Hans-Jürgen Gulder
Das Wurzelwerk der Fichte – LWF Wissen 80

Auf den Schadflächen der Orkane Vivian und Wiebke im Spätwinter 1990 wurden über 5.200 geworfene Bäume untersucht, um den Kenntnisstand über die Struktur und den Gesundheitszustand des Wurzelwerks zu erweitern. Eine Auswertung konkret für die rund 3.100 kartierten Fichten bestätigt Bekanntes, fördert aber auch neue Erkenntnisse zutage. Das Wurzelwerk der Fichte zeigt meist eine plattenartige Grundstruktur mit einzelnen in die Tiefe streichenden stärkeren Senkerwurzeln.

Deren Länge hängt in erster Linie davon ab, wie stark Stau- oder Grundwasser den Lufthaushalt einschränken. Dabei ist der Unterschied zwischen stabilen und mäßig wechselfeuchten Böden nicht sehr groß. Der Substrattyp oder der Nährstoffvorrat im Wurzelraum sind dagegen von geringem Einfluss auf die Ausprägung des Wurzelwerks. Das Längenwachstum der Senkerwurzeln verläuft parallel zur Entwicklung des Brusthöhendurchmessers und endet ungefähr im Alter 80.

Es kann nicht bestätigt werden, dass eine lange grüne Krone auch ein größeres Wurzelvolumen bedingt. Der Anteil an Tot- und Faulwurzeln ist unauffällig, selbst auf stärker versauerten Böden. Auf starke Wechselfeuchte oder Grundwasser reagiert die Fichtenwurzel wesentlich empfindlicher als jene von Buche und Lärche. Deutlich robuster ist die Kiefer und mehr noch die Eiche.

Gebogene und umgefallene NadelbäumeZoombild vorhanden

Abb. 1: Auswirkungen des Sturms "Kyrill" im Stadtwald Pürgen (Foto: G. Brehm)

Ende Februar 1990 verursachten die Orkane Vivian und Wiebke in den bayerischen Wäldern Schäden bisher nicht gekannten Ausmaßes. Der Schadholzanfall betrug 23 Mio. Festmeter mit Schwerpunkt in der gesamten westlichen Landeshälfte (Alpenvorland mit Schotterebenen, Südliche Frankenalb, Keuperberg- und -hügelland). Im Staatswald waren 1,8 % der Waldfläche und 2,4 % des Holzvorrats betroffen. Den höchsten Massenanteil hatte dabei mit rund 85 % die Fichte.

Stau- und Grundwasserböden waren weit überproportional am Schadgeschehen beteiligt. Die große Zahl geworfener Bäume bot eine günstige Gelegenheit, den nach wie vor lückenhaften Kenntnisstand über Struktur und Gesundheitszustand des Wurzelwerks zu verbessern und mögliche Einflussfaktoren zu identifizieren.

Methodik

Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Frühjahr 1990 beauftragt, die Erhebungen in den Staatswäldern der Hauptschadensgebiete vorzunehmen. Das Ziel war, möglichst viele Wurzelteller auf weitverbreiteten Standorten zu kartieren.

Von Juli bis September 1990 suchten daher erfahrene Standortkartierer geschädigte Bestände auf den verbreitetsten Standorteinheiten auf. Sie sammelten Daten über den Einzelbaum (Brusthöhendurchmesser, Baumhöhe, Länge der grünen Krone), dessen Wurzelstruktur (Typ, Volumen, Gesundheitszustand) sowie über den jeweiligen Standort (Geologie, Standorteinheit, Humusform, Karbonatgehalt). Auf Bestandsebene wurden Mischungsanteil, Mischungsform, Bestockungsgrad, Umfang und Zeitpunkt der letzten Hiebsmaßnahmen sowie die Geländemorphologie erfasst.

Aufgrund des großen Kollektivs ergibt sich eine breite Palette an Auswertungsmöglichkeiten. Die Ergebnisse sind repräsentativ für viele überlebende Bäume bzw. Bestände in bedeutenden Waldgebieten, weil die Gewalt und die zeitliche Abfolge der Stürme extrem und die Böden darüber hinaus wassergesättigt waren. Der daraus resultierende sogenannte »Dominoeffekt« neutralisierte somit weitgehend alle anderen für das Wurfereignis möglicherweise mitverantwortlichen bestands- oder baumspezifischen Merkmale.

Insgesamt wurden 5.259 Bäume in 537 Beständen erfasst, davon 3.143 Fichten, 386 Kiefern, 301 Lärchen, 695 Buchen und 433 Eichen (überwiegend Traubeneichen).

Im Folgenden werden aus der Fülle an Daten einige wenige, besonders interessante Ergebnisse für die Fichte vorgestellt. Um vertiefte Einblicke über Zusammenhänge zwischen der Ausprägung des Wurzelwerks und dem Standort zu erhalten, werden markante Merkmale wie Wurzeltyp, Hauptwurzelhorizont, längste Senkerwurzel sowie Wurzelvolumen mit den Standortparametern Wasserhaushalt, Substrattyp und Trophie verschnitten. Für besonders wichtige Wurzelmerkmale erfolgen auch Vergleiche mit Kiefer, Lärche, Buche und Eiche.

Wurzeltyp

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Abb. 2: Wurzeltypen von Fichte, Kiefer, Lärche, Buche, Eiche [Anteile in %]. (Grafik: LWF)

Für die Untersuchungen werden vier Wurzeltypen und zwei ihrer Mischformen unterschieden: Plattentyp, Platten-/Senkertyp, Senkertyp, Herztyp, Herz-/ Senkertyp und Pfahltyp. Die Fichte zeigt alle Übergänge von plattenartigen Ausprägungen bis hin zur klassischen Senkerwurzel (Abbildung 2). Auch mit 40 bis 60 Jahren bilden sich noch Senkerwurzeln aus.

Der Plattentyp geht daher in den Altersklassen über 60 Jahren zugunsten des Senkertyps deutlich zurück. Senkerwurzeln sind relativ häufig auf Sanden, Schichtsanden, Schichtlehmen und Tonen anzutreffen. Der Fichte gelingt es also, mit einzelnen Senkern die Klüfte in den stauwasserfreien Tonhorizonten auszunutzen. Übergänge vom Platten- zum Senkertyp sind überproportional häufig bei Lehmen und lehmigen Sanden. Plattenartige Ausprägungen mit kurzen Senkerwurzeln bestimmen bei Stau- und Grundwasserböden wie den wechselfeuchten Fein-/Schlufflehmen, den feuchten Tonlehmen oder den Mooren das Bild.

Das Wurzelwerk (Platten-Senker und Senker) auf den mäßig labilen Böden (Wasserhaushalt mäßig wechseltrocken und mäßig wechselfeucht) entspricht dabei mehr jenem der stabilen Böden (Wasserhaushalt mäßig trocken bis frisch) als jenem der labilen (Wasserhaushalt wechselfeucht, stark wechselfeucht, feucht). Auffällig ist, dass immerhin 20 % aller Plattenwurzeln auf stabilen Böden auftreten.

Für die Kiefern sind Herz-Senkerwurzeln typisch. Das Wurzelbild der Lärche lässt die größte Formenvielfalt erkennen. Häufig sind dabei Herz-Senker-, Platten-Senker- und Senker-Ausprägungen. Die Buche bildet bevorzugt Herzwurzeln aus, von denen oft auch noch Senker nach unten abgehen. Oft tritt noch der Platten- Senkertyp auf. Die Eichen zeigen hauptsächlich Herzwurzeln mit oder ohne weiter in die Tiefe vorstoßende Senker. Es werden aber auch häufiger Platten- Senker-Strukturen vorgefunden. Pfahlwurzeln sind sehr selten, am häufigsten noch bei der Kiefer.

Hauptwurzelhorizont

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Abb. 3: Hauptwurzelhorizont der Fichte in Abhängigkeit vom Wasserhaushalt (Grafik: LWF)

Als Hauptwurzelhorizont wird jene Bodentiefe definiert, bis zu der rund 70 % der Wurzelmasse angelegt sind. Dieser liegt bei der Fichte meist zwischen 20 und 60 cm (Maximum 125 cm). Der Unterschied zwischen stabilen (Median 47 cm) und mäßig labilen Böden (Median 44 cm) ist nur gering (Abbildung 3). Bei stärkerer Vernässung (labile Böden) hingegen dringt die Masse der Wurzeln selten weiter als 40 cm vor (Median 32 cm).

Der Vergleich der Hauptwurzelhorizonte der fünf Baumarten auf stabilen Böden unterstreicht deutlich die Schwäche der Fichte und die Überlegenheit der Eiche (Abbildung 4, oben). Zwischen Kiefer und Buche besteht bis 60 cm Tiefe kaum ein Unterschied. Beide Baumarten erschließen zu fast gleichen Anteilen auch die Horizonte bis über 100 cm Tiefe, jedoch in unterschiedlicher Verteilungsform.

Die Lärche dagegen lässt über alle Tiefenstufen zwischen 20 und 100 cm eine vergleichsweise ausgeglichene Verteilung erkennen. Tiefer 60 cm ist sie der Fichte weit, der Kiefer und Buche leicht überlegen.
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Abb. 4: Verteilung der Hauptwurzelhorizonte auf verschiedenen Böden [nach Tiefenstufen in cm]. (Grafik: LWF)

Auf mäßig labilen und labilen Böden zeigt die Eiche bis 100 cm kaum eine Reaktion (Abbildung 4, unten). Die Kiefer steht der Eiche nur wenig nach, erreicht aber den Unterboden ab 60 cm etwas seltener. Die Buche und noch etwas stärker die Lärche reagieren dagegen sehr empfindlich auf Wasserüberschuss, jedoch bei Weitem nicht so stark wie die Fichte.

Auf Sanden sowie Fein-/Schlufflehmen liegen die meisten Hauptwurzelhorizonte der Fichte zwischen 20 und 50 cm (Abbildung 6). Auf lehmigen Sanden und Lehmen geht es im Schnitt bis 10 cm tiefer. Dass die Fein-/Schlufflehme etwas ungünstiger abschneiden, liegt am dort häufiger auftretenden Stauwasser. Die geringe Erschließungstiefe auf Sand ist unerklärlich.

In der Gruppe der tongeprägten Böden gehen die Hauptwurzelhorizonte auf Schichtlehmen (öfters labil) meist nicht tiefer als 50 cm (Abbildung 7). Deutlich besser schneiden die Decksande/-lehme (Mächtigkeit der Deckschicht maximal 30 cm; stets mäßig wechselfeucht) ab. Erstaunlich tief werden die (meist stabilen) Tonböden erschlossen. Die Schichtsande (meist stabil) leisten den Wurzeln am wenigsten Widerstand. Im Vergleich der beiden Substratgruppen halten die tongeprägten Substrate bis 60 cm Tiefe sehr gut mit den Sanden und Lehmen mit. Erst darunter wirken sich deren höhere Dichte und Sauerstoffarmut nachteilig aus.

Auf den wechselfeuchten und feuchten Tonlehmen und Mooren stoßen die meisten Wurzeln bei 40 cm an ihre Grenze (ohne Abbildung). Die tiefsten Hauptwurzelhorizonte mit 140 cm verzeichnen bei den Aufnahmen je eine Eiche (frischer Schichtsand in Hanglage) und eine Buche (mäßig frischer, tongründiger lehmiger Sand). Dahinter folgt bereits eine Fichte mit 125 cm (frischer Feinlehm).

Auch in höherem Alter zwischen 60 bis 80 Jahren werden noch tiefere Bodenschichten durchwurzelt. Fichten mit einer längeren grünen Krone lassen etwas flachere Hauptwurzelhorizonte erkennen. Auf stabilen Böden nimmt die Wurzeltiefe kontinuierlich mit dem Brusthöhendurchmesser zu. Dies gilt sogar noch für Durchmesser über 50 cm.
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Abb. 5: Sand und Lehm (Grafik: LWF)

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Abb. 6: Tonböden (Grafik: LWF)

Tiefste Wurzel

Als tiefste Wurzel ist jene definiert, die am weitesten in den Unterboden vordringt. Auf stabilen Böden erreicht diese meist eine Länge von (50) 60 bis 100 cm. Ein Fünftel dringt weiter als 100 cm vor. Es überrascht, dass diese Marke besonders häufig in den Schichtsanden (60 %) und den Tonen (30 %) überschritten wird. Auf Sanden und Lehmen sind es nur rund 25 % der Vertikalwurzeln, auf Fein-/Schlufflehmen und lehmigen Sanden nur knapp 20 %.

Auf mäßig labilen Böden sind die tiefsten Wurzeln meist zwischen 60 und 90 cm lang, auf labilen weniger als 60 cm. Auf den Mooren und Tonschlufflehmen enden sie schon bei 40 cm. Auch bei der längsten Vertikalwurzel liegen die Werte für die mäßig labilen Böden näher an denen mit guter Durchlüftung. Das Vertikalwachstum endet etwa im Alter 80. Am weitesten in die Tiefe – mit einer Länge von 240 cm – stößt die Wurzel einer Eiche vor (mäßig frischer Sand), knapp vor einer Fichte (frischer Feinlehm) und Kiefer (wechselfeuchter Sand) mit je 220 cm. Eine Buchenwurzel (ziemlich frischer Lehm in Hanglage) erreicht 215 cm.

Wurzelvolumen

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Abb. 7: Wurzelvolumen von Fichte, Kiefer, Lärche, Buche und Eiche [nach Kubikmeterstufen]. (Grafik: LWF)

Das Wurzelvolumen (Produkt aus Wurzeltellerfläche × Tiefe des Hauptwurzelhorizonts) ist ein Maß für die Größe des durchwurzelten Bodenraumes. Somit drückt es das Potenzial des Baumes aus, sich mit Wasser und Nährstoffen zu versorgen bzw. sich im Bodenraum zu verankern. Es liegt meist bei 2 – 3 m3 und nur selten über 5 m3.

Auf stabilen Böden sind die Werte nur geringfügig höher. Die mäßig labilen Böden sind etwas besser als die labilen. Auf Sanden und lehmigen Sanden ist das Wurzelvolumen geringfügig größer als auf Lehmen, Fein-/Schlufflehmen und Schichtlehmen. Auffällig groß ist es auf Tonböden und Schichtsanden, noch übertroffen von den Mooren mit ihren extrem weitstreichenden oberflächennahen Seitenwurzeln.

Auf stabilen Böden liegen Substrate mit reicher und mittlerer Nährstoffversorgung etwa gleich auf, im nährstoffarmen Bereich ist das Volumen etwas größer. Bis zu einem Alter von ungefähr 80 Jahren nimmt das Volumen auf stabilen Böden laufend zu, darüber findet kaum mehr eine Entwicklung statt. Bis zu einem Brusthöhendurchmesser von 60 cm nimmt für alle Baumarten das Volumen auf stabilen Böden laufend zu.

Im wechselfeuchten Milieu endet diese Entwicklung bei 50 cm. Fichten mit einem günstigeren Verhältnis von Baumhöhe zu Brusthöhendurchmesser besitzen auch größere Wurzelvolumen. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Länge der grünen Krone und dem Wurzelvolumen. Eine Tanne erzielte mit 32 Kubikmetern den größten Wert aller erfassten Bäumen (Tabelle 1).

Die Lärchen weisen in der Summe das kleinste Wurzelvolumen auf (Abbildung 7). Deutlich größer ist es bei den Kiefern. Dann folgt die Fichte. Leicht darüber liegen die Buchen, übertroffen noch von den Eichen.
Tabelle 1. Größte Wurzelvolumen [in m³]
BaumartWurzelvolumen [m³]Standorteinheit
Tanne32mäßig wechselfeuchter tongründiger Sand
Fichte26mäßig frischer nährstoffreicher lehmiger Sand
Buche23mäßig frischer tongründiger lehmiger Sand
Eiche16mäßig trockener nährstoffarmer Sand
Lärche13mäßig frischer Schichtsand
Kiefer10frischer lehmiger Sand mit Karbonat im Unterboden

Tot- und Faulwurzel

Die meisten Starkwurzeln (Durchmesser > 50 mm) sind vital. Dagegen werden bei 60 % der Derb- (5 –50 mm) wie auch Feinwurzeln (< 5 mm) Totwurzeln gefunden, dies aber meist zu einem geringen Anteil unter 20 %. Auf labilen Böden ist der Anteil an Totwurzeln höher und dies besonders bei den Feinwurzeln. Faule Wurzeln finden sich am häufigsten bei den Derbwurzeln und generell mehr bei jüngeren Fichten. Zunehmende Staunässe oder Grundwassereinfluss führen zu mehr Fäule.

Es fällt schwer, die Auswirkungen des Anteils an Tot- und Feinwurzeln auf die Verankerungskraft bzw. die physiologische Leistungsfähigkeit des gesamten Wurzelwerks zu bewerten. Subjektiv scheint es so, dass die beobachteten Beeinträchtigungen des Wurzelwerks nicht auffällig und somit nicht disponierend für das Wurfereignis waren. Böden mit Karbonat im Oberboden (höher 50 cm) weisen einen geringeren Anteil an Tot- wie auch Faulwurzeln auf.

Am deutlichsten ist dies bei den Feinwurzeln zu beobachten. Dies könnte damit erklärt werden, dass das Karbonat meist tiefer 30 – 40 cm auftritt. Der für die Fichte kritische oberste Bodenbereich wird also noch nicht erreicht (z. B. im Hinblick auf verstärkten Rotfäulebefall). Auf stärker podsolierten Böden werden wider Erwarten weniger Tot- und Faulwurzeln gefunden. Die Annahme, dass besonders starke Oberbodenversauerung Wurzelschäden begünstigt, kann hier nicht bestätigt werden. Diese Aussage gilt jedoch nur eingeschränkt, weil die Stichprobenzahl gering war.

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  • Hans-Jürgen Gulder