LWF aktuell 142
Einfluss der Höhenlage auf Zusammensetzung und Vielfalt der Gliederfüßer
von Thomas Kudernatsch, Markus Blascke und Mareike Kortmann
Abb. 1: Kreuzfensterfalle zum Fang flugfähiger Arthropoden im Naturwaldreservat Jakelberg. (© T. Kudernatsch, LWF)
Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft untersucht in einem aktuellen Projekt die Auswirkungen des Klimawandels auf die Struktur und Artenzusammensetzung der Bergwälder im Bayerischen Alpenraum. 2021 wurde entlang zweier Höhengradienten zunächst die Waldstruktur erfasst. Im Projektjahr 2022 folgte die Untersuchung ausgewählter Artengruppen, wozu auch die Gliederfüßer (Arthropoden) zählten.
Arthropoden, zu denen Insekten, Tausendfüßer sowie Krebs- und Spinnentiere zählen, besetzen die unterschiedlichsten ökologischen Nischen. Deshalb spielen sie für die Diversität und Funktionalität unserer Wälder eine herausragende Rolle. Obwohl Arthropoden als die »erfolgreichste« Tiergruppe der Erde gelten, sind auch sie von den gegenwärtigen, teils rasanten Änderungen der Umweltbedingungen betroffen. Inwieweit sich der Klimawandel und insbesondere die damit einhergehende Temperaturerhöhung auf die Vielfalt und Zusammensetzung der Arthropoden in unseren Wäldern auswirkt, ist allerdings noch wenig bekannt. Aussagen hierzu werden nicht selten dadurch erschwert, dass neben den klimatischen Veränderungen auch weitere Faktoren die Lebensgemeinschaften beeinflussen. Hierzu zählen beispielsweise Stoffeinträge oder die menschliche Landnutzung. Insofern bieten Naturwaldreservate für derartige Untersuchungen gute Voraussetzungen, da dort zumindest die Bewirtschaftung als weiterer Wirkfaktor ausgeschlossen werden kann (Siemonsmeier et al. 2019).
Projekt Höhengradient
Erfassung der Arthropoden
Für die Auswertung und Bestimmung des Insektenmaterials führte man – mit Ausnahme der Laufkäfer – eine automatische Gensequenzierung der gewonnenen Sammelproben (Next Generation Sequencing, vgl. z. B. Moriniere et al. 2016, Kühbandner & Blaschke 2022) durch. Diese Methode ist sehr effizient und im Vergleich zur üblichen händischen Bearbeitung schnell und vergleichsweise kostengünstig. Zudem ermöglicht das Next Generation Sequencing, alle gefangenen Insekten (darunter auch weniger bekannte, aber möglicherweise ökologisch sehr bedeutsame Insektengruppen) in die Untersuchungen mit einzubeziehen. Aussagen zur Häufigkeit der einzelnen Arten(äquivalente) sind bei diesem Verfahren allerdings nicht möglich. In die weiteren Analysen gingen nur Sequenzcluster ein, die einer Art mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von mindestens 97 % zugewiesen werden konnten.
Um zumindest für eine Arthropoden-Gruppe auch Aussagen zur Häufigkeit der Arten auf den Probeflächen zu treffen, wurden vor der genetischen Sequenzierung alle Laufkäferindividuen aus den Proben heraussortiert und anhand ihrer optischen Merkmale bestimmt.
Temperaturbedingungen auf den Probeflächen
Um bei den Analysen auch Temperatureffekte abzubilden, die über die reine Beziehung zur Höhenlage hinausgehen und zum Beispiel durch unterschiedliche Waldstrukturen oder kleinklimatische Besonderheiten verursacht werden, ermittelte man für jede Probefläche die Abweichungen (Residuen) der tatsächlich gemessenen Temperaturen von den vom Modell vorhergesagten Temperaturen. Diese Unterschiede wurden im Rahmen der weiteren Auswertungen als erklärender Faktor berücksichtigt.
Diversität der Arthropoden
Abb. 2: Die Höhenlage der Probeflächen sowie die Temperaturresiduen sind die Faktoren, welche die Artenzahlen der Arthropoden auf den Probeflächen am stärksten beeinflussen. (© LWF)
Um wichtige Einflussgrößen auf die Diversität der Arthropoden zu identifizieren, wurden lineare Modelle der Artenzahlen gerechnet. In die Analysen gingen die Höhenlage und verschiedene andere Parameter (Temperaturresiduen, Kronenschlussgrad, mittlerer Brusthöhendurchmesser der stärksten Bäume, Anzahl Baumarten und Exposition) mit ein. Dabei zeigte sich, dass einige wenige Flächen mit sehr geringem Kronenschlussgrad die Ergebnisse unverhältnismäßig stark beeinflussten. Diese Flächen wurden aus den Modellen deshalb ausgeschlossen. Nach Bereinigung der Daten um diese Flächen blieben letztlich 43 der 48 Flächen für weitere Auswertungen. Die linearen Modelle ergaben, dass die Artenzahlen der Arthropoden mit zunehmender Höhe (und damit sinkenden Temperaturen) signifikant abnehmen, während sich die Temperaturresiduen signifikant positiv auf die Artenzahl der Arthropoden auswirken (Abbildung 2). Für alle anderen Faktoren waren keine signifikanten Effekte auf die Artenzahlen nachweisbar.
Eine beispielhafte Betrachtung der Käfer als artenreichste Gruppe bestätigt diese Ergebnisse. Auch hier nehmen die Artenzahlen mit zunehmender Höhe signifikant ab, während sie mit zunehmenden Temperaturresiduen ansteigen. Insgesamt zeigte sich im Rahmen der Untersuchungen, dass weniger die Waldstrukturen als vielmehr die Temperaturbedingungen die Diversität der Arthropoden steuern. Unterschiede in der Temperatur resultieren dabei im Wesentlichen aus der jeweiligen Höhenlage sowie der Exposition. Daneben spielen aber offensichtlich kleinklimatische Unterschiede, die z. B. aus dem Mikrorelief resultieren, ebenso eine Rolle.
Positive Zusammenhänge zwischen der Temperatur und der Artenvielfalt der Arthropoden stellen auch andere Untersuchungen fest (z. B. Uhler et al. 2021). Als Ursachen wurden unter anderem die hohe Temperaturabhängigkeit des Stoffwechsels genannt (Arthropoden sind ektotherm, d. h. wechselwarm), wodurch es bei höheren Temperaturen beispielsweise zu einer verbesserten Reproduktion, erhöhten Überlebensraten und somit auch zu einer Ausweitung der Populationen kommen kann.
Einflussfaktoren auf die Artenzusammensetzung
Abb. 3: DCA-Ordinationsdiagramm der Arthropodenaufnahmen des Nordseiten- (blau) bzw. Südseiten-Gradienten (orange). Um Achse 1 und 2 interpretieren zu können, wurden zur Verfügung stehende Umwelt- bzw. Strukturparameter als bi-plot über das Ordinationsdiagramm gelegt (rote Vektoren). (© LWF)
Was passiert, wenn es wärmer wird?
Abb. 4: Ist eng an kühle, nadelholzgeprägte Hochlagenwälder gebunden: der Laufkäfer Pterostichus unculatus (© O. Bleich)
Im Zuge des Klimawandels ist in den Bergwäldern mittelfristig aber nicht nur mit einem Anstieg der Arthropodendiversität zu rechnen, vielmehr sind auch Änderungen in der Artenzusammensetzung der Lebensgemeinschaften sehr wahrscheinlich. Darauf deuten die festgestellten, überwiegend temperaturinduzierten Unterschiede in der Artenzusammensetzung zwischen Tief- und Hochlagen bzw. Süd- und Nordhängen hin. Während also viele wärmeliebende Arten durch einen Temperaturanstieg voraussichtlich begünstigt werden und ihr Verbreitungsgebiet gegebenenfalls ausweiten können, dürften an niedrige Temperaturen adaptierte Arten wohl eher zu den Verlierern zählen. Ein Beispiel hierfür ist der Laufkäfer Pterostichus unctulatus (Abbildung 4), der im Rahmen unserer Untersuchungen schwerpunktmäßig in Lagen
zwischen 1.300 und 1.700 m ü. NHN nachgewiesen wurde, also eine enge Bindung an die kühlen, nadelholzgeprägten Hochlagenwälder zeigt. Bei einem weiteren Temperaturanstieg, der möglicherweise mittel- bis langfristig zu einem Rückgang der subalpinen Nadelwälder führt, wäre entsprechend auch mit negativen Auswirkungen auf die Populationen dieser »kühlpräferenten Bergwaldart« zu rechnen, für die Deutschland eine hohe Schutzverantwortung trägt. Zu einer vergleichbaren Einschätzung dieser Art kamen auch Müller-Kroehling et al. (2014).