and Management 226:1-7.
- Ludwig, S. et al. (2013): Breeding systems, hybridization and continuing evolution in Avon Gorge Sorbus. Annals of Botany 111: 563 - 575.
- Maier, J. (1994): Sorbus Linné. In: Schütt, P. et al. (Hrsg.): Enzyklopädie der Holzgewächse III-2: 8 S.
- Meyer, N.; Meierott, L.; Schuhwerk, F.; Angerer, O. (2005): Beiträge zur Gattung Sorbus in Bayern. Sonderband Ber. Bayer. Bot. Ges. 216 S.
- POWO (2024): Plants of the World Online. Facilitated by the Royal Botanic Gardens, Kew. Published on the Internet; http://www.plantsoftheworldonline.org/ abgerufen 20. März 2024.
- Rudow, A.; Aas G. (1997): Sorbus latifolia s.l. in der zentralen Nordschweiz: Verbreitung, Standort und Populationsbiologie. Bot. Helv. 107: 51 - 73.
- Sennikov, A.N.; Kurtto, A. (2017): A phylogenetic checklist of Sorbus s.l. (Rosaceae) in Europe. Mem. Soc. Fauna Fl. Fennica 93: 1 - 78.
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