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Inken Dörfler und Wolfgang Weisser
Mehr Totholz für mehr Artenvielfalt – LWF aktuell 123

Totholzanreicherung während der Bewirtschaftung wirkt positiv auf die Biodiversität

Seit Jahrzehnten registrieren Wissenschaftler einen weltweiten dramatischen Rückgang an Tier- und Pflanzenarten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein integrativer Naturschutz, d.h. eine Kombination von wirtschaftlicher Nutzung und Biodiversitätserhaltung, möglich ist. Dies gilt insbesondere für die Wälder Mitteleuropas. Seit 2006 setzen die Bayerischen Staatsforsten im Steigerwald auf eine Naturschutzstrategie, die eine Totholzanreicherung während der Bewirtschaftung und einen Biotopbaumschutz umfasst.

Der weltweite Rückgang der Biodiversität, verursacht durch menschliche Aktivitäten, stellt den Naturschutz vor neue, große Herausforderungen. Die temperaten Laubwälder Europas sind dabei von besonderem Interesse, da sie über Jahrhunderte hinweg verändert wurden.

Totholz und alte Bäume: im klassischen Wirtschaftswald selten

Geschnittenes Buchentotholz im BuchenbestandZoombild vorhanden

Abb. 1: Der verfärbte Teil des Stammes und die Krone verbleiben im Wald. (Foto: I. Dörfler,)

Der forstwirtschaftlich aktive Mensch hat nicht nur die Baumartenmischungen verändert, sondern besonders auch Totholz und Altbäume reduziert. Viele Arten, die solche alten Bäume und Totholz für ihre Entwicklung benötigen, gelten heute als gefährdet. Ein Schutz dieser Arten in Schutzgebieten, also in Gebieten ohne Holzproduktion, ist dabei sehr wichtig, da einige Arten nur unter solchen Bedingungen geschützt werden können.

Die bestehenden Schutzgebiete werden jedoch häufig als zu klein und zu schlecht vernetzt angesehen, um diese bereits selten gewordenen Arten effektiv zu schützen. Auch die Neueinrichtung von Schutzgebieten ist in bewaldeten Lebensräumen kein Garant für eine Rückkehr der Arten, da die wichtigen Habitate sich erst mit einer Alterung des Waldes einstellen. Eine Ausweisung neuer Schutzgebiete ist zudem in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland schwierig.

Naturschutzkonzepte sollen Biodiversität in Wirtschaftswäldern wieder erhöhen

Auf Grund dieser Schwierigkeiten wird somit vorgeschlagen, den Artenschutz durch eine Extensivierung der Bewirtschaftung der Wälder zu ergänzen. Der Erhalt und das aktive Anreichern von Habitaten könnten dabei die Artenvielfalt auch im Wirtschaftswald fördern, ohne dass auf die Holzproduktion verzichtet werden müsste. Das Schaffen und Belassen von Totholz und alten Bäumen (»Habitat-« oder »Biotopbäume«) sind dabei besonders interessante Maßnahmen, da diese während des regulären Betriebes stattfinden und eine große Gruppe der Waldarten fördern könnten. Aktive Maßnahmen, die nicht ausschließlich den Erhalt von natürlich entstandenem Totholz beinhalten, könnten zusätzlich zu einer sehr schnellen Erhöhung der Totholzmengen beitragen.

BaySF: mehr Totholz und Habitatbäume

Buchentotholz in einem BuchenbestandZoombild vorhanden

Abb. 2: Wurzelstock der gefällten Buche mit unterem Stammabschnitt. (Foto: I. Dörfler)

Die Bayerischen Staatsforsten, die ein Drittel des Waldes in Bayern verwalten, haben im nördlichen Steigerwald seit 2006 eine solche Totholzanreicherungsstrategie im Rahmen einer Naturschutzstrategie eingeführt (BaySF 2016a). Die Totholzanreicherung wird hauptsächlich dadurch erreicht, dass zum einen aktiv Baumkronen und Stamm-Endstücke, die normaler Weise verwertet würden, nach der Ernte im Wald belassen werden (Abbildungen 1 & 2).

Zum anderen wird natürlich entstandenes stehendes und liegendes Totholz – zum Beispiel nach Windwürfen – im Wald stehen bzw. liegen gelassen. Zudem werden Biotopbäume ausgewiesen und nicht geerntet. Eine weitere Komponente der Strategie stellte die Erweiterung von Naturwaldreservaten dar, Schutzgebieten von 25 bis 183 ha Größe, die in den 1980er Jahren eingerichtet wurden und in denen Totholz natürlich entstehen kann.

Die Annahme, die der Strategie unterliegt, ist, dass die Kombination aus Schutz des bestehenden Totholzes und einer Anreicherung des Totholzhabitats im Wald die Biodiversität fördert, besonders die an Totholz gebundenen Arten. Der Effekt der Totholzanreicherung auf die Biodiversität wurde bisher nur experimentell geprüft, jedoch noch nicht die Auswirkungen einer tatsächlich angewandten Strategie.

TUM-Studie untersucht Auswirkungen der BaySF-Naturschutzstrategie

Um die Auswirkungen der seit etwa zehn Jahren bestehenden BaySF-Strategie zur Totholzanreicherung im Nordsteigerwald zu untersuchen, wurde unter der Leitung des Lehrstuhls für Terrestrische Ökologie das Projekt L55 »Auswirkungen einer naturschutzorientierten Waldbewirtschaftung auf die Biodiversität in Laubwäldern« durchgeführt. Das Ziel war, die im Jahr 2006 eingeführte Strategie im Hinblick auf die folgenden Fragen zu prüfen:
  • Führt die Naturschutzstrategie zu einer messbaren Anreicherung von Totholzstrukturen auf Landschaftsebene, d.h. im gesamten Betrieb Ebrach?
  • Lässt sich ein positiver Effekt der Totholzanreicherung auf die biologische Vielfalt nachweisen?
Die vorliegende Studie ist die erste, die eine auf Totholzanreicherung ausgelegte Strategie in temperaten Laubwäldern für einen laufenden Wirtschaftsbetrieb untersucht. Eine explizite Untersuchung der Wirkung der Naturwaldreservate war nicht Teil der vorliegenden Arbeit.

Forsteinrichtungsinventuren als Datenbasis

Liegendes und stehendes Buchentotholz in einem BuchenbestandZoombild vorhanden

Abb. 3: Ehemaliger Biotopbaum mit Pilzkonsolen und Spechthöhle im Wirtschaftswald. (Foto: I. Dörfler)

Zur Auswertung des Erfolgs der Strategie, die Totholzmengen im Wald zu erhöhen, wurden Daten aus Forsteinrichtungsinventuren der BaySF verwendet, die 1997, 2010 und 2016 durchgeführt wurden. In den Inventuren wurden alle Totholzobjekte mit einem Durchmesser über 20 cm und einer Länge über 1,3 m in Probekreisen erfasst. Innerhalb dieser drei Inventuren war ein direkter Vergleich zwischen immerhin 1.243 Probeflächen möglich. Auf weiteren 263 Flächen wurde 2004 (Müller 2005) und 2014 (Doerfler et al. 2017) eine weitere Totholzinventur sowie eine Biodiversitätsaufnahme durchgeführt.

In dieser Inventur wurden Totholzobjekte über 12 cm Durchmesser auf einer Fläche von 0,1 ha aufgenommen und zusätzlich die Menge des kleineren Totholzes geschätzt. Zusätzlich wurden Habitatbäume (zum Beispiel Bäume mit Spechthöhlen, Mulmhöhlen, offenem Holzkörper, Pilzkonsolen) aufgenommen (Abbildung 3). Für fünf taxonomische Gruppen (Käfer, Wanzen, Pilze, Vögel, Pflanzen) wurden geeignete Erfassungsmethoden ausgewählt (z. B. Kreuzfensterfallen zum Fang von Käfern). Die Käfer, Wanzen, Pflanzen und Pilze wurden aufgrund des Aufwandes nur auf 69 der 263 Probeflächen erfasst. Die Individuen wurden von Spezialisten vor Ort (Vögel, Pilze, Pflanzen) bzw. im Labor (Käfer, Wanzen) bestimmt.

Totholzmengen steigen an

Zwei Grafiken mit je einer Verteilungspunktwolke; Verteilung klassisch nach GaußZoombild vorhanden

Abb. 4: Totholzmengen vor und nach der Einführung der Totholzanreicherungstrategie (Grafik: LWF)

Abbildung 4 zeigt die Totholzmengen vor (x-Achse: 1997, 2004) und nach (y- Achse: 2010, 2014) der Einführung der Totholzanreicherungstrategie auf den Untersuchungsflächen. Oberhalb der diagonalen Linien weisen die Untersuchungsflächen eine Zunahme der Totholzmengen auf, unterhalb eine Abnahme. Die linke Grafik stellt die Werte der Forsteinrichtungsinventur neun Jahre vor und vier Jahre nach der Einführung der Strategie dar, die rechte Grafik die zusätzliche Inventur, die zwei Jahre vor und acht Jahre nach der Einführung der Strategie durchgeführt wurden. Die Auswertungen der Forsteinrichtungsinventuren belegen eindrucksvoll, dass die Totholzmengen nach der Einführung der Strategie kontinuierlich ansteigen.

Ein statistischen Modell zeigte, dass die Hauptgründe für die Anreicherung des Totholzes einerseits die Erntemaßnahmen sind, andererseits aber auch das Belassen natürlich absterbender Bäume im Wald. Hohe Totholzmengen kamen dabei hauptsächlich in Laubwaldbeständen mit einem Alter um 100 Jahre vor, die von sich aus schon viele absterbende Bäume bisaufweisen. Durch die Totholzanreicherung wurden Unterschiede in Totholzmengen zwischen Wirtschaftswäldern und Naturwaldreservaten kleiner, wobei jedoch die absoluten Mengen in den Naturwaldreservaten höher bleiben.

Totholzbesiedelnde Käfer und Pilze sind Hauptnutznießer

Graph mit Verteilungen von Totholzabhängigen, totholzunabhängigen und allen Arten, farblich mit rot, grün und gelb hervorgehobenZoombild vorhanden

Abb. 5: Multidiversität und Totholzvolumen. (Grafik: LWF)

Die Biodiversität, berechnet als Index, der alle Artengruppen beinhaltet, wurde durch die Totholzanreicherung gefördert (Abbildung 5). Bei Betrachtung der einzelnen Artengruppen zeigt sich, dass besonders die Biodiversität der totholzabhängigen Käfer und Pilze gesteigert wird. Totholzunabhängige Arten, darunter Vögel, Käfer, Pilze, Pflanzen und Wanzen werden durch die Strategie nicht beeinflusst. Da die Lichtverhältnisse im Wald einen großen Einfluss auf die Artengemeinschaften haben können, wurden diese gleichzeitig mit der Totholzanreicherung ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass in den Naturwaldreservaten, in denen es große Windwürfe gegeben hat, mit steigendem Lichteinfall und zunehmender Wärme die Artenzahlen von Vögeln zunehmen und die Artenzahlen von Pilzen sinken. Im Wirtschaftswald ist kein Effekt einer Kronenauflichtung zu erkennen, wahrscheinlich weil es trotz Ernte kaum Lücken im Kronendach gibt, da diese von der Buche sehr schnell geschlossen werden.

Biotopbäume brauchen mehr Zeit

Ein Einfluss der Biotopbäume konnte auf den 69 Probeflächen nicht nachgewiesen werden. Ein Einfluss auf Pilze, Pflanzen und Käfer tritt möglicherweise erst dann auf, wenn die Bäume bereits am Absterben sind oder große Mulmhöhlen bieten. Der Einfluss von Habitatbäumen auf die Biodiversität sollte also über eine längere Zeit verfolgt werden. Unter den Vögeln gibt es einige Arten, die von den Habitatbäumen profitieren sollten, die Auswertung der 263 Probeflächen steht jedoch noch aus. Eine wesentliche Herausforderung der Messung des Einflusses von Habitatbäumen, die in der Studie deutlich wurde, ist jedoch die Seltenheit dieser Bäume in den Probekreisen der Forstinventur. Selbst wenn also Habitatbäume vorkommen, werden diese nur selten im Probekreis erfasst. Zukünftige Studien sollten daher auf einer größeren Skala (≥1ha) untersuchen, wie häufig Biotopbäume im Wirtschaftswald entstehen und wie lange diese ein Habitat für welche Arten bieten.

Naturschutzstrategie der BaySF: Ziel bisher erreicht

Die Ergebnisse des Projekts zeigen, dass Totholzanreicherung während der Bewirtschaftung eine umsetzbare Strategie ist, die die Biodiversität bereits kurzfristig erhöhen kann, es gab messbare Effekte schon zehn Jahre nach Einführung der Strategie. Die Langzeiteffekte, insbesondere auf Organismen, die vielleicht indirekt vom Totholz profitieren können (z. B. Pflanzen oder Käfer, die nicht direkt im Totholz leben), sollten zu einem späteren Zeitpunkt untersucht werden.

Um den Einfluss von Habitatbäumen feststellen zu können, ist eine Aufnahme auf einem größeren Probekreis notwendig. Auch die Diversität direkt im Habitatbaum sollte untersucht werden, wie dies in einem Projekt von Prof. Dr. Heike Feldhaar und Dr. Elisabeth Obermaier von der Universität Bayreuth bereits geschieht. Obwohl nicht Ziel der aktuellen Untersuchung, deuten die Ergebnisse an, dass Naturwaldreservate auch in einem nachhaltig bewirtschafteten Wald ein wichtiges Element zum Schutz der Biodiversität sind, allein aufgrund der sehr hohen Totholzmengen (z.T. >600 Festmeter/ ha) und den belichteten Stellen, die im Dauerwald nicht vorkommen.

Das Projekt zeigte also, dass die positiven Auswirkungen einer Totholzanreicherung auf die Biodiversität, die bislang nur experimentell gezeigt werden konnte, auch bei einer durch den Forstbetrieb angewandten Anreicherung auftreten. Die bisherige Strategie zielt hauptsächlich auf Laubholzbestände, in anderen Beständen könnten wahrscheinlich ähnlich positive Effekt erzielt werden.

Zusammenfassung

Die Evaluierung der Totholzanreicherungsstrategie der Bayerischen Staatsforsten zeigt, dass es möglich ist, die Totholzmengen während einer extensiven Bewirtschaftung zu erhöhen und damit viele Arten, die einen großen Teil der Biodiversität der Wälder ausmachen, zu schützen. Die mittleren Totholzmengen steigen dabei besonders im Wirtschaftswald stark an. Im Vergleich zu Naturwaldreservaten zeigt sich jedoch, dass die absoluten Totholzmengen im Wirtschaftswald niedriger sind. Somit sind Naturwaldreservate mit ihrer starken Totholzanreicherung ein wichtiger Bestandteil für einen vollständigen Schutz der Biodiversität, da sie über lange Zeiträume hinweg Refugien bieten und natürliche Dynamiken zulassen.

Projekt

Das Projekt L55 »Auswirkungen einer naturschutzorientierten Waldbewirtschaftung auf die Biodiversität in Laubwäldern« wurde von 2013 bis 2017 am Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie im Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München durchgeführt und mit Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gefördert.
Literatur
  • BaySF - Bayerische Staatsforsten (2016a): Bayerische Staatsforsten Statistikband. Regensburg, Deutschland
  • Doerfler, I.; Müller, J.; Gossner, M. M.; Hofner, B.; Weisser, W. W. (2017): Success of a deadwood enrichment strategy in production forests depends on stand type and management intensity. Forest Ecology and Management, 400, S. 607–620; doi:10.1016/j.foreco. 2017.06.013
  • Müller, J. (2005): Waldstrukturen als Steuergröße für Artengemeinschaften in kollinen bis submontanen Buchenwäldern. Technical University of Munich, Munich

Beitrag zum Ausdrucken

Weiterführende Informationen

Autoren

  • Inken Dörfler
  • Wolfgang Weisser